Künstlerin mit Blick für Körper
Das Münchner Haus der Kunst stellt in einer großen Schau das Werk der bedeutenden Amerikanerin vor. Als geborene Nürnbergerin steht sie mit Bayern in einer besonderen Verbindung
gendwo zwischen antiken Fragmenten, Moulagen und mittelalterlichen Reliquiaren verorten kann, dominiert eine bis unter die Haut entblößte „Virgin Mary“aus Wachs.
Die anatomische Genauigkeit – man muss an die Modelle medizinischer Lehranstalten denken – rückt die kreatürliche Körperlichkeit und damit auch die Verletzlichkeit ins Zentrum. Das Einzige, das noch mit der Jungfrau Maria zu tun hat, ist der demütige Blick nach unten, der an die Verkündigung erinnert. Solche Anspielungen auf christliche Symbolik und die von ihr so geschätzte Kunst des Mittelalters ziehen sich bei Kiki Smith durch das gesamte OEuvre.
Sie selbst führt das auf ihre katholische Erziehung und das damit verbundene „schizophrene Verhältnis zum Körper“zurück. Schließlich ist die 64-Jährige in einem Künstlerhaushalt in New Jersey groß geworden. Ihr berühmter Vater Tony Smith zählt zu den Wegbereitern der minimalistischen Skulptur. Die Mutter, eine Opernsängerin, hatte Mitte der 50er Jahre Engagements in Süddeutschland – deshalb ist die Amerikanerin Kiki in Nürnberg geboren. Die Familie blieb kaum zwei Jahre in Bayern, doch das Faible für Deutschland blieb. Zumal es Kiki seit 1999 regelmäßig nach München in die Mayer’sche Hofkunstanstalt zieht, wo sie tagelang auf Glas malt. Etwa die Adler („Dominion“, 2012), die jetzt über den Treppen im Haus der Kunst kreisen.
Smith, die heute in New York lebt, hat sich in jungen Jahren leidenschaftlich durch die europäische Kunst gearbeitet, sich mit der Kathedralskulptur und der Buchmalerei befasst, mit französischen Tapisserien und deutschen Vesperbildern. Sie kennt die Madonnen des Niederbayern Hans Leinberger so gut wie den Isenheimer Altar. Und wenn die Künstlerin seit Mitte der 90er Jahre verstärkt das Tier in ihr Werk holt, dann überrascht es kaum, dass sie sich mit ihrer toten Katze wie eine Pietà zeichnet.
Überhaupt nimmt das Verhältnis zwischen Mensch und Tier eine immer größere Rolle im Schaffen ein. Sei es in zwölf Wandteppichen, die mit ihrem mythologisch angereicherten Kosmos einer individuellen Genesis den Mittelpunkt dieser ersten umfassenden Smith-Schau in Europa bilden. Sei es in den bekannten Bronzeskulpturen, die eigentümliche Geburtsszenen vor Augen führen: Da gleitet eine Frau, vielleicht die Jagdgöttin Diana, aus einer Hirschkuh.
Und im nächsten Raum liegen tote Krähen aus Silikonbronze auf dem Boden. Das Hitchcock-Szenario hat einen vielsagenden Hintergrund: Die Vorbilder der Vögel fanden in einer Pestizid-Wolke den schnellen Tod. O
Bis 3. Juni im Haus der Kunst München. Geöffnet täglich von 10 bis 20, Do. bis 22 Uhr. Ka talog (Prestel Verlag): 49,95 Euro