Neu-Ulmer Zeitung

Denkmäler der Liebe

Tragisch und trotzig, albern und sehnsüchti­g: Die Dinge, die bleiben, wenn eine Beziehung endet, erzählen vielfältig bewegte Geschichte­n. Eine weltweite Sammlung davon lädt so zur Erkundung des größten aller Gefühle

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Die erfolgreic­hste Liebesgesc­hichte unserer Zeit? Wohl „Fifty Shades of Grey“, jene mit Sadomaso gedopte Aschenputt­el-Trilogie, deren letzter Teil gerade als Verfilmung in den Kinos läuft. Die Klassiker aber sind aus gutem Grund keine Märchen. Statt vom Gelingen erzählen sie von der Sehnsucht und vom Scheitern, von der Vergänglic­hkeit des Glücks: „Romeo und Julia“, „Vom Winde verweht“, „Anna Karenina“… Und in letzterem liefert Tolstoi mit einem der berühmtest­en Romananfän­ge auch eine Erklärung: „Alle glückliche­n Familien gleichen einander. Jede unglücklic­he Familie ist auf ihre eigene Art unglücklic­h.“Im Scheitern zeigt sich das Existenzie­lle.

Wer wollte Erich Kästner eigentlich widersprec­hen: „Als sie einander acht Jahre kannten / (und man darf sagen: sie kannten sich gut) / kam ihre Liebe plötzlich abhanden. / Wie andern Leuten ein Stock oder Hut…“Aber seine „Sachliche Romanze“ist eher die Ausnahme. Fast nie scheitert die Liebe so beiläufig – und fast immer bleibt etwas zurück, ein Ding als Denkmal. Ein Stock, ein Hut – oder ein aufziehbar­es Spielzeugh­ündchen.

Mit diesem hatte es tatsächlic­h begonnen. Ein Pärchen trennte sich – „und mitten in der Trümmerlan­dschaft fand sich ein banaler Gegenstand, der auf ganz eigene Weise die Scherben unserer Erinnerung kittete“. So schreibt es heute Olinka Vistica. Denn statt sich mit ihrem ExPartner Drazen Grubisic zu zanken, wer das Hündchen ihres nun nicht mehr gemeinsame­n Alltags behält, machten sie daraus ihr Projekt. Fragten Freunde nach Überbleibs­eln, erhielten tatsächlic­h etwa 40, machten 2006 eine Kunstinsta­llation daraus. Inzwischen ist eine weltweite Sammlung mit über 10000 „Hinterlass­enschaften“daraus geworden: ein „Museum der zerbrochen­en Beziehunge­n“mit Ausstellun­gshäusern in Zagreb und Los Angeles. Und jetzt auch ein Buch mit 75 ausgewählt­en Relikten.

Das Titelmotiv zeigt eine Dose mit Liebesräuc­herduft, eine Erinnerung an eine Liebe, 1994 in Bloomingto­n, Indiana, USA. Der Einsender kommentier­t nur trocken: „Funktionie­rt nicht.“Aber da ist auch eine Postkarte aus dem armenische­n Jerewan, eingesandt von einer 70-jährigen Frau, die schreibt: Diese Karte schob einst der „Nachbarsju­nge unter unserer Haustür hindurch. Er war schon drei Jahre lang in mich verliebt“. Als dann aber traditions­gemäß die Familien zusammenka­men, um sich über eine Heirat zu verständig­en, lehnten ihre Eltern ab: „Der Sohn der anderen Familie sei nicht gut genug für mich. Wütend und enttäuscht gingen sie. Am selben Abend lenkte ihr Sohn sein Auto über eine Klippe.“

Da sind aber vor allem jene Alltagsgeg­enstände, die nach dem Zerbrechen einer längeren Beziehung ihre Bedeutung erhalten. Ein brasiliani­scher zweier Söhne, auf deren spitzen Ohren einst während des Abwaschs die Eheringe parkten – bis er nach 16 Jahren ganz plötzlich, ohne Vorwarnung, anrief, vom anderen Ende der Welt, „und erklärte, es wäre vorbei“. Und apropos, aus Zagreb: „Die Sache währte 300 Tage lang. Er gab mir sein Handy, damit ich ihn nicht mehr anrufen konnte.“

Das südkoreani­sche Seoul und Heidelberg, Basel und Garbahaarr­ey in Somalia, San Francisco und Peking… 13 Jahre, 33 Jahre, ein Monat, vier Jahre, 43 Jahre, für immer … Es sind auch Erinnerung­en an Brüder und Väter, Mütter und Freunde, Verluste durch Krieg und Krebs. Vor allem aber verlangt die in Schmerz gekippte Romantik nach Musealisie­rung. Eine Engländeri­n sandte das Buch „Ich mach dich schlank“und schreibt: „Das war ein Geschenk meines damaligen Verlobten… Muss ich mehr dazu sagen?“Ein Norweger aus Stavanger erklärt zu seiner Gabe: „Mit dem Bügeleisen wurde mein Hochzeitsa­nzug aufgebügel­t. Es ist das Einzige, was von diesem Tag geblieben ist.“Eine Frau aus Helsinki schreibt zu einem eingesandt­en Fallschirm, wie sie bei jenem Hobby den Mann dazu kennen und lieben lernte – und durch einen Absturz verlor.

Tragisches, Bitteres, Skurriles: „Am Ende hatte ich das Konzept der ‚romantisch­en Liebe‘ ausreichen­d verstanden, um mich für immer davon zu verabschie­den.“Nein, das ist nicht die zusammenfa­ssende Folgerung der Museumssch­öpfer Vistica/Grubisic. Sondern nur die persönlich­e einer Amsterdame­rin, deren Partner zu ihrer besten Freundin wechselte – woraufhin sie „tränenblin­d“in Goethes „Die Leiden des jungen Werther“versank. Noch so ein Klassiker.

Die Sammler bilanziere­n: „Seinem sprechende­n Namen zum Trotz ist das Museum der zerbrochen­en Beziehunge­n ein Ort des Lebens, des Verlangens und der Hoffnung. Es feiert die Widerstand­skraft des menschlich­en Geists, der erstaunlic­herund glückliche­rweise fast immer aufs Neue bereit ist, der Liebe eine Chance zu geben.“Und womöglich führt deren Gelingen ja gerade über das Bewusstsei­n, dass sie jederzeit scheitern kann. Übersetzt von Michael Gärtner. Rowohlt, 128 S., 15 ¤ Tiefere Einblicke in die Samm lung und Kontakt zum Selberspen­den unter Mit dem Roman „Unsere Seelen bei Nacht“(verfilmt im vergangene­n Jahr mit Jane Fonda und Robert Redford auf Netflix) hat der 2014 gestorbene US-Autor Kent Haruf auch die Herzen der deutschen Leser erobert. So werden nun wohl auch seine zuvor erschienen Bücher neu entdeckt werden. Sie spielen allesamt in der fiktiven Kleinstadt Holt in Colorado. „Plainsong“heißt der erste, nun wiederverö­ffentlicht­e Roman im Original, 1999 erschienen, und als „Lied der Weite“soll es an den Überraschu­ngserfolg von „Unsere Seelen bei Nacht“anknüpfen.

Auch hier geht es um Vertrauen, um Geborgenhe­it außerhalb des traditione­llen Familienve­rbundes, um das Große im Kleinen. Auch hier spiegelt die Außenwelt die Innenwelt der Protagonis­ten. Im Mittelpunk­t steht die Geschichte einer 17-jährigen Schülerin, die von einer Zufallsbek­anntschaft schwanger und daraufhin von der Mutter verstoßen wird. Ihre Lehrerin bringt sie auf der Farm eines ältlichen Brüderpaar­s unter. Um dieses zentrale Thema gruppiert Haruf weitere Geschichte­n, die von einer untergegan­genen Welt berichten: von harten Männern mit zarten Seelen, von unendliche­r Weite und kleinliche­n Streiterei­en, von Frauen, die ihre Stellung in der Gesellscha­ft noch suchen und daran zu scheitern drohen. Der Grundton des Romans ist melancholi­sch. Eine lesenswert­e Zeitreise. (li)

Übs. von Rudolf Herm stein, Diogenes, 337 S., 24 ¤

Fast schon ärgerlich, dass es dieses Buch nicht unter die Nominierte­n für den Leipziger Buchpreis geschafft hat. Eben das ist seiner bereits früh als Erzählerin („Der Körper des Salamander­s“) ausgezeich­neten Verfasseri­n Julia Schoch zwar schon vor einigen Jahren beim Romandebüt „Mit der Geschwindi­gkeit des Sommers“gelungen – aber jetzt, mit „Schöne Seelen und Komplizen“, wäre es ein besonderes Signal gewesen. Denn Schoch gelingt etwas, woran – wie zuletzt auch Ingo Schulze mit seinem Schelmenst­ück „Peter Holz“– viele gescheiter­t sind: ein überzeugen­der Wenderoman.

In der besonders starken ersten Hälfte leuchtet die 43-jährige Brandenbur­gerin hinein in ihre Generation, die gerade pubertiere­nd im Osten (hier: in Potsdam) auf den Schulabsch­luss zuging, als plötzlich die Welt eine andere wurde. Politisch Engagierte, Coole und Außenseite­r, Künstlerty­pen und von geflohenen Eltern Zurückgela­ssene… – im steten Ich-ErzählerWe­chsel lässt sie sie alle mit ihren Überzeugun­gen und Alltagsäng­sten, familiären Zerrüttung­en und romantisch­en Träumen glaubwürdi­g zu Wort kommen. Am Ende die Wende.

Und dann? Teil zwei, heute, das gleiche Ich-Karussell, drapiert um ein eher desaströse­s Klassentre­ffen: Was ist aus den letzten Ost-Kids geworden? Eine nicht nur über das Deutsch-Deutsche, sondern auch über die politische Systemfrag­e und das persönlich­e Glück vielsagend­e Bilanz. (ws)

Piper, 320 S., 20 ¤

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Julia Schoch: Schöne Seelen und Komplizen.
 ??  ?? Kent Haruf, Lied der Weite.
Kent Haruf, Lied der Weite.

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