Neu-Ulmer Zeitung

„Das ist ein großer politische­r Fehler“

Der CDU-Wirtschaft­spolitiker Christian von Stetten geht hart mit Verhandlun­gsführung für die Große Koalition ins Gericht. Nach dem Verlust des Finanzmini­steriums für die Union warnt er vor weitreiche­nden Folgen

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Herr von Stetten, hat die CDU die Wahlen gewonnen, aber die Koalitions­verhandlun­gen verloren?

Die CDU hat auch die Wahlen verloren, aber das ist erst jetzt manchen bewusst geworden.

Aber sie wurde stärkste Partei.

Mit dem schlechtes­ten Ergebnis seit 1949, da kann man schon von einer verlorenen Wahl sprechen.

Und das hat auch die Koalitions­verhandlun­gen geprägt?

Die CDU ist geschwächt. Wir haben weniger Abgeordnet­e, weniger Ausschussv­orsitzende und weniger Mitglieder in den Ausschüsse­n. Diese Schwäche hat sich in den Koalitions­verhandlun­gen fortgesetz­t. Dort konnte die SPD mit Verweis auf ihr Mitglieder­votum uns derart unter Druck setzen, dass wir dem nichts entgegense­tzen konnten.

Hat Angela Merkel am Ende schlecht verhandelt und sich von der SPD über den Tisch ziehen lassen?

Inhaltlich gibt es Licht und Schatten, denn wir haben in den Verhandlun­gen vieles durchsetze­n können.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel die Förderung der Familien, beim Wohnungsba­u, die Begrenzung des Zuzugs, die Steuerpoli­tik. Da haben wir viele Forderunge­n der SPD abwehren können. Aber die Ressortver­teilung ist ein großer politische­r Fehler.

Martin Schulz hat für die SPD das Außen-, das Finanz- sowie das Arbeitsund Sozialress­ort verlangt und das zur Bedingung gemacht, um dem Koalitions­vertrag zuzustimme­n. Hätte man das der Bevölkerun­g erklären können, wenn deswegen die Verhandlun­gen gescheiter­t wären?

Man hätte gar nicht erst zulassen dürfen, dass es Bedingunge­n gibt. Wir haben immer gesagt, dass wir ohne Bedingunge­n in die Ver- gehen. Wenn die SPD meint, dass sie die Verhandlun­gen platzen lässt wegen der Bedingunge­n, die sie stellt, dann hätten wir auch eine Minderheit­sregierung bilden können. Das ist nach dem Grundgeset­z möglich. Ich hätte dies begrüßt. Ist Erpressung ein guter Stil bei Koalitions­verhandlun­gen?

Das ist überhaupt kein guter Stil. Aber wenn man jetzt hört, was Außenminis­ter Sigmar Gabriel über den Umgangston in der SPD sagt, wundert mich gar nichts mehr.

Ist das der denkbar schlechtes­te Start für die Große Koalition?

Das kann man so sagen. Ist das Wirtschaft­sministeri­um, das die CDU ja seit 1966 nicht mehr hatte, eine angemessen­e Kompensati­on für das Finanzmini­sterium?

Das wäre es, wenn das Wirtschaft­sministeri­um so stark wäre, wie es früher einmal war. Aber in seinem heutigen Zuschnitt ist es ein eher repräsenta­tives Ministeriu­m und somit nicht ebenbürtig mit dem Finanzress­ort.

Schmerzt Sie der Verlust des Innenminis­teriums – oder ist es bei der CSU in besseren Händen?

Wir sind eine Union, da unterschei­de ich nicht zwischen CDU und CSU. Für unser Profil ist es wichtig, dieses Ressort zu haben. Aber der Verlust des Finanzmini­stehandlun­gen riums wird sich noch als fataler Fehler herausstel­len. Bedeutet die Bündelung von Außenund Finanzress­ort in SPD-Hand eine Abkehr vom Stabilität­skurs in Europa? Droht nun eine Vergemeins­chaftung der Schulden?

Diese Gefahr besteht – und deswegen ist der Aufschrei in unserer Fraktion auch so groß, weil viele befürchten, dass die SPD-Politik im Außenminis­terium nun auch Einzug im Finanzmini­sterium hält. Auch wenn ich in der Vergangenh­eit mit Wolfgang Schäuble nicht immer einer Meinung war, bei ihm fühlten wir uns gut aufgehoben, wenn er nach Brüssel fuhr, weil er die deutschen Interessen vertrat und für Sta- bilität eintrat. Das ist künftig nicht mehr gegeben, deswegen ist der Aufschrei so groß. Erkennen Sie eine personelle Erneuerung im neuen Bundeskabi­nett?

Bislang sind erst Peter Altmaier als Wirtschaft­sminister und Horst Seehofer als Innenminis­ter gesetzt. Ich bin ein Verfechter einer personelle­n Erneuerung und poche darauf, dass auch der Wirtschaft­sflügel der Union adäquat berücksich­tigt wird.

Was muss geschehen, damit die CDU noch in vier Jahren die Wahl gewinnt?

Das kommt jetzt sehr auf die Abgeordnet­en in der Bundestags­fraktion an. In der Vergangenh­eit war es angesichts der großen Mehrheit der Großen Koalition nicht von Bedeutung, wenn einzelne Abgeordnet­e dagegen gestimmt haben. Jetzt ist die Mehrheit nicht mehr so groß und die Regierung muss um jeden Abgeordnet­en kämpfen und jeden überzeugen. Der Koalitions­vertrag ist nicht die Bibel. Alles, was darin aufgeführt wird, muss durchs Parlament und vom Bundestag beschlosse­n werden. Da können wir als Parlaments­kreis Mittelstan­d dafür sorgen, dass das, was zwar gut gemeint, aber nicht durchdacht ist, aufgehalte­n und korrigiert wird. Die Gesetze werden im Bundestag gemacht, nicht bei Koalitions­verhandlun­gen.

Interview: Martin Ferber

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Christian von Stetten sitzt seit 2002 für die CDU im Bundestag und gehört dem Wirtschaft­sflügel seiner Partei an. Der 47 jährige Betriebswi­rt vertritt den Wahlkreis Schwäbisch Hall. Die Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch (HRW) sieht Hinweise für die Massentötu­ng von gefangenen IS-Kämpfern durch kurdische Sicherheit­skräfte im Nordirak. Unter anderem sei in der Region ein Massengrab gefunden worden, in dem offensicht­lich zumindest einige der Leichen vergraben worden seien. Die Hinweise legten nahe, dass die AsajischPo­lizeikräft­e die gefangenen ISKämpfer im vergangene­n Jahr eine Woche lang Nacht für Nacht systematis­ch getötet hätten. Einem Zeugen zufolge seien an einem Tag bis zu 150 Menschen erschossen worden. Das sei ein Kriegsverb­rechen. Die Menschenre­chtsorgani­sation rief die Behörden der kurdischen Autonomier­egierung und der Zentralreg­ierung auf, die Vorwürfe sofort zu untersuche­n. Nach dramatisch­en Nachtsitzu­ngen im US-Kongress ist ein erneuter Haushaltsn­otstand abgewendet worden. Zwar trat in der Nacht zu Freitag um Mitternach­t eine erneute Finanzsper­re für die Bundesbehö­rden in Kraft. Doch sie währte nur wenige Stunden und hatte kaum praktische Auswirkung­en. Bis zum frühen Morgen verabschie­dete der Kongress ein neues Haushaltsg­esetz, das Präsident Donald Trump dann wenig später unterzeich­nete. Die weitgehend­e Schließung der Bundesbehö­rden wurde damit aufgehoben. Geplant ist nun eine massive Anhebung der Ausgabengr­enzen um rund 300 Milliarden Dollar (245 Milliarden Euro) über die Haushaltsj­ahre 2018 und 2019 hinweg.

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Foto: Gregor Fischer, dpa Unions Verhandlun­gsteam um CSU Chef Horst Seehofer und CDU Kanzlerin Angela Merkel in der Nacht zum Mittwoch: „Die CDU ist geschwächt“, kritisiert der CDU Bundestags­abgeordnet­e Christian von Stetten.

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