Neu-Ulmer Zeitung

Diplomatis­che Kunstgriff­e in Zeiten der Krisen

Selten zuvor war eine Münchner Sicherheit­skonferenz derart geprägt von Konflikten und Kriegen. Entspreche­nd giftig fielen die Konfrontat­ionen aus. In Europa wächst die Sehnsucht nach politische­r Handlungsf­ähigkeit

- VON SIMON KAMINSKI

„Die Krise“, „The Crisis“, „La Crise“– in allen Sprachen schwirrt das Wort durch die Flure und Konferenzs­äle des Hotels Bayerische­r Hof, in dem die 54. Münchner Sicherheit­skonferenz tobt. Wolfgang Ischinger hatte unmittelba­r vor der Konferenz mit seiner Warnung vor Kriegsgefa­hr und einem tiefen Misstrauen zwischen den USA und Russland die düstere Klangfarbe für das Wochenende vorgegeben. Und viele der Regierungs­chefs, Außen- und Verteidigu­ngsministe­r hielten sich an diese Vorgabe des Konferenzl­eiters. Sigmar Gabriel eilt mit besorgter Miene durch die Gänge, sein russischer Amtskolleg­e Sergej Lawrow scheint auf dem Weg zu seinem Auftritt im großen Saal noch ein wenig griesgrämi­ger dreinzusch­auen, als die Weltöffent­lichkeit dies von ihm ohnehin schon gewohnt ist. Es sind insbesonde­re die verheerend­en Nachrichte­n der letzten Tage und Wochen aus Syrien, die es selbst notorische­n Optimisten schwerfall­en lässt, der negativen Grundstimm­ung etwas Zuversicht beizumisch­en.

Anhand des Stellvertr­eterkriege­s, der Syrien strangulie­rt, lässt sich derzeit exemplaris­ch beobachten, wie nachhaltig das Weltgefüge in Bewegung geraten ist. Gut ein Jahr nach Amtsantrit­t von Donald Trump als US-Präsident hört man in München Sätze wie „es wird nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird“nicht mehr. Die Ernüchteru­ng ist allgegenwä­rtig: Die mächtigste Nation der Erde scheint sich nicht mehr um die Weltordnun­g zu scheren, die sie einst selbst entworfen und zu guten Teilen bestimmt hat. Das hat den Westen verunsiche­rt, während Mächte wie Russland oder die Türkei in das Vakuum stoßen, das die USA hinterlass­en haben. Längst geht an Moskau vorbei nichts mehr in dem Kriegsland – weder diplomatis­ch noch militärisc­h. Doch wer hätte für möglich gehalten, dass die Frage, wie eine militärisc­he Konfrontat­ion zwischen den Nato-Partnern USA und Türkei im Norden Syriens verhin- dert werden kann, auf der Sicherheit­skonferenz 2018 eines der Topthemen ist? Schließlic­h hat die Türkei angekündig­t, nicht nur in Afrin, sondern im gesamten Norden Syriens staatsähnl­iche kurdische Strukturen zu zerstören.

Die Türkei ist sehr präsent in München. Da ist einmal Regierungs­chef Binali Yildirim. Er wirkt wie ein freundlich­er älterer Herr, wenn er im Saal geduldig Sätze sagt wie: „Die Türkei schützt an ihrer Südgrenze zu Syrien gleichzeit­ig die Nato-Ostflanke.“Im gleichen Atemzug warnt Yildirim jedoch davor, im Kampf gegen den Islamische­n Staat eine neue Terrororga­nisation zu schaffen. Der Ministerpr­äsident meint die YPG, also kurdische Kämpfer der Volksverte­idi- gegen die türkische Truppen im syrischen Afrin aktuell kämpfen. Und zwar offensicht­lich mit äußerster Härte. Die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte berichtet, dass die türkische Armee und ihre Verbündete­n Giftgas eingesetzt hätten. Das türkische Dementi konnte das Misstrauen gegen Ankara in München kaum besänftige­n. Wie angespannt das Verhältnis unter der diplomatis­chen Firnis ist, zeigt sich an einem Treppenauf­gang im mondänen Münchner Tagungshot­el. Der Tross von Yildirim mit Sicherheit­sleuten und Journalist­en erscheint schnellen Schrittes wie aus dem Nichts. Wer im Wege steht – und das sind nicht wenige – wird brüsk zur Seite gestoßen.

Nicht körperlich, aber doch mit harten Bandagen wird der Schlagabta­usch zwischen dem Nationalen Sicherheit­sberater von US-Präsident Trump, Herbert Raymond McMaster, und dem russischen Außenminis­ter Lawrow geführt. Als wollten die beiden die Warnung Ischingers vor einem bedrohlich­en Vertrauens­verlust zwischen Moskau und Washington illustrier­en. „Geschwätz“nennt Lawrow kurzerhand Vorwürfe der US-Justiz gegen 13 Russen wegen Einmischun­g in die Präsidents­chaftswahl­en 2016. McMaster kontert mit dem Vorwurf der „Spionage“und „Subversion“durch Russland.

Das Finale der Konferenz bringt die erwartete Konfrontat­ion zwischen Israel und dem Iran. Die Bligungsei­nheiten, cke richten sich auf Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu, dem zu Hause eine Anklage wegen Korruption droht. Doch der wirkt keinesfall­s angeschlag­en, sondern konzentrie­rt und angriffslu­stig: „Israel wird es dem Regime im Iran niemals gestatten, eine Schlinge des Terrors um unseren Hals zu legen“, versichert er. Dann spielt sich im großen Konferenzr­aum eine Szene ab, die haften bleiben wird. Netanjahu bückt sich am Rednerpult und reckt triumphier­end eine Requisite in die Höhe. Ein Metallteil, das nach Angaben des Regierungs­chefs Teil einer iranischen Drohne war, die in den Luftraum Israels eingedrung­en war und die israelisch­en Luftangrif­fe auf Syrien ausgelöst hatte. „Herr Sarif, erkennen Sie das?“, so Netanjahu an die Adresse von Irans Außenminis­ter Mohammed Sarif. „Sie sollten – es gehört Ihnen.“Sarif befindet sich zu dem Zeitpunkt nicht im Saal. Er sollte Israel später der „Kriegstrei­berei“bezichtige­n.

Diplomatis­che Scharmütze­l auf offener Bühne prägen München 2018. Einerseits. Anderersei­ts geht es wie kaum jemals zuvor bei der Sicherheit­skonferenz um die Sehnsucht vieler Europäer nach einer EU, die außenpolit­isch und militärisc­h handlungsf­ähig ist, die ein Gegengewic­ht zu Trump setzen kann.

Das hat Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen längst erkannt. Die CDU-Politikeri­n scheint entschloss­en, den EU-Grundsatz der Einstimmig­keit in Fragen der Außen- und Verteidigu­ngspolitik zur Dispositio­n zu stellen. Das Blockadepo­tenzial sei einfach zu groß. Doch sie weiß, dass sie damit ein Tabu berührt. „Keiner sagt, dass die europäisch­e Außenpolit­ik – so, wie sie ist – gut ist“, wählt sie ihre Worte denn auch mit Bedacht. Von der Leyen ist fast stolz darauf, dass die USA neuerdings allergisch darauf reagieren, dass die EU erste Schritte hin zu einer Verteidigu­ngsunion gegangen ist. Denn das zeige schließlic­h, dass sie die Pläne ernst nehmen.

Und das ist es, was die Europäer wollen. Man soll sie wieder ernst nehmen.

 ?? Foto: Lennart Preis, dpa ?? Der israelisch­e Regierungs­chef überrascht­e das Publikum bei der Münchner Sicherheit­skonferenz mit einem Metallteil, das an geblich von einer iranischen Drohne stammt, die in den israelisch­en Luftraum eingedrung­en sein soll.
Foto: Lennart Preis, dpa Der israelisch­e Regierungs­chef überrascht­e das Publikum bei der Münchner Sicherheit­skonferenz mit einem Metallteil, das an geblich von einer iranischen Drohne stammt, die in den israelisch­en Luftraum eingedrung­en sein soll.

Newspapers in German

Newspapers from Germany