Neu-Ulmer Zeitung

Es war ein mutiger und weitsichti­ger Schritt

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Herrn“, erklärte Joseph Ratzinger denjenigen, die ihm damals vorwarfen, die katholisch­e Kirche im Stich zu lassen. Dabei war es ein mutiger, schwierige­r und weitsichti­ger Schritt, den der Theologiep­rofessor auf dem Stuhl Petri damals tat.

Bis heute sind die Bilder in Erinnerung geblieben. Der Abschied im Hof des Apostolisc­hen Palastes, der Hubschraub­er mit dem Papst an Bord, der über die Kuppel des Petersdoms entschwebt, der kurze Gruß von der Loggia der Päpstliche­n Sommerresi­denz Castel Gandolfo: „Buona notte!“– „Gute Nacht!“ruft Benedikt den jubelnden Menschen zu, winkt noch einmal, dreht sich um und schreitet mit langsamen Schritten vom Balkon.

Manchmal dringen Nachrichte­n aus dem Kloster Mater Ecclesiae inmitten der vatikanisc­hen Gärten in die Welt. Das gelb gestrichen­e Austragshä­usl wurde für Benedikt renoviert und mit einem Aufzug ausgestatt­et. Von einigen der Fenster aus hat man einen schönen Blick auf den Petersdom. Dorthin hat sich der heute 90-Jährige aus Marktl am Inn nach seinem Amtsverzic­ht zurückgezo­gen. Oft ist es aber einfach still, und viele fragen sich: Wie verbringt dieser alte Mann eigentlich seine letzten Tage? Ist er besorgt um die Kirche, bereut er, geht es ihm gut? Vor kurzem hat Benedikt XVI. geantworte­t oder besser gesagt: antworten lassen. Nicht nur das Laufen, das Lesen, sondern auch das Schreiben, das ihm Lebensinha­lt war, fällt dem emeritiert­en Papst inzwischen schwer. Aber er ist noch da, offenbar voller Bewusstsei­n.

„Ich kann diesbezügl­ich nur sa- gen, dass ich mich auf einer Pilgerfahr­t nach Hause befinde, während meine körperlich­en Kräfte langsam schwinden“, heißt es in einem kurzen Brief in Maschinens­chrift an einen Journalist­en des italienisc­hen Corriere della Sera von vergangene­r Woche, der sich nach dem Wohlergehe­n des Emeritus erkundigt hatte. „Es ist eine große Gnade für mich, auf diesem letzten, bisweilen ein wenig anstrengen­den Wegstück von einer Liebe und Güte umgeben zu sein, die ich mir nicht hätte vorstellen können“, schreibt Benedikt zudem. „Benedictus XVI, Papa emeritus“steht oben auf dem Brief, unten ist klein die Unterschri­ft Ratzingers zu erkennen. Es lässt sich erahnen, wie es um den Papst a.D. bestellt ist. Obwohl dieser sagen würde, sein Petrusdien­st ende nie ganz. Deshalb trägt er weiterhin weiß, bezeichnet sich als emeritiert. Als „kontempla- tive Amtsführun­g“hat das sein Privatsekr­etär Georg Gänswein einmal charakteri­siert.

Trotz aller Kritik an den gelegentli­chen schriftlic­hen Äußerungen des emeritiert­en Papstes, hat sich in den vergangene­n fünf Jahren eine Routine entwickelt, die Koexistenz zweier Päpste im Vatikan ist nur noch für Theologen ein gravierend­es Problem. Das Verhältnis zwischen Amtsinhabe­r und Emeritus wird von offizielle­r Seite als ausgezeich­net beschriebe­n, obwohl Differenze­n in Persönlich­keit, Stil und Theologie unübersehb­ar sind.

Aber man darf Benedikt XVI. zutrauen, sich nicht über den spürbaren Wandel seiner Kirche zu grämen, sondern ihn der Verantwort­lichkeit einer höheren Macht zuzuschrei­ben. Sogar die schärfsten Benedikt-Kritiker lassen inzwischen Milde walten, weil dieser seine menschlich­ste Seite mit dem Rücktritt deutlich sichtbar offenbart hat. Vom reaktionär­en Ungeheuer, das manche in ihm erkannten, blieb plötzlich nichts mehr übrig.

Joseph Ratzinger führt in Mater Ecclesiae ein mönchische­s Leben, geprägt vom Gebet, versüßt von Besuchen und Süßspeisen in Maßen. Der Tag des 90-Jährigen beginnt um sieben Uhr mit der Heiligen Messe. Ratzinger feiert sie gewöhnlich zusammen mit seinem Privatsekr­etär Gänswein und den vier Memores Domini, den Damen einer geistliche­n Laienbeweg­ung, die schon seinen Haushalt im Apostolisc­hen Palast führten. Nach der Messe folgen Frühstück und Gebet. Den Vormittag verbringt Joseph Ratzinger mit Lektüre und dem Lesen und Beantworte­n von Post. Angesichts seines Alters und stetig nachlassen­der Kräfte muss er sich dabei immer häufiger helfen lassen. Weil Gänswein zu dieser Zeit durch seinen Hauptjob als Protokollc­hef von Franziskus vereinnahm­t ist, übernehmen die Memores viele Dienste.

Am Nachmittag spazierte Benedikt XVI. früher mit seinem Privatsekr­etär regelmäßig für das Rosenkranz-Gebet zu einer gleich unterhalb des dreistöcki­gen Hauses gelegenen Lourdes-Grotte. Da er inzwischen auf einen Rollator und manchmal sogar auf einen Rollstuhl angewiesen ist, hat er diese Spaziergän­ge stark eingeschrä­nkt. Im Oktober kursierten Fotos, die Benedikt XVI. klapprig und mit einem blauen Auge zeigten. Der emeritiert­e Papst war gestürzt. Ohne Gehhilfe oder einen stützenden Arm kann er nicht mehr laufen. Geistig, so betonen Bewunderer, die ihn kürzlich besucht haben, sei er noch voll auf der Höhe.

Auch die Zahl seiner Besucher hat

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