Der Chicken Bus hat seinen Namen nicht von ungefähr
schweift schnell über seinen braungrauen Körper, die beiden Rückenflossen, die mächtige Schwanzflosse und wieder zurück zum Maul, in dem gerade einer der Fischköder verschwindet. Die anderen Ammenhaie gleiten dicht über das Seegras, folgen dem Motorengeräusch unseres Bootes. Wegen der vielen Ausflugsboote sind sie so konditioniert, dass sie zu den Booten schwimmen, sobald sie die Motoren hören. Denn die Tiere wissen: Jetzt ist Fütterungszeit am Hausriff von Caye Caulker.
Doch nicht nur die Haie jagen zum Mittagessen aus allen Richtungen in Richtung Boot. Unzählige Stechrochen gleiten an uns vorbei oder schwimmen zwischen unseren Beinen hindurch. Mit ihrem stark abgeplatteten Körper und den großen Brustflossen, die mit dem Kopf verwachsen sind, erinnern sie mich an Batman. Doch im Gegensatz zu der Comicfigur können die Rochen für den Menschen extrem gefährlich sein. Der Extrem-Tierfilmer Steve Irvine starb vor einigen Jahren durch einen Stich von einem Stechrochen ins Herz.
30 Euro kostet eine Halbtagestour am Belize Barrier Reef, dem zweitgrößten Riff der Welt. Für den ganzen Tag wird der doppelte Preis fäl-
lig. Dafür sieht man aber auch Meeresschildkröten, Seekühe und – mit etwas Glück – grüne Moränen. Eine private Aufzuchtstation für Seepferdchen ist bei der kleineren Tour auch inklusive.
Auf dem Weg dorthin verteilt Shawn seinen schier endlosen Vorrat an Fischköder an uns. „So haltet ihr den Fisch“– er klemmt die Schwanzflosse zwischen seinen Zeigeund Mittelfinger ein. Dann sollen wir den Köder etwa 30 Zentimeter über das Wasser halten und uns überraschen lassen, was passiert. Und wieder blicke ich in sein grinsendes Gesicht. Da ich sowieso nicht um diese Überraschung herumkomme, strecke ich meine Hand samt Köder über das Wasser und warte. Nach wenigen Sekunden sehe ich einen knapp ein Meter großen Fisch, dann zwei, es werden immer mehr. Tarpune sind das – ich habe von ihnen noch nie gehört. Aber sie sind mir gleich deutlich näher, als mir lieb ist. In Sekundenbruchteilen katapultiert sich einer der dicken Brocken scheinbar mühelos aus dem Wasser, schnappt sich den zwischen meinen Fingern eingeklemmten Köder und klatscht zurück ins Wasser. Ein kurzer Schock, ein kurzer Blick, ob noch alle Finger dran sind, dann – lautes Lachen. Bei mir, bei den anderen und auch bei Shawn.
Danach geht es zurück an den Steg von Caye Caulker. Die Insel ist ein Karibiktraum für meist jüngere Rucksacktouristen. Woran das liegt, ist leicht zu beantworten: an den Schnorcheltouren, aber auch an Slogans wie „Go slow“, „You better Belize it“oder „No shoes, no shirts, no problem“, die in bunten Buchstaben an den kleinen Häuserwänden prangen. Barfuß, ohne Shirt und mit entspanntem Schritt geht es hier vorwärts. Auf der Insel gibt es keine asphaltierten Straßen oder Autos, nur sandige Wege und Golfcarts. Selbst Polizisten sind in diesen kleinen Wagen unterwegs, grinsen fröhlich und grüßen jeden, an dem sie vorbeifahren. Verirren kann man sich auf der Insel nicht, denn die kleinen, parallel verlaufenden Sandstraßen sind einfach angelegt: Es
gibt nur die Front, Middle und Back Street. Die karibische Insel wurde 1961 bei einem Hurrikan geteilt – den dazwischen liegenden Graben nennen die Einwohner „The Split“.
Der Norden der Insel blieb durch die Teilung bisher weitgehend unerschlossen, doch südlich des Splits befindet sich das Dorf und somit auch der Dreh- und Angelpunkt für alle Touristen. Dort wird am Straßenrand gegrillt, am Split gebadet und mit einem Happy Hour Drink auf den Sonnenuntergang gewartet. Es gibt Ananas und Sonnenbrillen zu kaufen. Und doch fehlt etwas an diesem Ort: der klischeehafte weiße karibische Sandstrand. Die meisten Touristen finden das auch gut so. Sie kommen nach Caye Caulker um zu schnorcheln, abzuhängen und sich von den Maya-Touren in Mexiko zu erholen – „Go slow“eben.
Langsam, aber unterhaltsam vergeht auch die Reise quer durch das Land. Nach der Bootsfahrt zurück nach Belize City und dem Fußmarsch durch die wuseligen und verslumten Straßen der ehemaligen
Hauptstadt komme ich am Busbahnhof an. Ich fühle mich an einen Gefangenentransport erinnert: Polizei vor dem Gebäude, im Inneren trennen rostige Zäune und meterhohe Gitter den Wartebereich von den Bussen. Irgendwann öffnet sich eines der Tore – Fahrpläne sind relativ – und Massen von Menschen erkämpfen sich einen Sitzplatz im Bus. Vier Personen auf zwei schmalen Sitzen – kein Problem. So eingezwängt komme ich ins Gespräch mit den Einheimischen.
Die ausgemusterten, bunt bemalten amerikanischen Schulbusse heißen in Belize übrigens Chicken Bus. Warum, das wird nach einer Stunde Fahrt deutlich. Ein Mann setzt sich mit einem kleinen Karton neben mich – eine weitere Person im überfüllten Bus macht jetzt auch keinen Unterschied mehr – lächelt, und fragt nach einem Messer. Kurze Irritation auf meiner Seite, schnelles Handeln bei der Frau auf der anderen Seite. Wie selbstverständlich zieht sie ein Klappmesser aus ihrer Handtasche, überreicht es dem