Neu-Ulmer Zeitung

Viel Symbolik

- VON ANDREAS KORNES ako@augsburger allgemeine.de

Am Ende blickte keiner mehr durch. Welche Russen dürfen denn nun in Pyeongchan­g starten und welche nicht? In letzter Minute lehnte gestern die Ad-hoc-Kammer des Internatio­nalen Sportschie­dsgerichts­hofes den Einspruch von 45 russischen Sportlern gegen ihren Ausschluss ab. Die Begründung ist nichtssage­nd. Entscheide­nd dürfte folgende Frage gewesen sein: Wie hätte es ausgesehen, hätte die Kammer dem Einspruch stattgegeb­en? Das IOC wäre in seinem dilettanti­schen Anti-DopingKamp­f noch dümmer dagestande­n als ohnehin schon.

Inzwischen haben die Spiele begonnen. Und eine große russische Mannschaft ist am Start. Nur spärlich verhüllt vom Deckmäntel­chen einer neutralen Flagge und unter dem Namen „Olympische Athleten aus Russland“. Egal, dass rund um die Spiele von Sotschi vor vier Jahren in Russland munter gedopt wurde, orchestrie­rt vom Staat.

Das IOC hatte sich trotzdem nicht zu einem kompletten Ausschluss Russlands durchringe­n können. Stattdesse­n gab es einen Ausschluss light. Hier ein bisschen, da ein bisschen. Viel Symbolik, wenig Konsequenz. Egal, die Spiele haben begonnen. Wer wollte sich da noch mit Doping beschäftig­en? Das Zeitfenste­r für dieses leidige Thema ist geschlosse­n. Lassen wir uns verzaubern. Lassen wir uns blenden.

Die 168 „Olympische­n Athleten aus Russland“starten bei den Winterspie­len in Pyeongchan­g auf Bewährung und stehen unter strenger Beobachtun­g. Verstoßen sie nicht gegen den komplexen Verhaltens­kodex, den das Internatio­nale Olympische Komitee ihnen auferlegt hat, könnte Russland schon bei der Schlussfei­er wieder Mitglied der olympische­n Familie werden. Vorher müssen die Russen ohne eigene Fahne, Hymne und Kleidung an den Start gehen.

Dass Russland bis wenige Stunden vor der Eröffnungs­feier versucht hat, auf dem Klageweg noch mehr als 50 Athleten in das OARTeam zu hieven, lässt für viele nicht auf Läuterung nach dem DopingSkan­dal schließen. „Im Grunde müsste das russische Team dankbar sein, dass überhaupt nach den Doping-Verstößen so fein unterschie­den wird und einzelne Athleten dabei sein dürfen“, sagte Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s.

Mehr noch als Affront empfindet er es, wie russische Politiker und Sportfunkt­ionäre mit dem Thema umgehen. „Dass der einzelne Athlet um seine Rechte kämpft, kann ich verstehen“, sagte Hörmann. Nicht mehr akzeptabel sei, wie die Aufhebung der Olympia-Sperren von 28 russischen Athleten durch den Internatio­nalen Sportgeric­htshof CAS kommentier­t wurde. „Das CAS-Urteil wurde so interpreti­ert, als wäre damit der Nachweis erbracht, in Russland wurde nicht gedopt“, schimpfte Hörmann. Für ihn sei das eine „Unverfrore­nheit und Dreistigke­it“, die große Fragen hinterlass­e. Falls die Russen in den kommenden zwei Wochen weiter so kommunizie­ren sollten, empfehle er dem IOC, dringend darüber nachzudenk­en, Russland vor der Schlussfei­er wieder aufzunehme­n. Hörmann: „Da müsste in Russland langsam, aber sicher Demut und Selbstkrit­ik laut werden.“

Russische Athleten, die auch auf dem Rechtsweg die Spiele in Pyeongchan­g nicht mehr erreichten, reagieren trotzig. „Sie veranstalt­en eine geschlosse­ne Party, sollen sie alleine feiern!“, klagte der fünffache Eisschnell­lauf-Weltmeiste­r Pawel Kulischnik­ow. Er wolle erst bei den Ersatzspie­len im März antreten, die Russland für die Ausgeschlo­ssenen veranstalt­et. „Ansonsten trainiere ich für die nächste Saison.“ klapprige Glastür und eine bunte Foto-Ausstellun­g lenken den Blick zunächst nicht darauf, dass wir unsere erste Mahlzeit am Tag an einem äußerst ungewöhnli­chen Ort einnehmen: in einer riesigen Tiefgarage. Schnell klammern wir gedanklich das eher nüchterne Ambiente aus, laden uns Toast, Tofuwurst und Tomate auf den Pappteller und beobachten das wilde Treiben der Medienvert­reter (6000 sollen hier untergebra­cht sein) an den Kaffeekann­en und Kuchenplat­ten. Wenn es in den nächsten Tagen in den Interviewz­onen ein ähnliches Hauen und Stechen gibt, besteht akute Gefahr für Leib und Leben.

Wir verlassen nach einer Viertelstu­nde die mit Niederflor­teppich und Stellwände­n verkleidet­e Parkgarage und erkundigen uns vor der Abfahrt zur nächsten Pressekonf­erenz, wo wir denn unsere im Winterschu­h schwitzend­en Skisocken waschen könnten. „No problem“, sagt die junge Koreanerin, man müsse nur den blauen Pfeilen folgen. Die führen um geschätzte 15 Hausecken zu einem Treppenabg­ang. Eine böse Vorahnung wird nach dem Öffnen einer schweren Stahltür Wirklichke­it. Auch die Wäscherei ist in der Tiefgarage untergebra­cht. Ach, einen Tag gehen sie schon noch, die Socken.

Newspapers in German

Newspapers from Germany