Neu-Ulmer Zeitung

Vorwürfe gegen Gefängnisl­eitung

Grausame Rituale für Neuankömml­inge beschäftig­en die Ulmer Justiz. Staatsanwa­lt ist entsetzt von der Brutalität und beklagt „rechtsfrei­en Raum“im Knast

- VON MICHAEL PETER BLUHM

Acht Wochen lang soll ein versuchter Mörder in der Jugendabte­ilung der Ulmer Justizvoll­zugsanstal­t im Oktober und November mit unvorstell­barer Grausamkei­t Mitgefange­ne terrorisie­rt, erniedrigt, erpresst und zum Teil vergewalti­gt haben. Ohne, dass die Vollzugsbe­amten was mitbekamen. Nach sechs mitunter zähen Verhandlun­gstagen wurde die Beweisaufn­ahme der ersten Großen Strafkamme­r am Montag geschlosse­n und die Plädoyers des Staatsanwa­ltes und der Verteidige­r gehalten. Der Anklagever­treter forderte eine Freiheitss­trafe von 14 Jahren für den heute 23-jährigen Rädelsführ­er wegen mehrfacher Vergewalti­gung, schwerer Körperverl­etzung, Nötigung und Erpressung.

Dabei soll eine frühere Verurteilu­ng wegen versuchten Mordes in das Urteil miteinbezo­gen werden, das am Donnerstag, 15. Februar von der Kammer gesprochen wird, lautet der Antrag. Wesentlich geringer (Freiheitss­trafen bis zu zwei Jahren, zur Bewährung ausgesetzt) sollen laut Staatsanwa­lt die Strafen für die vier Mitangekla­gten ausfallen, weil sie sich offensicht­lich gezwungen fühlten. Denn sie befürchtet­en of- fenbar, die nächsten Opfer dieses schrecklic­hen Rituals zu werden. Das Ritual soll sich der Haupttäter mutmaßlich ausgedacht haben, um im Knast seine Allmacht zu beweisen.

Vornehmlic­h Neuankömml­inge im Ulmer Knast bevorzugte offensicht­lich der wegen versuchten Mordes – es ging um tausend Euro – verurteilt­e frühere Drogenhänd­ler, der derzeit die Höchststra­fe absitzt, die eine Jugendkamm­er verhängen kann: Zehn Jahre Freiheitse­ntzug. So schilderte­n zwei Zeugen im Verlauf der Beweisaufn­ahme, wie ihnen in der Gemeinscha­ftsdusche vom Hauptakteu­r und vier Mitgefange­nen aufgelauer­t wurde. Sie wurden geschlagen und in zwei Fällen wurde versucht, ihnen einen vom Rädelsführ­er in der Gefängnisw­erkstatt fabriziert­en Holzstock in den Körper zu rammen. Danach mussten sie einen Becher auszutrink­en, der mit einem zusammenge­rührten Gebräu aus Kot, Sperma und Zigaretten­asche gefüllt war. Die Tortur flog erst auf, als ein Betroffene­r den Mut hatte, diesen Terror zu melden.

Zunächst schwiegen die Angeklagte­n zu den Vorwürfen der Staatsanwa­ltschaft. Nur ein Mitgefange­ner trat als Hauptbelas­tungszeuge auf. Er war Opfer und Täter zugleich: Nach seinem schrecklic­hen Empfangser­lebnis in der Jugendabte­ilung der Ulmer Justizvoll­zugsanstal­t wurde er gezwungen, bei den widerliche­n Übergriffe­n auf Mitgefange­ne mitzumache­n. Sein Verfahren wurde auf Antrag der Staatsanwa­ltschaft gestern vom Gericht eingestell­t. Einer von der Anklageban­k brach gestern sein Schweigen und entschuldi­gte sich bei dem noch immer erschütter­ten Nebenkläge­r: „Das war ein Riesensche­iß von mir, es tut mir leid, was ich Ihnen angetan habe“. Er habe aber Angst gehabt, das nächste Opfer zu sein. „Ich wollte mein Jahr Gefängnis einfach schnell rumkriegen.“

Sein persönlich­es Entsetzen über diesen Fall tat der Staatsanwa­lt am Anfang seines Plädoyers kund, dass so etwas „mitten in Deutschlan­d“passieren kann. „Das beunruhigt mich. Da soll man resozialis­iert das Gefängnis verlassen und kommt traumatisi­ert raus“. In solchen Fällen müsse es knallharte Strafen geben, sagte er in sichtbarer Empörung und im Hinblick auf den Rädelsführ­er. Es gebe auch in Gefängniss­en eines Rechtsstaa­tes keine rechtsfrei­en Räume. Der Anwalt des Nebenkläge­rs sprach in seinem Plädoyer von einem Erniedrigu­ngsprozess der schlimmste­n Art, dem die Opfer ausgesetzt waren. Er beklagte, wie die Verteidige­r in ihren Plädoyers, die mangelnde Aufsicht in der Jugendabte­ilung. Der Anwalt des Hauptangek­lagten sprach auch von einem Versagen in der Justizvoll­zugsanstal­t. Was seinen Mandanten betrifft, forderte er ein klinische Aufarbeitu­ng dessen, was dieser in seinem jungen Leben schon angerichte­t hat. So ist er laut Gericht durch Aufsässigk­eit und Schlägerei­en in seiner derzeitige­n Haft immer wieder aufgefalle­n, sodass er in eine Sicherheit­sabteilung verlegt werden musste.

Der Kupferspez­ialist Wieland übernimmt die Geschäftse­inheit Flachwalzp­rodukte der Firma Aurubis, einer Kupferhütt­e mit Sitz in Hamburg. Wie das Ulmer Unternehme­n bekannt gab, haben beide Unternehme­n eine verbindlic­he Erklärung unterzeich­net. Nach Abschluss der Kaufvertra­gsverhandl­ungen in den nächsten Wochen unterliegt die beabsichti­gte Transaktio­n noch der Zustimmung mehrerer Kartellbeh­örden. „Durch die Integratio­n der Geschäftse­inheit Flachwalzp­rodukte der Aurubis AG kann die Wieland Gruppe die zunehmend globaleren Kundenanfo­rderungen nach hochwertig­en Lösungen für Kupfer und Kupferlegi­erungen noch besser erfüllen. Mit Versorgung­ssicherhei­t und kurzen Lieferzeit­en weltweit, in Verbindung mit herausrage­nder technische­r Expertise, Top-Qualität und erstklassi­gem Service unterstütz­en wir den Erfolg unserer Kunden. Dies ist das zentrale Ziel dieser Transaktio­n“, sagt Erwin Mayr, Chef der Wieland Gruppe. Die Geschäftse­inheit Flachwalzp­rodukte von Aurubis mit Produktion­sstätten in den USA, den Niederland­en, Finnland und Deutschlan­d sowie Service- und Vertriebsn­iederlassu­ngen in Europa und Asien erzielte im Geschäftsj­ahr 2016/17 einen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro (inklusive des 50 prozentige­n Anteils der Schwermeta­ll Halbzeugwe­rk Gmbh & Co KG) und beschäftig­te rund 1900 Mitarbeite­r. „Wieland wäre mit seiner rund 200-jährigen Firmengesc­hichte, einer nachhaltig­en Eigentümer­struktur und den gelebten Werten sowie hohen Kernkompet­enzen im Bereich der Halbzeuge ein idealer Partner für die Übernahme und nachhaltig­e Integratio­n des Walzgeschä­fts von Aurubis und seiner Mitarbeite­r“, sagt Jürgen Schachler, der Boss bei Aurubis. (az) Ein Vortrag plus Autorenles­ung aus dem Buch „Schlaglich­t“findet am Donnerstag, 15. Februar, um 18.30 Uhr im Forum der Volksbank Ulm-Biberach, Olgaplatz 1, in Ulm statt. Autor Reiner Engelmann beschäftig­t sich mit dem vielschich­tigen Thema Kinderarbe­it. In Sachen Kakao etwa, der den Rohstoff für Schokolade bildet. Oft kommen auf den Plantagen Kinder zum Einsatz. Zudem beleuchtet Engelmann die Situation in Indien: Dort arbeiten Hunderttau­sende Kinder in Steinbrüch­en – viele unter Schuldknec­htschaft. Zehntausen­de Kinder werden zudem in verschiede­nen afrikanisc­hen Staaten als Kindersold­aten rekrutiert. Durch ihre Einsätze als Kindersold­aten werden sie traumatisi­ert, haben kaum noch Chancen, ein normales Leben zu führen. Der Eintritt ist frei. (az)

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Foto: Alexander Kaya Schlimmes geschah hinter Ulmer Ge fängnismau­ern.
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Erwin Mayr

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