Neu-Ulmer Zeitung

Das Drama des Martin Schulz

Er wollte nach dem Amt des Außenminis­ters greifen, obwohl er ausgeschlo­ssen hatte, in ein Kabinett von Angela Merkel einzutrete­n. Das nahm ihm seine Partei übel: Die Ablehnung der GroKo beim Mitglieder­entscheid drohte. In Scherben liegt auch eine Männerfr

- VON BERNHARD JUNGINGER

Er hat hoch gepokert, und kurz sah es so aus, als hätte er alles erreicht. Doch am Ende steht Martin Schulz als Verlierer da.

Es ist ein sonnig-kalter Freitagnac­hmittag, in der SPD-Parteizent­rale in Berlin-Kreuzberg haben sich etliche Mitarbeite­r schon ins Wochenende verabschie­det. Im fünften Stock des nach dem sozialdemo­kratischen Übervater Willy Brandt benannten Gebäudes aber sitzt Martin Schulz vor den Trümmern seiner großen politische­n Ambitionen.

Der Noch-Vorsitzend­e der Sozialdemo­kratischen Partei Deutschlan­ds muss sich von seinem Traum verabschie­den, Außenminis­ter der Bundesrepu­blik zu werden. Sein am 25. September – einen Tag nach der Bundestags­wahl – gegebenes Verspreche­n, niemals in ein Kabinett von Angela Merkel einzutrete­n, hat ihn mit aller Macht eingeholt.

Dass Schulz dennoch beherzt nach dem Chefsessel im Auswärtige­n Amt am Werder’schen Markt griff, nur zweieinhal­b Kilometer von der SPD-Zentrale entfernt, hatte einen Sturm der Empörung ausgelöst, der heftig geriet. So heftig, dass die Zustimmung der SPD-Basis zum Koalitions­vertrag mit der Union gefährdet schien.

Der bevorstehe­nde Mitglieder­entscheid über eine Beteiligun­g an einer neuen Großen Koalition drohte zur Abstimmung über das Verhalten von Martin Schulz zu werden – das von vielen Genossen als Wortbruch mit Ansage gewertet wurde. Ein zweites Umfallen innerhalb von nur viereinhal­b Monaten hätten viele Genossen Schulz nicht verziehen. Denn noch am Wahlabend hatte Schulz auch eine weitere GroKo kategorisc­h ausgeschlo­ssen – und seine Meinung nach dem Scheitern der Gespräche über eine Jamaika-Koalition von Union, FDP und Grünen schnell geändert.

Im Laufe des Vormittags wird das Drängen aus der eigenen Partei immer heftiger. Schulz soll seine persönlich­en Ziele hinter dem Wohl der Partei zurückstel­len, fordern Vertreter mehrerer Landesverb­ände, denen vor Beginn der im gesamten Bundesgebi­et geplanten GroKoWerbe­veranstalt­ungen Schlimmes schwant. Wie sollten sie die Schulz’sche Rolle rückwärts vor dem ohnehin in großen Teilen GroKo-skeptische­n Parteivolk rechtferti­gen? Der Ex-Buchhändle­r aus Würselen kann ihnen letztlich keine überzeugen­de Antwort auf diese Frage geben. Kurz nach 14 Uhr fällt er die Entscheidu­ng, seine MinisterPl­äne zu begraben. In einer schriftlic­hen Mitteilung erklärt er: „Durch die Diskussion um meine Person sehe ich ein erfolgreic­hes Votum allerdings gefährdet. Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregi­erung und hoffe gleichzeit­ig inständig, dass damit die Personalde­batten innerhalb der SPD beendet sind.“

Noch am Mittwoch schien Schulz auf der Siegerstra­ße. Bei den Koalitions­verhandlun­gen mit der Union hatte der Noch-SPD-Chef so viel Druck aufgebaut, dass er am Ende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die drei Kern-Ressorts Außen, Finanzen und Arbeit/Soziales abrang. Inhalte hätten bei den Gesprächen zuletzt keine Rolle mehr gespielt, stattdesse­n habe Schulz mit einem knallharte­n Ultimatum beim Personal die Maximalfor­derung für die SPD durchgeset­zt. Und damit auch für sich selbst. Denn Schulz machte deutlich, dass er um jeden Preis Außenminis­ter werden will. Dafür hat er dann auch seinen Rücktritt als Parteivors­itzender angekündig­t und Andrea Nahles als seine Nachfolger­in vorgeschla­gen.

Doch den Ärger, den Schulz mit dem angekündig­ten Bruch seines persönlich­en Verspreche­ns auslöste, hat er offenbar nicht vorgesehen. Schulz, dem nachgesagt wird, er in seinem erfolglose­n KanzlerWah­lkampf ständig auf die neuesten Meinungsum­fragen geschielt, muss am Freitagmor­gen eine aktuelle Forsa-Studie lesen. Nach der halten es 72 Prozent der Deutschen für falsch, dass er Außenminis­ter wird. Sogar 60 Prozent der Anhänger der SPD sind dieser Meinung.

Auch der Verzicht auf den Parteivors­itz bringt Schulz nicht die Verschnauf­pause, die er sich offenbar erhofft hat. Und jetzt rächt sich, dass Schulz, der frühere Bürgermeis­ter von Würselen und ehemalige Präsident des Europaparl­aments, in der Bundespoli­tik über keine Hausmacht verfügt.

Ausgerechn­et aus seiner Heimat Nordrhein-Westfalen kommen kurz vor dem Wochenende die vielleicht lautesten Stimmen, die Schulz zum Rücktritt bewegen wollen. Michael Groschek, Vorsitzend­er des mächtigen Landesverb­ands im Revier, der „Herzkammer“der Sozialdemo­krahabe tie, hatte laut von einem „Glaubwürdi­gkeitsprob­lem“gesprochen, das die Personalie Martin Schulz bedeute. Groschek, der schnauzbär­tige Ex-Marinesold­at, ist einer, der nicht im Verdacht steht, dass er selbst nach höheren Ämtern strebt. Am Donnerstag hat Groschek sich mit den Vorsitzend­en der SPD-Unterbezir­ke in NRW beraten. Und die Tendenz sei eindeutig gewesen: einhellige Ablehnung für Schulz als Außenminis­ter. Groschek sorgte dafür, zerbrach in dieser Woche endgültig, als Schulz Gabriel eine „hervorrage­nde Arbeit als Außenminis­ter bescheinig­te, nur um dann kühl zu verkünden, dass er jetzt aber selbst ins Kabinett eintreten werde – als Außenminis­ter. Gabriel warf Schulz daraufhin Wortbruch vor.

Ob er nach dieser derben Abrechnung automatisc­h sein Amt behalten kann, ist noch nicht klar. Doch gibt es einen anderen gestandene­n Außenpolit­iker in der SPD? Schlecht sieht es nicht aus für Gabriel.

Erleichter­ung herrscht an der Basis. Der bayerische SPD-Abgeordnet­e Karl-Heinz Brunner aus Illertisse­n, der sich gerade auf eine Reihe von Parteivera­nstaltunge­n im Freistaat vorbereite­t, bei denen für die GroKo geworben werden soll, sagte gegenüber unserer Zeitung: „Ich begrüße die Entscheidu­ng von Martin Schulz, das nimmt den Druck weg. Die Diskussion kann sich jetzt ganz auf die Inhalte des Koalitions­vertrags richten – anstatt auf Personalfr­agen.“

Die Ulmer Parteilink­e Hilde Mattheis, Mit-Anführerin der GroKoGegne­r, sagte: „Es ist respektabe­l, dass Martin Schulz zu seinem Wort steht und auf einen Posten in der Bundesregi­erung verzichtet.“Klar sei aber auch: „Wir machen offensiv weiter mit unserer Kampagne gegen die GroKo.“

 ?? Foto: Patrik Stollarz, afp, Getty Images ?? Martin Schulz’ Abgang von der politische­n Bühne ist der vorerst letzte Akt in einem an Höhepunkte­n reichen Polit Drama.
Foto: Patrik Stollarz, afp, Getty Images Martin Schulz’ Abgang von der politische­n Bühne ist der vorerst letzte Akt in einem an Höhepunkte­n reichen Polit Drama.

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