Viel Symbolik
Am Ende blickte keiner mehr durch. Welche Russen dürfen denn nun in Pyeongchang starten und welche nicht? In letzter Minute lehnte gestern die Ad-hoc-Kammer des Internationalen Sportschiedsgerichtshofes den Einspruch von 45 russischen Sportlern gegen ihren Ausschluss ab. Die Begründung ist nichtssagend. Entscheidend dürfte folgende Frage gewesen sein: Wie hätte es ausgesehen, hätte die Kammer dem Einspruch stattgegeben? Das IOC wäre in seinem dilettantischen Anti-DopingKampf noch dümmer dagestanden als ohnehin schon.
Inzwischen haben die Spiele begonnen. Und eine große russische Mannschaft ist am Start. Nur spärlich verhüllt vom Deckmäntelchen einer neutralen Flagge und unter dem Namen „Olympische Athleten aus Russland“. Egal, dass rund um die Spiele von Sotschi vor vier Jahren in Russland munter gedopt wurde, orchestriert vom Staat.
Das IOC hatte sich trotzdem nicht zu einem kompletten Ausschluss Russlands durchringen können. Stattdessen gab es einen Ausschluss light. Hier ein bisschen, da ein bisschen. Viel Symbolik, wenig Konsequenz. Egal, die Spiele haben begonnen. Wer wollte sich da noch mit Doping beschäftigen? Das Zeitfenster für dieses leidige Thema ist geschlossen. Lassen wir uns verzaubern. Lassen wir uns blenden.
Die 168 „Olympischen Athleten aus Russland“starten bei den Winterspielen in Pyeongchang auf Bewährung und stehen unter strenger Beobachtung. Verstoßen sie nicht gegen den komplexen Verhaltenskodex, den das Internationale Olympische Komitee ihnen auferlegt hat, könnte Russland schon bei der Schlussfeier wieder Mitglied der olympischen Familie werden. Vorher müssen die Russen ohne eigene Fahne, Hymne und Kleidung an den Start gehen.
Dass Russland bis wenige Stunden vor der Eröffnungsfeier versucht hat, auf dem Klageweg noch mehr als 50 Athleten in das OARTeam zu hieven, lässt für viele nicht auf Läuterung nach dem DopingSkandal schließen. „Im Grunde müsste das russische Team dankbar sein, dass überhaupt nach den Doping-Verstößen so fein unterschieden wird und einzelne Athleten dabei sein dürfen“, sagte Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes.
Mehr noch als Affront empfindet er es, wie russische Politiker und Sportfunktionäre mit dem Thema umgehen. „Dass der einzelne Athlet um seine Rechte kämpft, kann ich verstehen“, sagte Hörmann. Nicht mehr akzeptabel sei, wie die Aufhebung der Olympia-Sperren von 28 russischen Athleten durch den Internationalen Sportgerichtshof CAS kommentiert wurde. „Das CAS-Urteil wurde so interpretiert, als wäre damit der Nachweis erbracht, in Russland wurde nicht gedopt“, schimpfte Hörmann. Für ihn sei das eine „Unverfrorenheit und Dreistigkeit“, die große Fragen hinterlasse. Falls die Russen in den kommenden zwei Wochen weiter so kommunizieren sollten, empfehle er dem IOC, dringend darüber nachzudenken, Russland vor der Schlussfeier wieder aufzunehmen. Hörmann: „Da müsste in Russland langsam, aber sicher Demut und Selbstkritik laut werden.“
Russische Athleten, die auch auf dem Rechtsweg die Spiele in Pyeongchang nicht mehr erreichten, reagieren trotzig. „Sie veranstalten eine geschlossene Party, sollen sie alleine feiern!“, klagte der fünffache Eisschnelllauf-Weltmeister Pawel Kulischnikow. Er wolle erst bei den Ersatzspielen im März antreten, die Russland für die Ausgeschlossenen veranstaltet. „Ansonsten trainiere ich für die nächste Saison.“ klapprige Glastür und eine bunte Foto-Ausstellung lenken den Blick zunächst nicht darauf, dass wir unsere erste Mahlzeit am Tag an einem äußerst ungewöhnlichen Ort einnehmen: in einer riesigen Tiefgarage. Schnell klammern wir gedanklich das eher nüchterne Ambiente aus, laden uns Toast, Tofuwurst und Tomate auf den Pappteller und beobachten das wilde Treiben der Medienvertreter (6000 sollen hier untergebracht sein) an den Kaffeekannen und Kuchenplatten. Wenn es in den nächsten Tagen in den Interviewzonen ein ähnliches Hauen und Stechen gibt, besteht akute Gefahr für Leib und Leben.
Wir verlassen nach einer Viertelstunde die mit Niederflorteppich und Stellwänden verkleidete Parkgarage und erkundigen uns vor der Abfahrt zur nächsten Pressekonferenz, wo wir denn unsere im Winterschuh schwitzenden Skisocken waschen könnten. „No problem“, sagt die junge Koreanerin, man müsse nur den blauen Pfeilen folgen. Die führen um geschätzte 15 Hausecken zu einem Treppenabgang. Eine böse Vorahnung wird nach dem Öffnen einer schweren Stahltür Wirklichkeit. Auch die Wäscherei ist in der Tiefgarage untergebracht. Ach, einen Tag gehen sie schon noch, die Socken.