Denkmäler der Liebe
Tragisch und trotzig, albern und sehnsüchtig: Die Dinge, die bleiben, wenn eine Beziehung endet, erzählen vielfältig bewegte Geschichten. Eine weltweite Sammlung davon lädt so zur Erkundung des größten aller Gefühle
Die erfolgreichste Liebesgeschichte unserer Zeit? Wohl „Fifty Shades of Grey“, jene mit Sadomaso gedopte Aschenputtel-Trilogie, deren letzter Teil gerade als Verfilmung in den Kinos läuft. Die Klassiker aber sind aus gutem Grund keine Märchen. Statt vom Gelingen erzählen sie von der Sehnsucht und vom Scheitern, von der Vergänglichkeit des Glücks: „Romeo und Julia“, „Vom Winde verweht“, „Anna Karenina“… Und in letzterem liefert Tolstoi mit einem der berühmtesten Romananfänge auch eine Erklärung: „Alle glücklichen Familien gleichen einander. Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich.“Im Scheitern zeigt sich das Existenzielle.
Wer wollte Erich Kästner eigentlich widersprechen: „Als sie einander acht Jahre kannten / (und man darf sagen: sie kannten sich gut) / kam ihre Liebe plötzlich abhanden. / Wie andern Leuten ein Stock oder Hut…“Aber seine „Sachliche Romanze“ist eher die Ausnahme. Fast nie scheitert die Liebe so beiläufig – und fast immer bleibt etwas zurück, ein Ding als Denkmal. Ein Stock, ein Hut – oder ein aufziehbares Spielzeughündchen.
Mit diesem hatte es tatsächlich begonnen. Ein Pärchen trennte sich – „und mitten in der Trümmerlandschaft fand sich ein banaler Gegenstand, der auf ganz eigene Weise die Scherben unserer Erinnerung kittete“. So schreibt es heute Olinka Vistica. Denn statt sich mit ihrem ExPartner Drazen Grubisic zu zanken, wer das Hündchen ihres nun nicht mehr gemeinsamen Alltags behält, machten sie daraus ihr Projekt. Fragten Freunde nach Überbleibseln, erhielten tatsächlich etwa 40, machten 2006 eine Kunstinstallation daraus. Inzwischen ist eine weltweite Sammlung mit über 10000 „Hinterlassenschaften“daraus geworden: ein „Museum der zerbrochenen Beziehungen“mit Ausstellungshäusern in Zagreb und Los Angeles. Und jetzt auch ein Buch mit 75 ausgewählten Relikten.
Das Titelmotiv zeigt eine Dose mit Liebesräucherduft, eine Erinnerung an eine Liebe, 1994 in Bloomington, Indiana, USA. Der Einsender kommentiert nur trocken: „Funktioniert nicht.“Aber da ist auch eine Postkarte aus dem armenischen Jerewan, eingesandt von einer 70-jährigen Frau, die schreibt: Diese Karte schob einst der „Nachbarsjunge unter unserer Haustür hindurch. Er war schon drei Jahre lang in mich verliebt“. Als dann aber traditionsgemäß die Familien zusammenkamen, um sich über eine Heirat zu verständigen, lehnten ihre Eltern ab: „Der Sohn der anderen Familie sei nicht gut genug für mich. Wütend und enttäuscht gingen sie. Am selben Abend lenkte ihr Sohn sein Auto über eine Klippe.“
Da sind aber vor allem jene Alltagsgegenstände, die nach dem Zerbrechen einer längeren Beziehung ihre Bedeutung erhalten. Ein brasilianischer zweier Söhne, auf deren spitzen Ohren einst während des Abwaschs die Eheringe parkten – bis er nach 16 Jahren ganz plötzlich, ohne Vorwarnung, anrief, vom anderen Ende der Welt, „und erklärte, es wäre vorbei“. Und apropos, aus Zagreb: „Die Sache währte 300 Tage lang. Er gab mir sein Handy, damit ich ihn nicht mehr anrufen konnte.“
Das südkoreanische Seoul und Heidelberg, Basel und Garbahaarrey in Somalia, San Francisco und Peking… 13 Jahre, 33 Jahre, ein Monat, vier Jahre, 43 Jahre, für immer … Es sind auch Erinnerungen an Brüder und Väter, Mütter und Freunde, Verluste durch Krieg und Krebs. Vor allem aber verlangt die in Schmerz gekippte Romantik nach Musealisierung. Eine Engländerin sandte das Buch „Ich mach dich schlank“und schreibt: „Das war ein Geschenk meines damaligen Verlobten… Muss ich mehr dazu sagen?“Ein Norweger aus Stavanger erklärt zu seiner Gabe: „Mit dem Bügeleisen wurde mein Hochzeitsanzug aufgebügelt. Es ist das Einzige, was von diesem Tag geblieben ist.“Eine Frau aus Helsinki schreibt zu einem eingesandten Fallschirm, wie sie bei jenem Hobby den Mann dazu kennen und lieben lernte – und durch einen Absturz verlor.
Tragisches, Bitteres, Skurriles: „Am Ende hatte ich das Konzept der ‚romantischen Liebe‘ ausreichend verstanden, um mich für immer davon zu verabschieden.“Nein, das ist nicht die zusammenfassende Folgerung der Museumsschöpfer Vistica/Grubisic. Sondern nur die persönliche einer Amsterdamerin, deren Partner zu ihrer besten Freundin wechselte – woraufhin sie „tränenblind“in Goethes „Die Leiden des jungen Werther“versank. Noch so ein Klassiker.
Die Sammler bilanzieren: „Seinem sprechenden Namen zum Trotz ist das Museum der zerbrochenen Beziehungen ein Ort des Lebens, des Verlangens und der Hoffnung. Es feiert die Widerstandskraft des menschlichen Geists, der erstaunlicherund glücklicherweise fast immer aufs Neue bereit ist, der Liebe eine Chance zu geben.“Und womöglich führt deren Gelingen ja gerade über das Bewusstsein, dass sie jederzeit scheitern kann. Übersetzt von Michael Gärtner. Rowohlt, 128 S., 15 ¤ Tiefere Einblicke in die Samm lung und Kontakt zum Selberspenden unter Mit dem Roman „Unsere Seelen bei Nacht“(verfilmt im vergangenen Jahr mit Jane Fonda und Robert Redford auf Netflix) hat der 2014 gestorbene US-Autor Kent Haruf auch die Herzen der deutschen Leser erobert. So werden nun wohl auch seine zuvor erschienen Bücher neu entdeckt werden. Sie spielen allesamt in der fiktiven Kleinstadt Holt in Colorado. „Plainsong“heißt der erste, nun wiederveröffentlichte Roman im Original, 1999 erschienen, und als „Lied der Weite“soll es an den Überraschungserfolg von „Unsere Seelen bei Nacht“anknüpfen.
Auch hier geht es um Vertrauen, um Geborgenheit außerhalb des traditionellen Familienverbundes, um das Große im Kleinen. Auch hier spiegelt die Außenwelt die Innenwelt der Protagonisten. Im Mittelpunkt steht die Geschichte einer 17-jährigen Schülerin, die von einer Zufallsbekanntschaft schwanger und daraufhin von der Mutter verstoßen wird. Ihre Lehrerin bringt sie auf der Farm eines ältlichen Brüderpaars unter. Um dieses zentrale Thema gruppiert Haruf weitere Geschichten, die von einer untergegangenen Welt berichten: von harten Männern mit zarten Seelen, von unendlicher Weite und kleinlichen Streitereien, von Frauen, die ihre Stellung in der Gesellschaft noch suchen und daran zu scheitern drohen. Der Grundton des Romans ist melancholisch. Eine lesenswerte Zeitreise. (li)
Übs. von Rudolf Herm stein, Diogenes, 337 S., 24 ¤
Fast schon ärgerlich, dass es dieses Buch nicht unter die Nominierten für den Leipziger Buchpreis geschafft hat. Eben das ist seiner bereits früh als Erzählerin („Der Körper des Salamanders“) ausgezeichneten Verfasserin Julia Schoch zwar schon vor einigen Jahren beim Romandebüt „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“gelungen – aber jetzt, mit „Schöne Seelen und Komplizen“, wäre es ein besonderes Signal gewesen. Denn Schoch gelingt etwas, woran – wie zuletzt auch Ingo Schulze mit seinem Schelmenstück „Peter Holz“– viele gescheitert sind: ein überzeugender Wenderoman.
In der besonders starken ersten Hälfte leuchtet die 43-jährige Brandenburgerin hinein in ihre Generation, die gerade pubertierend im Osten (hier: in Potsdam) auf den Schulabschluss zuging, als plötzlich die Welt eine andere wurde. Politisch Engagierte, Coole und Außenseiter, Künstlertypen und von geflohenen Eltern Zurückgelassene… – im steten Ich-ErzählerWechsel lässt sie sie alle mit ihren Überzeugungen und Alltagsängsten, familiären Zerrüttungen und romantischen Träumen glaubwürdig zu Wort kommen. Am Ende die Wende.
Und dann? Teil zwei, heute, das gleiche Ich-Karussell, drapiert um ein eher desaströses Klassentreffen: Was ist aus den letzten Ost-Kids geworden? Eine nicht nur über das Deutsch-Deutsche, sondern auch über die politische Systemfrage und das persönliche Glück vielsagende Bilanz. (ws)
Piper, 320 S., 20 ¤