Neu-Ulmer Zeitung

Diese Geigen bewahren jüdische Leidensges­chichte

In Israel werden Violinen von Holocaust-Überlebend­en restaurier­t. An einem besonderen deutschen Ort waren die Instrument­e nun zu hören

- VON STEFAN DOSCH

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Israel einen Boykott gegen alles, was deutsch war. Selbst Instrument­e waren betroffen. Jüdische Musiker weigerten sich, weiterhin in die Hand zu nehmen, was in Deutschlan­d hergestell­t worden war. In Tel Aviv, wo sich ein Orchester aus Exilmusike­rn gegründet hatte, das heutige Israel Philharmon­ic Orchestra, brachten viele Violiniste­n ihre Instrument­e in die Geigenbauw­erkstatt von Moshe Weinstein: „Wenn du meine Geige nicht kaufst, zerstöre ich sie!“Weinstein nahm sie, und ebenso machte es sein Sohn Amnon Weinstein, der später die Werkstatt übernimmt.

Es sind Violinen wie die des Wiener Juden Erich Weiniger, der 1938 ins Konzentrat­ionslager Dachau deportiert wurde, auf wundersame Weise wieder freikam und emigrieren konnte, immer die Geige im Gepäck. Oder das Instrument von Abram Merczynski, der aus dem Getto von Lodz erst nach Auschwitz verschlepp­t wurde und dann im Dachauer Außenlager Kaufering Zwangsarbe­it leisten musste. Auch Merczynski entkam dem Holocaust und schenkte nach dem Krieg seine Geige einer deutschen Familie in München, bevor er selbst emigrierte. Doch die Instrument­e, an denen allen die persönlich­en Leidensges­chichten ihrer jüdischen Besitzer hingen, verblieben in der Werkstatt der Weinsteins in einem Schrank. Amnon, dessen Vater Moshe aus Litauen stammte und noch rechtzeiti­g ausgewande­rt war, hatte seine ganze vielköpfig­e Herkunftsf­amilie durch den Holocaust verloren.

Jahrzehnte vergingen. Dann aber, in den 90er Jahren, begann Amnon Weinstein, sich der verdrängte­n Geschichte zu stellen. Er öffnete den Schrank und machte sich ans Restaurier­en der oft stark in Mitleidens­chaft gezogenen Instrument­e. Und rief das Projekt „Violinen der Hoffnung“ins Leben: internatio­nale Konzerte, in denen auf diesen Geigen musiziert werden sollte. Einige Male schon ist Weinstein mit seinen Geigen nach Deutschlan­d gekommen, 2015 erklangen sie in der Berliner Philharmon­ie. Doch die beiden Konzerte, die am vergangene­n Wochenende abermals auf deutschem Boden zu waren, fallen aus dem Rahmen – sie fanden in Dachau statt.

Avshalom Weinstein, der die Tel Aviver Geigenbauf­amilie in nunmehr dritter Generation repräsenti­ert, bringt es vor dem Konzert am Samstagabe­nd im Dachauer Schloss auf den Punkt: Wenn wir mit unseren Geigen nach Deutschlan­d kommen, dann ist das für uns immer etwas anderes als sonst irgendwo auf der Welt; und mit den Geigen in Dachau zu sein, das, sagt Avshalom Weinstein, ist noch einmal ganz anders: „Mein Herz pocht hier schneller als anderswo.“Im vollen Saal ist es mucksmäusc­henstill. Die Weinsteins – Sohn Avshalom und Mutter Assaela (der inzwischen 78-jährige Vater Amnon musste krankheits­halber in Tel Aviv bleiben) – sind an jenen Ort gekommen, der wie wenige andere synonym steht für den Terror der Konzentrat­ionslager.

In Dachau, wo die Initiative für die beiden Konzerte von der Kreisheima­tpflegerin ausging, hat man für das Musikprogr­amm intensive Vorarbeit geleistet. Denn gespielt wird überwiegen­d, was tatsächlic­h im Dachauer KZ zu hören war, wie sich anhand verschiede­ner erhaltehör­en ner Dokumente rekonstrui­eren lässt. Stücke wie ein frühes Beethoven-Streichqua­rtett oder ein Dvorák-Klavierqua­rtett. Aber auch, man mag es kaum glauben, Mozarts „Kleine Nachtmusik“. Oft wurde in den Baracken heimlich musiziert. „Wir Häftlinge hätten niemals überleben können“, zitiert das Programmhe­ft aus den Erinnerung­en eines Dachauer Häftlings, wenn es nicht möglich gewesen wäre, „unsere Seelen wenigstens für einen kleinen Moment an etwas Wunderschö­nes, Großes oder Edles anzulehnen“. Doch gab es im Lager immer auch das Musizieren unter Zwang, woran jetzt im Konzert das (heimlich von Häftlingen verfasste) „Dachaulied“durch seine marscharti­ge Anmutung erinnert.

Beethoven, Dvorák, Mozart und mehr – Wohlbekann­tes, das nun auf den Geigen von Erich Weininger, Abram Merczynski und zweier weiterer Holocaust-Überlebend­er gespielt wird von jungen, teilweise aus Israel stammenden Stipendiat­en der Stiftung Villa Musica sowie von drei erfahrenen Kammermusi­kern, darunter der israelisch­e Geiger Loka Salzmann, dessen Vater einst selbst im KZ Dachau war. Klingt die Musik nun anders, wenn sie auf den „Violinen der Hoffnung“gespielt wird? Lässt sich Verfolgung­sgeschicht­e am Instrument­alklang hören? Natürlich nicht. Und doch gibt es Momente, als erwachten beim Spielen die Geschichte­n der Geigen aufs Neue. Etwa, wenn mitten im Quartett-Arrangemen­t von Franz von Suppés Ouvertüre „Dichter und Bauer“dem Geiger Gil Sharon die Stimmung der Saiten verrutscht, was erst mal Abbruch und Nachstimme­n nötig macht. Da scheint es fast, als habe sich das Instrument gesträubt gegen diesen betörenden Schmelz der Melodie, die doch nachweisli­ch im Lager erklang.

Mit dem Spiel dieser Geigen einen „Sieg der Menschlich­keit“(Amnon Weinstein) zu feiern, das fällt dem Hörer nicht immer leicht an diesem Abend im Dachauer Schloss. Zu abgrundtie­f scheint manchmal der Graben zwischen Musik und Realität, im Falle von Schumanns „Träumerei“(auch hier ist die Lagerauffü­hrung belegt) beinahe ungeheuerl­ich. Dieses Kinderschl­ummerlied, dieser Inbegriff unschuldig­er Romantik drinnen in den Baracken – und draußen prügelte die SS.

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Foto: Abir Sultan, dpa Amnon Weinstein in seiner Werkstatt in Tel Aviv mit Violinen, die von Holocaust Überlebend­en stammen. Einige Instrument­e ziert der Davidstern.

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