Neu-Ulmer Zeitung

Vom Gehen und Finden

Regisseur Christian Petzold hat mit „Transit“eines der wichtigste­n Werke der deutschen Exillitera­tur verfilmt. Wettbewerb­skonkurren­z kommt vor allem aus Russland

- VON MARTIN SCHWICKERT

Die Gala-Vorstellun­g am Samstagabe­nd ist das Filetstück im Berlinale-Wettbewerb. In diesem Jahr wurde der Prime-Time-Termin an Christian Petzolds „Transit“vergeben. Der deutsche Regisseur war schon mit „Yella“und „Gespenster“im Berlinale-Wettbewerb vertreten und gewann 2012 mit „Barbara“den Silbernen Bären für die beste Regie. Erstmalig bedient sich Petzold nun einer literarisc­hen Vorlage. Anna Seghers’ 1944 erschienen­er Roman „Transit“gehört zu den wichtigste­n Werken der deutschen Exillitera­tur und hat bis heute nichts an seiner Kraft und Eindringli­chkeit eingebüßt.

Petzold erzählt die in Paris und Marseille der beginnende­n Besatzungs­zeit angesiedel­te Geschichte nicht als museales Historiend­rama, sondern vor einer gegenwärti­gen Kulisse. Schon von der ersten Filmminute an, als ein Mannschaft­swagen der französisc­hen Polizei mit Sirene und Blaulicht durch die Straßen des heutigen Paris fährt, wird der Historisie­rung des Stoffes eine klare Absage erteilt. Aber ebenso wenig geht es Petzold um eine angestreng­te Aktualisie­rung. Die Gegenwart dient hier auf visueller Ebene und in wenigen Dialogpass­agen nur als Resonanzra­um für eine zeitlose Erzählung.

Nur knapp schafft es der deutsche Flüchtling Georg (Franz Rogowski) aus dem besetzten Paris nach Marseille. In der Tasche hat er den Pass und das letzte Manuskript des Schriftste­llers Weidel, der sich das Leben genommen hat. Mit dessen Identität hofft Georg nun, Visum und Schiffspas­sage nach Mexiko zu bekommen. Marseille ist für zahllose Flüchtling­e aus Deutschlan­d die letzte Hoffnung. Hier trifft Georg auf Weidels Ehefrau Marie (Paula Beer), die ihren Mann verlassen hat, nichts von dessen Tod ahnt und Tag für Tag die Straßen von Marseille nach ihm absucht, um sich zu versöhnen.

Ein wenig wie ein Gespenst taucht diese Marie mit klackenden Absätzen immer wieder in den Bistros und Wartesälen auf und passt sich damit ein in das Arsenal der Petzold-Figuren, die oft als Gespenster der eigenen Vergangenh­eit die Gegenwart bewohnen. Aber eigentlich wird hier die ganze Erzählung selbst zum Gespenst, die ins Heute hineinragt, wo Flüchtling­e erneut in Transiträu­men zum Warten verdammt sind. In der Pressekonf­erenz weist Petzold, auf die Aktualität des Stoffes angesproch­en, darauf hin, dass gerade das Schicksal von Exilantinn­en wie Anna Seghers dazu geführt habe, dass der Asylparagr­af ins Grundgeset­z aufgenomme­n wurde.

Die Folgen von Flucht und Vertreibun­g sind das Thema, das im Berlinalep­rogramm auch in diesem Jahr omnipräsen­t ist. In dem Dokumentar­film „Zentralflu­ghafen THF“untersucht Karim Aïnouz mit der Flüchtling­sunterkunf­t im Flughafen Tempelhof einen modernen Transitrau­m, an dem ebenfalls Vergangenh­eit und Gegenwart ineinander­greifen. Besonders eindringli­ch brachte in der Sektion „Panorama“Wolfgang Fischers „Styx“die moralische­n Konflikte in Zeiten der Flüchtling­skrise auf den Punkt. Eine fabelhafte Susanne Wolf spielt hier eine Ärztin, die sich als Alleinsegl­erin Thesenfilm, sondern macht sich in meditative­r Ruhe zunächst mit Schönheit und Gefahr der Meereselem­ente vertraut, baut seine starke weibliche Hauptfigur in ruhigen Beobachtun­gen auf, bevor deren moralische Integrität auf den Prüfstand gerät. Ein stiller, klug konstruier­ter Film von nachhaltig­er dramatisch­er Intensität, den man sich auch gut im Wettbewerb hätte vorstellen können.

Dort hat man allerdings mit vier deutschen Beiträgen die HeimspielO­bergrenze bereits erreicht. Wirklich bärenverdä­chtige Ware war am Wochenende im Wettbewerb noch nicht in Sicht. Benoît Jacquots behäbiger Erotik-Thriller „Eva“mit Isabelle Huppert als Edel-Prostituie­rter enttäuscht­e ebenso wie der schwedisch­e Beitrag „Real Estate“von Axel Petersén und Måns Månsson, der zwar über eine schrille ältere Frauenfigu­r verfügte, sich aber allzu selbstgefä­llig in seinem zynischen Blick auf den habgierige­n Zustand der Gesellscha­ft sonnte. Deutlich überzeugen­der fiel da schon „Dovlatov“des russischen Regisseurs Alexey German aus. Das Porträt des Schriftste­llers Sergei Dovlatov wird zu einem atmosphäri­sch dichten Sittengemä­lde der Sowjetunio­n der 1970er Jahre ausgeweite­t, als die verbotenen Autoren der Breschnew-Ära in den TransitRäu­men der russischen Geschichte vergeblich auf Erlösung hofften.

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 ?? Foto: Chr. Schulz/Berlinale ?? Marie (Paula Beer) sucht ihren Mann und trifft auf Georg (Franz Rogowski): Szene aus „Transit“, dem Wettbewerb­sbeitrag von Christian Petzold.
Foto: Chr. Schulz/Berlinale Marie (Paula Beer) sucht ihren Mann und trifft auf Georg (Franz Rogowski): Szene aus „Transit“, dem Wettbewerb­sbeitrag von Christian Petzold.

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