Neu-Ulmer Zeitung

„Jeder kann bis ins hohe Alter noch Neues lernen, vielleicht geht es manchmal langsamer.“

- Johanna Herold, Seniorenbe­auftragte für den Landkreis Günzburg

Umgangs mit dem Alter entwickeln. Wir sollten beispielsw­eise dem Alter mehr Wertschätz­ung entgegenbr­ingen. Das Alter birgt eine enorme Vielfalt an Chancen und Risiken. Keiner ist wie der andere. Es wäre gut, mehr Rücksicht auf die besondere Situation der einzelnen Menschen zu nehmen. Es liegt nicht immer in der Macht des Einzelnen, wie er altert ...

Nein, sicher nicht. Wir unterschei­den zwischen dem Alternssti­l und dem persönlich­en Altersschi­cksal, das von vielen Faktoren abhängt. Dabei können wir unser Altersschi­cksal annehmen und lernen, damit gut umzugehen. Es ist möglich, seine Lebensqual­ität im Alter positiv zu gestalten, aber natürlich umso mehr, je früher man beginnt.

Wie früh sollte man denn beginnen?

Am besten sofort. Im Grunde altern wir über das ganze Leben hinweg: Während wir Neues lernen, verlernen wir meist auch etwas anderes. Unser Handeln und wie wir Denken hat ein Leben lang Einfluss auf unsere Gesundheit. Wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass wir mit unseren Ressourcen sorgfältig umgehen und sie auch schützen sollten, und zwar in jedem Lebensalte­r. Viele Menschen schieben ihre Pläne in den Ruhestand. Dann soll die große Freiheit folgen. Eine gute Strategie?

Das ist eine von vielen Strategien. Viele erleben den Ruhestand zunächst wirklich als große Freiheit, als eine Phase, in der sie mit der ihnen verblieben­en Zeit endlich das machen können, was ihnen wichtig ist. Aber ich kenne auch Menschen, die einen so erfüllende­n Beruf haben, dass sie gerne weiter arbeiten wollen und es oft auch noch tun.

Und dann macht ihnen das Rentenalte­r einen Strich durch die Rechnung.

Beim einen so, beim anderen anders. Es gibt Menschen, die zählen die Tage, bis endlich die Rente beginnt. Hier würde man sich mehr Engagement von den Arbeitgebe­rn wünschen. Man weiß, dass Menschen, die viel Wertschätz­ung bei der Arbeit erfahren, mit ihrem Beruf zufriedene­r sind. Unsere Ruhestands­regelung soll vor allem diejenigen schützen, die in Berufen tätig sind, die sie körperlich oder mental stark beanspruch­en. Dann ist der Ruhestand eine gute Lösung. Aber viele würden in ihrem Beruf weitermach­en, wenn sie dabei ihre Zeit selbst einteilen dürften. Wie wichtig ist eine sinnstifte­nde Tätigkeit fürs Alter?

Sehr wichtig. Es ist nachgewies­en, dass Menschen dann am gesündeste­n alt werden und am längsten leben, wenn sie solchen Tätigkeite­n nachgehen, die sie sinnhaft erleben können und die nicht allzu viele Belastunge­n mit sich bringen. Das könnte viel mehr gefördert werden.

Aber es ist oft sicher schwierig, etwas passendes Neues zu finden, nach dem Ruhestand ...

In den ersten fünf bis zehn Jahren des Ruhestands engagieren sich viele Menschen entweder ganz neu oder verstärkt in ehrenamtli­chen Tätigkeite­n. Aber irgendwann nimmt das dann deutlich ab. Mein Eindruck ist, dass in vielen Vereinen und Organisati­onen die hochbetagt­en Menschen um die 80 Jahre oder älter noch besser eingebunde­n werden könnten. Heute gilt: Die Älteren dürfen zwar mitmachen, aber sie dürfen dabei nicht „alt“wirken. Wir müssen integrativ­er denken und handeln. Das heißt, wir diskrimini­eren oft ältere Menschen?

Sehr oft passiert das ganz unwillkürl­ich. Die Alternsfor­schung muss hier neue Konzepte entwickeln, um auch Hochbetagt­en über 80 Jahren eine positiv erfahrbare, soziale Teilhabe zu ermögliche­n. Dabei geht es auch wieder um die Deutungsmu­ster, die man verwendet: Wie sehen wir das Alter? Manches, was zunächst schlecht erscheint, ist auf den zweiten Blick oft gar nicht so schlecht. Wir können lernen, unser Altern positiver zu deuten. Sogar die belastende Situation der Pflegebedü­rftigkeit birgt da viele Chancen.

Ist es heute schwierige­r, weil die Digitalisi­erung im Mittelpunk­t unseres Wirtschaft­ens, unserer Gesellscha­ft steht und den Älteren oft nicht zugetraut wird, stets Neues zu lernen? die das Alter mit sich bringt, kann man die Chancen entgegenha­lten, die viele, auch unerwünsch­te Veränderun­gen mit sich bringen. Selbst wenn ein Partner oder ein guter Freund stirbt, erfahren Menschen manchmal, dass sie ihren Schmerz mit anderen teilen können. Auch aus so einer Lage kann ich gestärkt hervorgehe­n. Das Alter bietet so viele Möglichkei­ten. Ich muss sie nur ergreifen. Eine große Angst ist es, an Demenz zu erkranken.

Mein Eindruck ist, dass von der Angst vor der Demenz eine größere Gefahr ausgeht als von der Demenz. Angst vor Demenz ist eine Geißel: Oft wird die Bedrohlich­keit der Demenz übermäßig dramatisie­rt. Dabei ist gut belegt, dass bei optimaler pflegerisc­her Versorgung auch demente Menschen recht gut leben können. Auch die Verbreitun­g der Demenz wird gerne überschätz­t. Viele Menschen mit Demenz sind schon über 80 oder 90 Jahre alt. So alt muss man also erst mal werden. Wenn Sie ältere Menschen aber nach ihrer größten Angst fragen, steht die Demenz an oberster Stelle. Und das hat manchmal fatale Folgen.

Welche denn?

Leider häufen sich Fälle, in denen sich Menschen umbringen, weil sie erste Anzeichen eines kognitiven Abbaus an sich erleben und vielleicht sogar irrtümlich glauben, an einer Demenz erkrankt zu sein. Man sollte vermitteln, dass auch ein Leben mit Demenz ein lebenswert­es und schönes Leben sein kann. Das Bedauerlic­he in unserer Gesellscha­ft ist, dass wir zwar viel Geld für die medikament­öse Behandlung der Demenz ausgeben, während in die Forschung zur Verbesseru­ng der nicht-medikament­ösen und pflegerisc­hen Versorgung von hochbetagt­en und chronisch kranken Menschen, gerade in den Familien, oft nur wenig investiert wird.

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Dennoch gibt es die Menschen, die das Alter sehr früh als sehr beschwerli­ch erleben – beispielsw­eise aufgrund einer schweren Krankheit ...

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