„Bessere Versorgung mit weniger Kliniken“
Helmut Platzer hat 19 Jahre lang Bayerns größte Krankenkasse geführt. Für ihn doktern die GroKo-Parteien an den falschen Themen herum. Auch für den Kampf gegen den Mangel an Pflegekräften hat er andere Vorschläge
Theorie und Praxis liegen oft auseinander. Oder wie es der scheidende bayerische AOK-Chef Helmut Platzer ausdrückt: „Man muss unterscheiden zwischen der echten und der gefühlten Temperatur.“Die Unterschiede zwischen gesetzlich und privat versicherten Patienten dominierten lange Zeit die Koalitionsverhandlungen in Berlin, die SPD wollte die „Zwei-KlassenMedizin“beseitigen.
Schon dass es überhaupt ein Thema wurde, überraschte Platzer. Gesundheitspolitik „wird nicht der Renner“, hatte er vor der Wahl gesagt, und werde auch nicht das Schlüsselthema in den Verhandlungen sein. Da habe er falschgelegen. Dass es anders gekommen sei, habe viel mit dem Bemühen der SPD zu tun gehabt, sich von der Union unterscheiden zu wollen. Aber die Themen, um die es dann gegangen ist, seien auch nicht die gewesen, die man unbedingt erwarten würde, wenn man an Praxis und die strukturelle Weiterentwicklung des Systems denken würde. Platzer erinnert sich an den Beginn der Debatte über die Bürgerversicherung. Vor über 15 Jahren sei es um Dinge wie Gerechtigkeit und Verbreiterung der finanziellen Grundlagen gegangen. Wenn jetzt dabei herauskommen sollte, dass Ärzte für gesetzlich versicherte Patienten das gleiche Honorar bekommen sollen wie für Private, dann sei das schon enttäuschend, sagt Platzer bei einem Besuch unserer Redaktion.
19 Jahre lang hat der gebürtige Hesse mit dem unverkennbaren oberbayerischen Dialekt – er kam schon mit zwei Jahren nach Mün- chen – Bayerns größte Krankenkasse geführt. Er weiß also, wo es im Gesundheitssystem krankt. Bei der Terminvergabe in den Arztpraxen, dem zweiten gesundheitspolitischen Reizthema der Koalitionsverhandlungen, bestimmt nicht, sagt er. Platzer erzählt von einer alten Bekannten, die privat versichert ist und ihm flapsig gesagt hat: „Ich zahle so viel an Beitrag. Ich suche mir jetzt endlich mal einen Arzt, der macht.“Ihr Arzt versuche höchstens, ihr etwas zusätzlich zu verkaufen oder aufzudrängen. Platzers Credo: „ZweiKlassen-Medizin entscheidet sich, wenn überhaupt, in der Behandlung beim Arzt.“Und nicht danach, wann jemand einen Termin kriegt und wie es im Wartezimmer ausschaut, auch nicht danach, welcher Gerätepark eingesetzt wird.
Die Terminvergabe sei zum Beispiel in Bayern überhaupt kein Problem. Platzer nennt Zahlen, die das belegen könnten. Jährlich gibt es in den Praxen 80 Millionen Behandlungen. Aber nur rund 10 000 Mal wurde die Telefonnummer jener zentralen Stelle (Hotline: 0921/787 765-550 20) angerufen, die vor zwei Jahren eigentlich eingerichtet wurde, um schneller einen Facharzttermin zu bekommen.
Wo also sind die strukturellen Probleme, die einer Weiterentwicklung des Systems bedürfen? Platzer, ein Mann der klaren Worte, nennt als Beispiel die Vielzahl der Krankenhäuser. „Wir leisten uns den Luxus einer massiven Überversorgung im stationären Bereich“, sagt er. Das gelte auch für Bayern. Seine These: Wenn es gelänge, sich auf das wirklich Notwendige zu beschränken, indem man die Zahl der Betten reduziert oder die Zahl der Krankenhäuser, dann hätte man auch genügend Pflegekräfte. Die Überversorgung an bestimmten Stellen führe dazu, dass das vorhandene Potenzial versickert. „Wir können 8000, 12000, 15000 Stellen in die Vereinbarungen reinschreiben, die Menschen sind einfach nicht da, die die Jobs dann übernehmen“, kritisiert er den Koalitionsvertrag von Union und SPD, der mehr Pflegepersonal verspricht.
Platzer plädiert für eine weitere Spezialisierung der Kliniken. „Ein Krankenhaus, in dem im Jahr 50 Geburten gemacht werden, hat nicht die Berechtigung, am Netz zu bleiben“, drückt er es, wie er selbst sagt, „bewusst etwas übertrieben“aus. Nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten, wie Platzer hinzufügt, sondern auch unter qualitativen. Da gebe es erhebliches PotenziZwei-Klassen-Medizin al, um nachzusteuern. Der AOKChef wird deutlich: „Wir müssen weg davon, dass im Grunde genommen jeder alles machen kann.“Und fügt hinzu: „Wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen: Ist ein schlechtes Krankenhaus in unmittelbarer Nähe wirklich besser als gar keines?“Entfernungen würden hierzulande bei weitem nicht die gleiche Rolle spielen wie etwa in Norwegen oder Schweden.
In Bayern seien sie doch an jedem Ort überschaubar. Zwar gibt es stets Proteste, wenn ein Krankenhaus
Es dürfte Zufall gewesen sein, dass Boris Johnson ausgerechnet am Valentinstag seine große Brexit-Rede hielt. Trotzdem passte es zum 14. Februar, dass der britische Außenminister ein Zeichen der Versöhnung an seine europafreundlichen Gegner aussandte. Der Brexit gebe „Anlass zur Hoffnung, nicht zu Furcht“, sagte der lautstärkste Befürworter des EU-Austritts. Gleichzeitig warnte er vor dem Versuch, den Brexit zu stoppen und damit das Votum vom 23. Juni 2016 zu missachten. „Das wäre ein katastrophaler Fehler, der zu dauerhaften und unauslöschlichen Gefühlen des Verrats führen würde.“
Die Regierung von Premierministerin Theresa May startet mit Johnsons Rede die Kampagne „Der Weg zum Brexit“. Nun soll es mehr Details über ihren Kurs geben. Erst vergangene Woche hatte Brüssels Chefunterhändler Michel Barnier eine rasche Stellungnahme angemahnt. Wie will das Königreich seine Beziehungen zur EU künftig gestalten? Konkrete Ideen breitete auch Boris Johnson gestern nicht aus. Lösungen für schwierige Fragen, wie etwa die Zukunft der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland aussehen könnte, blieb er schuldig. Vielleicht erfährt Kanzlerin Merkel etwas mehr. Ab morgen ist May in Berlin zu Gast.