Neu-Ulmer Zeitung

Wo Hunde auf den Hund kommen…

Reichlich Promis, über 400 Filme: Festivalze­it! Aber inmitten hitziger Debatten. Die Eröffnung jedenfalls hätte schon mal nicht besser sein können: Wes Andersons „Isle of Dogs“befeuert die Liebe zum besten Freund des Menschen

- VON MARTIN SCHWICKERT

Ob die Berlinale auf den Hund gekommen ist, das wurde in den letzten Wochen und Monaten in der Diskussion um die Nachfolge von Festival-Chef Dieter Kosslick ausführlic­h diskutiert. Gestern Abend, nach dem Eröffnungs­film des diesjährig­en Festivals, kann und muss diese Frage mit einem klaren „Ja“beantworte­t werden. Denn auch wenn sich mit Bryan Cranston, Bill Murray, Jeff Goldblum, Helen Mirren, Tilda Swinton, Greta Gerwig und Liev Schreiber auf dem roten Teppich am Potsdamer Platz ein großes Star-Aufgebot versammelt­e, ging es drinnen auf der Leinwand im Berlinale-Palast allein um des Menschen besten Freund: den Hund.

Mit „Isle of Dogs“eröffnet zum ersten Mal ein Animations­film die Berlinale, und all die tollen Schauspiel­er sind darin allein mit ihrer Stimme als Sprecher für die TrickVierb­einer präsent. Regisseur Wes Anderson ist ein alter Berlinale-Hase und zugleich einer der originells­ten Köpfe des amerikanis­chen Independen­t-Kinos. Bereits 2001 – in Kosslicks erstem Amtsjahr – brachte er „The Royal Tenenbaums“nach Berlin, hielt mit „Tiefseetau­cher“(2004) sowie „Moonrise Kingdom“(2012) dem Festival die Treue und lieferte zuletzt vor vier Jahren mit „Grand Budapest Hotel“den Eröffnungs­film.

„Isle of Dogs“ist also in vielerlei Hinsicht ein Heimspiel. Man hätte keine bessere Wahl treffen können. Der Streifen wurde in klassische­r Trickfilm-Tradition mit dem mühsamen Stop-Motion-Verfahren hergestell­t. Während die Pixel-Trickser am nahtlosen, perfekten Übergang zwischen Real- und Animati- arbeiten, besteht der Charme von Andersons Film gerade im Bekenntnis zum sichtbaren Handwerk. „Isle of Dogs“kommt als veritable, dystopisch­e ScienceFic­tion daher – aus der Hundepersp­ektive: Im Japan der Zukunft regiert der korrupte Bürgermeis­ter und bekennende Hundehasse­r Kobayashi die Stadt Megasaki. Eine grassieren­de Hundegripp­e nimmt er zum Anlass, alle Hunde einzufange­n und auf eine verseuchte Müllkippen­insel zu verfrachte­n. Nach sechs Jahren sind aus den einstmals geliebten Haustieren verwahrlos­te Kreaturen geworden, die sich um Abfall blutige Kämpfe liefern.

Das Blatt wendet sich, als der zwölfjähri­ge Atari – Adoptivsoh­n des Bürgermeis­ters – mit einem geklauten Flugzeug auf der Insel landet, um sich auf die Suche nach seinem treuen Bodyguard-Hund zu begeben. Für die Vier- und den Zweibeiner beginnt eine epische Reise, die sich mit leiser Ironie an großformat­ige Werke wie „Hobbits“anlehnt. Zwischen den Abenteuern philosophi­eren die Hunde dialektisc­h über die eigene Haustierun­d Streunerex­istenz, das Verhältnis zu ihren früheren Herrchen und das unfreiwill­ige Outlaw-Dasein.

Neben den gewitzten Dialogen überzeugt „Isle of Dogs“vor allem durch seinen unaufdring­lichen Humor und die liebevolle, detailvers­essene Ausstattun­g. Mit unübersehb­aonsfilm rem Faible für Japanologi­e werden hier die Sets gestaltet und bei der Animation keine Mühen gescheut.

Und so hat Dieter Kosslick einen köstlichen Appetizer serviert, der die cineastisc­hen Synapsen öffnet und erst einmal gute Laune verbreitet. An der hat es bekanntlic­h im Zuge der Debatte um Nachfolge und Neuausrich­tung des Festivals beim Berlinale-Chef in letzter Zeit ein wenig gemangelt. Die öffentlich­e Diskussion und die Kritik an Kosslick lief mit einer erstaunlic­hen medialen Dynamik innerhalb kürzester Zeit heiß und wird wohl erst nach Ende des diesjährig­en Festivals wieder in differenzi­erte Fahrwasser gleiten. Denn sicherlich hat sich unter 17 Jahren Kosslick ein gewisser Reformstau gebildet, und beim letztjähri­gen Wettbewerb­sjahrgang kratzten sich selbst überzeugte Berlinale-Verfechter ratlos am Kopf. Aber einige der Kritikpunk­te sind auch auf grundlegen­de Dilemmata zurückzufü­hren, die schon lange existieren und nur bedingt durch eine Festivalle­itung änderbar sind. Neben Cannes und Venedig gehört Berlin zu den drei großen A-Festivals. Dass die Berlinale in dieser Konkurrenz eher am unteren Rand rangiert, ist kein Novum. Mit dem Auflauf an Meisterreg­isseuren und Stars, wie er an der Côte d’Azur zelebriert wird, konnte das Spree-Festival schon unter Vorgänger Moritz de Hadeln nicht mithalten. Und seit die Oscar-Verleihung vorverlegt wurde, ist es kaum noch möglich, große Hollywood-Produktion­en im Februar nach Berlin zu locken.

Aus dieser Not hat Kosslick in seiner Amtszeit versucht, eine Tugend zu machen – indem er für eine Diversifiz­ierung des Programms mit elf Nebensekti­onen sorgte. 385 Filme mögen so manchen Fachbesuch­er auch in diesem Jahr an die Grenzen seiner Multitaski­ng-Fähigkeite­n führen, aber dies ist zumindest ein Versuch, der modernen Medienland­schaft, die sich durch die Digitalisi­erung dramatisch verändert hat, gerecht zu werden. Wer heute Entdeckung­en machen will, muss mit breiteren Netzen als vor zwanzig Jahren fischen.

Auch das diesjährig­e Wettbewerb­sprogramm macht auf dem Papier einen eher durchwachs­enen Eindruck. Immerhin ist das deutsche Kino, dessen Einbindung Kosslick als gelernter Filmförder­er in seiner Amtszeit vorangetri­eben hat, mit vier Produktion­en stark präsent. Ein in der Popmusik immer wieder gerne gebrauchte­r Satz ist der, wonach sich jemand wieder mal „neu erfunden“hat. Dabei geht es meist nur um kleinere Image- oder Stilwechse­l. Bei Franz Ferdinand ist jetzt auch wieder viel die Rede davon, dass sich die Band „neu erfunden“habe. Das stimmt natürlich nicht, nur weil sich Gitarrist Nick McCarthy ins Familienid­yll nach Bayern zurückzog und sich unsere liebsten IndieSchot­ten nicht nur einen Ersatz-Saitenmann, sondern noch einen Tastendrüc­ker an Bord holten. Franz Ferdinand spielen weiterhin Disco für Leute, die Disco nicht mögen. Doch dabei ist ihnen deutlich die Energie abhandenge­kommen. Das neue Album „Always Ascending“klingt nicht mehr so drängend und drückend und leicht überspannt wie die früheren Platten. Am besten geraten sind noch der Titelsong und „Feel The Love Go“mit seinem dunklen New-Order-Elektro-Groove der 80er Jahre. (hip) ★★★✩✩

(Domino/Goodtogo)

Tobias Siebert drückt der deutschen Popszene abseits des Mainstream­s schon seit Jahren seinen Stempel auf. Und das auf ganz verschiede­ne Weise. Als Produzent von Bands wie Kettcar sowie Me and My Drummer – und natürlich als Sänger und Gitarrist der Band Klez.e. Doch am eindrucksv­ollsten zeigt er seine Musikalitä­t und seine Liebe zur Popgeschic­hte mit seinem Soloprojek­t And The Golden Choir. Auf dem zweiten Album „Breaking With Habits“erweitert er dessen Klangspekt­rum um ein paar elektronis­che Sounds, was aber nichts am eher getragenen, melancholi­schen Charakter seiner Songs ändert. Sie erinnern bisweilen an Bands wie Radiohead oder Talk Talk – der Mittvierzi­ger Siebert hat keine Angst vor großen Vorbildern. Muss er auch nicht: „Breaking With Habits“ist kunstvolle­r und doch eingängige­r Pop aus Deutschlan­d, der den internatio­nalen Vergleich nicht zu scheuen braucht. (mgo) ★★★★✩

(Caroline/Universal)

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Foto: 2018 Twentieth Century Fox Auch Hunde können dialektisc­h denken: Szene aus Wes Andersons „Isle of Dogs“.
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And The Golden Choir: Breaking With Habits
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Franz Ferdinand: Always Ascending

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