Der Fahnenträger kommt verspätet
Kombinierer Eric Frenzel führt die deutsche Mannschaft heute ins Olympiastadion. In Pyeongchang traf er gestern erst nach einer 26-stündigen Odyssee ein
Der Ort ist gut gewählt. Im Birch Hill Golf Club in den Hügeln von Pyeongchang, gleich hinter den Skisprungschanzen, hat sich das deutsche Haus einquartiert. Dort will die Führung der deutschen Mannschaft möglichst mehr als 19 Medaillengewinner präsentieren. Denn das Ziel lautet 19 plus x. Gestern eröffnete ein besonderer Athlet die Besuche der Sportstars, allerdings mit gehöriger Verspätung. Statt um 17 Uhr wie angekündigt traf Eric Frenzel erst um 21.41 Uhr nach 26-stündiger Anreise ein. Wegen einer Software-Panne am Flugzeug hatte er erst mit sechs Stunden Verspätung in München abgehoben.
Doch bevor der Fahnenträger zur Vorstellung auf die Bühne gebeten wurde, tauschte der Nordische Kombinierer noch schnell die privaten Turnschuhe gegen das Modell des offiziellen Olympia-Ausrüsters aus. Ordnung muss sein, sonst gibt es Ärger – und Frenzel zählt zu den gewissenhaften Sportlern.
Die Fans und die Mitglieder des deutschen Olympiateams hatten ihn als Frontmann für die Eröffnungsfeier am heutigen Freitag (ab 12 Uhr, live in der ARD) gewählt. Der 29-jährige Sachse bedankte sich gewohnt zurückhaltend und höflich: „Es ist eine große Ehre, die Fahne einer Nation bei den Olympischen Spielen zu tragen.“35 000 Zuschauer im Stadion und ein Milliardenpublikum weltweit an den Fernsehgeräten werden die Show verfolgen.
DOSB-Präsident Alfons Hörmann begrüßte die Wahl des Goldund Silbermedaillengewinners von Sotschi 2014: „Eric ist so etwas von bodenständig und in jeder Hinsicht ein Vorbild. Das Team wird sich hinter dem Vorzeigeathleten versammeln und den unabdingbaren Mannschaftsgeist entwickeln.“
Bereits am Mittwoch war durchgesickert, dass sich Frenzel, auf den 31,4 Prozent der Gesamtstimmen entfielen, durchgesetzt hatte. Dahinter folgten Eisschnellläuferin Claudia Pechstein (24,5), Eishockeyspieler Christian Ehrhoff (18,7), Skirennfahrerin Viktoria Rebensburg (16,7) und Rodlerin Natalie Geisenberger (8,7).
Pechstein hatte zwar die öffentliche Abstimmung gewonnen, Frenzel diesen Rückstand aber mit einer klaren Führung innerhalb des deutschen Teams aufgeholt. Der große Rivale des Oberstdorfers Johannes Rydzek genießt innerhalb der Mannschaft hohe Sympathiewerte – im Gegensatz zu Pechstein. Die 45- Jährige, die in Südkorea ihre siebten Spiele in Angriff nimmt, polarisiert. Nicht nur wegen der Dopingbeschuldigungen, gegen die sich die Berlinerin erfolgreich zur Wehr gesetzt hat. Die fünffache Olympiasiegerin war wegen erhöhter Blutwerte gesperrt und aus der Sportfördergruppe der Bundeswehr ausgestoßen worden.
Anschließend stritt sie mit dem Bundesinnenministerium und legt nach Siegen stets demonstrativ den Zeigefinger auf den Mund. Man möge doch bitte schweigen. Eine auch bei Profi-Fußballern weitverbreitete Unart unter denjenigen, die sich zu Unrecht kritisiert fühlen. Was anderen deutschen Olympiafahrern sauer aufstößt: Pechstein hat durchgeboxt, dass ihr Lebenspartner Matthias Große eine der raren Akkreditierungen erhält und sie als Mentalcoach begleitet. Andere Athleten müssen dagegen auf ihre Heimtrainer verzichten.
Etwas einfacher machen es sich die Finnen. Skispringer Janne Ahonen trägt die Fahne. Der inzwischen 40-Jährige springt im Weltcup zwar hinterher und gelangte durch selbst veröffentlichte Alkohol-Eskapaden zu fragwürdiger Berühmtheit.
Macht nichts, sagen die Finnen und drücken der Skandalnudel den Stab mit dem weiß-blauen Stoff in die Hand. Das Argument: Ahonen, der 2002 in Salt Lake City und 2006 in Turin jeweils Silber gewann, ist der erste finnische Sportler, der zum siebten Mal an Olympia teilnimmt. Die Mannschaft der Skandinavier hatte der einsilbige Skisprung-Kauz bereits vor 20 Jahren in Nagano 1998 ins Stadion geführt. mindestens 15 Stockwerken schlafen die Journalisten während der Spiele in Gangneung. Der Südkoreaner hat frühzeitig erkannt, dass in dem mit 50 Millionen Menschen dicht besiedelten Land der Platz knapp wird. Das Staatsgebiet passt mit seiner Fläche 3,5 Mal in Deutschland rein. Deshalb bauten die Olympia-Planer in die Höhe, nicht nur für die Medienleute. Die Zwei- und Dreizimmer-Appartements werden nach den Winterspielen und den Paralympics an Privatleute verkauft.
Die Wohnungen verfügen theoretisch über einigen Komfort, den man jedoch nur eingeschränkt nutzen kann. Die Küchenzeile beispielsweise ist komplett überklebt, ebenso besitzt der Parkettboden eine zweite Haut. Sobald die Journalisten weg sind, werden die Wohnungen wirklich hübsch gemacht. Das ist bei Zimmerpreisen zwischen 150 und 195 Dollar pro Nacht zwar ärgerlich, aber wir sind ja nicht zum Urlauben hier.
Freunde und Bekannte in der Heimat wünschten wie immer vor sportlichen Großereignissen „schöne Spiele“. Aber irgendwann ist es der Olympiafahrer leid, den bisweilen fordernden Alltag eines Reporters zu schildern. Lassen wir sie in dem Glauben, dass sich der Schreiber einen faulen Lenz macht.
Der perfekte Tag geht so: Zuerst sieht der Journalist ein Skirennen an und plaudert mit Kitzbühel-Sieger Thomas Dreßen über den eigentümlichen Schnee – weil das Meer hier so nah ist. Dann ein Essen mit Michael Hörmann. Der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes stammt schließlich aus Schwaben. Zur Verdauung noch die Skispringer beim Hinuntersegeln bestaunen. Aber nicht zu lang, denn als Abschluss folgt koreanisches Apres-Ski. Landesübliche Regel: Jeder schenkt dem anderen ein und es ist unhöflich nicht auszutrinken. Ach ja, zwischendurch noch ein Artikelchen der Sekretärin diktieren, aber nur wenns zeitlich ins Freizeit-Programm passt.
Lasst die Spiele beginnen, die Reporter in Klein-Marzahn sind bereit.