SPD vergeht die Lust auf Folklore
Scholz statt Schulz: Die Sozialdemokraten backen diesmal deutlich kleinere Brötchen. Werbung für den Mitgliederentscheid ist wichtiger als Wahlkampfattacken
Wie schnell sich in der Politik die Zeiten ändern: Ein Jahr ist es erst her, da surfte die BayernSPD mit ihrem frisch gekürten Kanzlerkandidaten Martin Schulz beim Aschermittwoch in Vilshofen hoch oben auf der Euphoriewelle. Die Meinungsumfragen gingen durch die Decke, selbst eine Ablösung von Kanzlerin Angela Merkel schien greifbar. Knapp 5000 Genossen jubelten Schulz zu.
Ein Jahr danach ist die SPDEuphorie einer schweren Depression gewichen – nicht nur in Vilshofen. Martin Schulz ist inzwischen SPDGeschichte: gescheitert als Kanzlerkandidat, als möglicher Außenminister zum Rückzug gezwungen – und just am Tag vor Aschermittwoch auch noch als SPD-Chef kommissarisch von Olaf Scholz abgelöst. Beim Aschermittwoch heißt es nun nicht nur Scholz statt Schulz als Hauptredner, sondern auch: nur 2000 statt 5000 Zuhörer im diesmal deutlich kleineren Festzelt.
„Wir haben dich eingeladen als Ersten Bürgermeister der Hanse- stadt Hamburg. Und heute bist du hier als Vorsitzender der SPD“, begrüßt Bayerns SPD-Chefin Natascha Kohnen den Gast aus dem Norden. Schnelle Zeiten eben – zumal Scholz ja nur bis April für Andrea Nahles den Platz freihalten soll.
Kein Zweifel: Es liegen Welten zwischen der SPD-Aschermittwoch-Stimmung vor einem Jahr und diesmal. „Unsere Partei hat in den letzten Wochen oft nicht das beste Bild abgegeben“, versucht sich Natascha Kohnen in Vorwärtsverteidigung. Und ja, fügt sie an, „unsere Partei ist anstrengend“.
Die im Aschermittwoch-Bierzelt üblichen Attacken unter die CSUGürtellinie spart sich Kohnen weitgehend: „Menschen in die Ecke zu drängen, ist nicht Heimat“, sagt sie in Richtung des möglichen Bundesheimatministers Horst Seehofer. Was der CSU-Chef in seinem „Austragsstüberl“unter Heimat verstehe, sei jedenfalls nicht der HeimatBegriff der SPD: „Da geht es nicht um Ausgrenzung oder Abschottung, da geht es um das Miteinander.“
Von einem krachenden Auftakt zum Landtagswahlkampf kann kei- ne Rede sein: Eher gleicht der SPDAschermittwoch 2018 einer Werbeveranstaltung für den Mitgliederentscheid zum Koalitionsvertrag. Sie höre immer wieder, diese GroKo sei nicht der große Wurf, sagt Kohnen. Doch er helfe ganz konkret Rentnern, Alleinerziehenden, Wohnungssuchenden: „Soll ich diesen Menschen etwa sagen: Wir warten noch auf den großen Wurf?“
Auch Olaf Scholz wirbt in Vilshofen um Zustimmung zur GroKo: „Die Bürger würden uns nicht verzeihen, wenn wir jetzt nicht verantwortlich handeln“, appelliert er an die Genossen. Der Brexit, Donald Trump oder Marine Le Pen hätten vor Augen geführt, wie schnell sich Zeitfenster zur politischen Mitgestaltung schließen. „Und man muss sich ja nur die Diskussion in der Union anschauen, dass wir es richtig gut hinbekommen haben“, ruft Scholz den wenigen jungen Leuten zu, die im Festzelt mit „No GroKo“-Plakaten protestieren.
Wie er die SPD aus dem Stimmungssumpf holen will, sagt Scholz hingegen nicht: „Die letzten Tage waren nicht die beste Performance“, hakt er das leidige Personalthema in einem einzigen Satz ab. Dagegen keine ausdrückliche Rückendeckung für Andrea Nahles, die ja für den Neustart der SPD stehen soll. Kein Wort auch zu Sigmar Gabriel, der gerne Außenminister bliebe, den viele in der SPD aber lieber aufs Abstellgleis geschoben sähen. Kein Wort dazu, wer in der SPDSpitze jetzt die von den Genossen eingeforderte Zustimmung zum Koalitionsvertrag glaubhaft verkörpern soll.
Mit der ihm eigenen hanseatischen Zurückhaltung verzichtet auch Scholz fast ganz auf Aschermittwochs-Folklore: „Nicht nur ein bayerischer Politiker hat den Zenit seiner Karriere überschritten, sondern auch eine Frau aus dem Norden“, ist das Maximum an Attacke, wozu er sich hinreißen lässt.
Mit kämpferischen Worten stimmte GrünenBundeschef Robert Habeck seine Partei beim Politischen Aschermittwoch auf die Landtagswahl in Bayern ein. „Die Grünen wollen den Absolutismus der CSU brechen“, rief er vor etwa 400 Zuhörern in Landshut. „Dieses Land gehört keiner Partei, dieses Land gehört nicht der CSU.“Bei den Grünen gebe es eine Vision „für eine großartige Veränderung“. Bayern sei zwar ein denkbar schwieriges Pflaster, doch hier gebe es ein großes Potenzial: Dickschädeligkeit und Rauheit einerseits, Weltoffenheit und Veränderungsbereitschaft andererseits. Habeck erinnerte an sein persönliches Vorbild, den 2010 gestorbenen bayerischen Grünen-Politiker Sepp Daxenberger.
Habeck forderte, mehr Verantwortung für die Umwelt weltweit zu übernehmen, und verwies auf die jüngsten Berichte zum Anstieg der Meeresspiegel. „Wir werden nicht untergehen. Wir haben Geld.“In anderen Teilen der Welt sehe das anders aus. Sich angesichts von Not und Kriegen abzuschotten und Flüchtlinge nicht haben zu wollen, sei „bigotte Politik“.
Habecks Vorgänger an der Grünen-Spitze, Cem Özdemir, sprach am Abend im Oberallgäuer Sulzberg beim Politischen Aschermittwoch der Grünen. Özdemir ermahnte die SPD als die „Partei Willy Brandts“, sich am Riemen zu reißen. Richtung CSU und deren Verkehrspolitik meinte er, „wer gern mit der DieselLok durch die Landschaft tuckert und sich von einer Kuh überholen lässt“, sei gut bei der CSU aufgehoben. Und er übte auch Kritik an der potenziellen Ministerposten-Verteilung im neuen Kabinett und daran, dass mit Entwicklungsminister Gerd Müller einer der „fähigsten Minister“womöglich gehen müsse: „Der, der den besten Job macht, muss jetzt um seinen Job fürchten, andere werden befördert.“