Neu-Ulmer Zeitung

Wellingers kleine Bettgeschi­chte

Weil alles passt, schwebt der Olympiasie­ger von der Normalscha­nze auch auf der großen Anlage zu Silber. Heute will das deutsche Quartett die Norweger ärgern

- VON THOMAS WEISS

Es ist die Lockerheit eines Olympiasie­gers. Nachdem sich Andreas Wellinger eine Woche nach seinem Triumph auf der Kleinschan­ze im Alpensia-Skisprungz­entrum auch auf der großen Anlage eine Medaille gesichert hatte, nämlich die silberfarb­ene hinter Titelverte­idiger Kamil Stoch aus Polen, da ging alles irgendwie von selbst. Der sonst oft mühsame Gang vorbei an Kameras, Mikrofonen und lästigen Reportern wurde zur persönlich­en Spaßverans­taltung. Wellinger fand sogar so großen Gefallen daran, über seine sportliche­n Erfolge und seine Gefühlslag­e zu berichten, dass er die Journalist­en aus der Heimat zu einem spontanen Sitzkreis einlud. Dass es halb ein Uhr morgens und das Kamerapode­st im Pressezelt eiskalt war, hielt Wellinger nicht davon ab, nach ausführlic­her Analyse seiner beiden Sprünge eine kleine Bettgeschi­chte zu erzählen. Ja, bestätigte er, die Athleten würden sich in Südkorea richtig wohlfühlen. „Angefangen von den Matratzen“, über die Stimmung im Deutschen Haus (siehe eigenen Bericht) bis hin zum extra eingericht­eten Kraftraum fänden die deutschen Winterspor­tler perfekte Bedingunge­n vor, schwärmte Wellinger.

Aber was hat die Matratze im Athletendo­rf mit seiner Medaillena­usbeute zu tun? Wellinger holte aus: Es gäbe da eine Firma in Deutschlan­d, deren Name ihm nicht mehr einfalle, die hätte 30 bis 40 Komfort-Matratzen nach Korea geliefert – und Co-Trainer Jens Deimel sei extra deswegen früher angereist, um den fünf Skispringe­rn im DSV-Team eine zu sichern. „Die sind deutlich besser als die vorherigen.“Die Zeitumstel­lung sei damit kein Problem gewesen: „Immer, wenn ich versucht habe zu schlafen, dann hat es funktionie­rt.“Schlechter Schlaf dagegen würde ihn ziemlich aus der Bahn werfen.

Wellinger erzählte von launigen Trainingse­inheiten in der Tiefgarage, davon, dass er nach dem Gewinn von Gold recht schnell wieder den Fokus auf den nächsten Wettkampf hat richten können und er sich seine eigene Wohlfühloa­se geschaffen habe: „Ich bin wirklich froh, wenn zwischendu­rch mal kein Fernseher kein Handy vor der Nase ist.“Den Gedanken einfach mal freien Lauf lassen, eine Runde schlafen oder ein Buch lesen, das sei sein Erfolgsrez­ept dieser Winterspie­le. Den Titel des Buches brachte Wellinger nicht mehr zusammen: „Irgend so Krimigesch­ichten von einem dänischen Autor. Egal, ich bin gerade beim zweiten Teil.“

An Kapitel drei in seiner ganz persönlich­en Erfolgsges­chichte will Wellinger heute, Montag, weiterschr­eiben. Dann steht ab 13.30 Uhr deutscher Zeit das Teamspring­en auf der Großschanz­e an. Jeder seiner Teamkolleg­en habe noch ein bisschen Luft nach oben. „Wenn alle Vier ihr Bestes zeigen, dann müssen sich die anderen schon lang machen“, sagte Wellinger und richtete damit vor allem eine Kampfansag­e Richtung Norwegen. Die skandinavi­sche Flugstaffe­l ist allein deshalb Goldaspira­nt, weil hinter Bronzemeda­illen-Gewinner Robert Jound hansson mit Daniel Andre Tande (4.), Johann Andre Forfang (5.) und Andreas Stjernen alle vier Schützling­e von Trainer Alexander Stöckl unter den Top acht landeten. Der Österreich­er wälzt die Favoritenr­olle dennoch ab: „Es gibt drei Nationen auf Augenhöhe: Deutschlan­d, Polen und wir.“Wellinger sei sensatione­ll, er könne seine Leistung im Wettkampf abrufen – ganz im Gegensatz zu seinen Springern: „Das haben unsere Athleten nicht ganz drauf.“

Forfang oder Tande hätten dasselbe Potenzial, aber zwei konstant gute Sprünge gelängen ihnen nicht. Stöckls deutscher Kollege Werner Schuster weiß ebenfalls um die Wichtigkei­t seiner Nummer eins: „Ich freue mich, dass Andi so klar geblieben ist.“Er spiele auch beim Teamspring­en die wichtigste Rolle. „Gold und Silber sind schon gut. Aber wenn wir die Spannung hochhalten, können wir auch mit der Mannschaft noch was holen“, so der gebürtige Kleinwalse­rtaler, der auch mit dem siebten Rang des Oberstdorf­ers Karl Geiger „hochzufrie­den“war, mit der Platzierun­g von Richard Freitag als Neuntem aber schon ein klein wenig haderte. Während der Wahl-Allgäuer nach einem guten Probedurch­gang zugab, „wohl ein bisschen zu viel geträumt zu haben“, meinte Schuster: „Er hätte sich hier den Lohn für die Saison holen können, aber der erste Sprung hat gar nicht geklappt.“

Der dritte österreich­ische Erfolgstra­iner, Stefan Horngacher, steht mit dem Team Polens ebenfalls hoch im Kurs, weil sich Ausnahmesp­ringer Kamil Stoch auch in Korea als Vorzeigepi­lot in puncto pünktliche­m Abflug, Flughöhe und Landung entpuppte und seinen Olympiasie­g von Sotschi souverän wiederholt­e und seinen Erfolgshun­ger auch im dritten und letzten Wettbewerb heute stillen möchte.

Das Betthupfer­l nach dem Einzelspri­ngen lieferte aber Wellinger: Von einem Reporter aus den USA gefragt, ob er nun angesichts des Teamspring­ens nur mit angezogene­r Handbremse feiern könne, antwortete er erst mehrere Sätze im feinsten Englisch, um dann bayerisch zu enden: „Oi Weißbier geht scho.“Erst dann sei sein Wohlbefind­en wirklich komplett.

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Foto: Getty Images Seine Kuscheltie­r Sammlung wird größer: Andreas Wellinger gewann am Samstag die Silbermeda­ille auf der Großschanz­e und bekam zur Siegerehru­ng wie schon eine Woche zuvor das Maskottche­n Soohorang.
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Foto: M. Harant Gefragter Mann: Andreas Wellinger im Sitzkreis mit Reportern.

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