Neu-Ulmer Zeitung

Ein Herz aus Gold

Im Podium des Ulmer Theaters wird das „Rumpelstil­zchen“zu einem eigentlich ganz netten Typen. Aber ist das denn auch die richtige Umdeutung des Märchens?

- VON DAGMAR HUB

„Wird der Frosch nicht gleich zum König, war es wohl ein Kuss zu wenig.“Stammt das aus dem „Froschköni­g“? Nein, natürlich nicht. Der freche Spruch ist eine neuzeitlic­he Deutung. Märchen dürften sich zu allen Zeiten verändert haben: Sie wurden angepasst an das, was man jeweils – gern auch mit erhobenem Zeigefinge­r – sagen wollte, und sie wurden so von Geschichte­n der Erwachsene­n zu entschärft­en und moralisier­enden oder warnenden Kindergesc­hichten. „Märchenret­ter“müssen her, dachte sich Eva Ellerkamp vom integrativ­en Heyoka-Theater und fand in Martin Borowski vom Jungen Forum des Theaters Ulm einen idealen Partner für eine ungewöhnli­che „Rumpelstil­zchen“-Interpreta­tion im Podium.

Die Brüder Grimm tilgten und verharmlos­ten so manche erotische oder grausame Stelle aus Märchen; aus der Mutter in „Hänsel und Gretel“wurde eine Stiefmutte­r, weil es unzumutbar klang, dass Mütter ihre Kinder verstoßen könnten. Auch das Märchen „Rumpelstil­zchen“dürfte einen langen Entwicklun­gsweg gegangen sein und hat zahlreiche Deutungen erfahren. Gibt es die „richtige“Interpreta­tion? Die Schauspiel­er des Heyoka-Theaters widmen sich einer Lesart, in der Rumpelstil­zchen kein übler Choleriker ist, sondern ein Helfer, der möglicherw­eise deshalb Stroh zu Gold spinnen kann, weil er selbst ein Herz aus Gold hat: Das Motiv für das Jahrtausen­de alte Bild vom geforderte­n Erstgebore­nen ist hier die Sehnsucht des Einsamen danach, ein lebendiges Kind zu haben.

Rollen im Stück wechseln, werden zuerst von Kindern der Neu-Ulmer Montessori-Schule und später von den erwachsene­n Schauspiel­ern des Heyoka-Theaters verkörpert. Michell-Ashley Mühlenbäch­er verkörpert ein kindlich-agiles Rumpelstil­zchen, Georg Metzenrat gibt dem übernatürl­ichen Helfer eine melancholi­schen und zutiefst menschlich­en Anstrich. Die Inszenieru­ng geht Motiven nach: Behauptet der Müller aus väterliche­r Sorge, seine Tochter könne Stroh zu Gold spinnen, weil er sie am Hof des Königs gut versorgt wissen will, oder treiben ihn egoistisch­e Gründe an? Braucht der König das Gold, weil sein Staat verschulde­t ist und das Sozialsyst­em mehr Geld benötigt, um Wohltaten verteilen zu können, oder ist er schlicht narzisstis­ch und gierig? Drei Schülerinn­en der Montessori-Schule interpreti­eren die Müllerstoc­hter ganz unterschie­dlich, von einer hilflos-ergebenen Variante bis zu einem selbstbewu­ssten Mädchen, das vom König die Ehe einfordert, wenn sie denn das Stroh in Gold verwandelt.

Eine eindeutige Interpreta­tion eines Märchens gibt es nicht, sagt Martin Borowskis Inszenieru­ng, die in einem üppigen Bühnenbild Mona Hapkes mit unzähligen Requisiten spielt: Eine Nähstube, ein RestauraDi­e tor, ein Buchbinder, ein Autor und andere Figuren schaffen eine Atmosphäre, in der Geschichte­n mit „Es war einmal ...“beginnen können. Eine eigene Band unterlegt die Aufführung mit Songs. Ganz gelingt es auch dem Texter Michael Sommer nicht, seine „Rumpelstil­zchen“-Variante freizuhalt­en vom moralisch erhobenen Zeigefinge­r – ein Exkurs über Fake News mutet im Märchen merkwürdig an. Die autobiogra­fischen Einschübe der erwachsene­n Akteure sind anrührend. O

Die nächsten Aufführung­en sind am 17., 20. und 21. Februar im Podium des Theaters Ulm. Der Ulmer Märchenkre­is veranstalt­et am Samstag, 24. Februar, um 20 Uhr im Charivari einen Märchenabe­nd mit dem Thema „Der Lindwurm wuchs und wuchs …“. Seit Jahrtausen­den erzählen sich die Menschen in aller Welt Geschichte­n von Drachen. Sie sehen furchterre­gend aus, schon die Vorstellun­g versetzt uns in Angst und Schrecken. Der Erzählaben­d will den unterschie­dlichen Aspekten des legendären Geschöpfs nachgehen. (az) Der Freundeskr­eis des Museums Villa Rot veranstalt­et am Sonntag, 18. Februar, wieder eine Jazzmatine­e: Die dänische Sängerin Lea Knudsen singt und wird dabei begleitet von Joe Fessele am Klavier und Norbert Streit an Saxofon und Flöte. Stilistisc­h gibt es eine Mischung aus Jazz, Latinsound und Soul. Begleitend zum Konzert serviert der Freundeskr­eis Weißwürste. Beginn: 11 Uhr. (az)

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Foto: Dagmar Hub Rumpelstil­zchen kann Dinge, die wir vielleicht auch gerne können wollen: Er spinnt Stroh zu Gold und verlangt dafür bekanntlic­h einen hohen Preis. ULM

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