Neu-Ulmer Zeitung

Er hat sich seinen Traum erarbeitet

Seit der Kindheit in Augsburg wollte Georg Klein Schriftste­ller werden. Doch es war ein weiter Weg, bis sich der Erfolg einstellte. Jetzt ist wieder ein Buchpreis in Aussicht

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Er musste scheitern. Lange, schmerzhaf­t, immer wieder, doppelt und gründlich. Davon zeigt sich der 64-jährige Georg Klein im Gespräch überzeugt. Sonst hätte sich der Traum des Jungen, der er einst in Augsburg war, nie in das Leben verwandeln können, das er heute in Ostfriesla­nd führt: als ein Schriftste­ller, dessen neuer Roman morgen erscheint, „Miakro“. Nominiert als bestes Werk der Saison bei der Leipziger Buchmesse. Ein Preis, den er schon mal gewonnen hat. 2010, mit einem Buch gerade über sein Aufwachsen in Augsburg, „Roman unserer Kindheit“. Und dieses Buch hat ihn dann auch zum ersten Mal zurück in die Heimat zu einer Lesung geführt. Schöne Geschichte.

Aber zuerst eben doch das vermeintli­ch Unschöne: dieses Scheitern. Der junge Georg Klein musste es zuerst beim Lesen erleben. Da versuchte er sich an Gruselgesc­hichten von Edgar Allen Poe und E. T. A. Hoffmann, „Der goldne Topf“, „Das Fräulein von Scuderi“. Und an den Büchern, die seine Mutter so liebte, Françoise Sagans „Lieben Sie Brahms?“etwa, dann auch an Wolfgang Koeppen. Aber er scheiterte an den Texten. Verstand vielleicht die Worte, spürte auch im Grusel „einen merkwürdig­en, geheimnisv­ollen Mehrwert, einen Zauber, den man letztlich nicht erschließe­n kann“, wie er heute sagt – und war dennoch heillos überforder­t. Aber nährten diese Bücher seinen Traum, den „Traum von der gelungenen Leseerfahr­ung“und „den Traum vom gelungenen Text“: solches also selbst auch irgendwann schaffen zu können.

Damit hat das zweite Scheitern zu tun. Denn der jugendlich­e Georg Klein hatte zwar früh angefangen zu schreiben, befördert von Lehrern am Augsburger Peutinger-Gymnasium und beseelt von der Erkenntnis, dass eben dort einst einer lernte, der wirklich zu einem großen Autor geworden war: Brecht. „Aber“, so sagt Klein, „ich war eben kein junges Genie wie er.“Noch mit Mitte 20 und bereits in Berlin machte Klein immer wieder die schmerzhaf­te Erfahrung, dass seine Texte eben nicht gelangen. Und doch arbeitete er weiter, richtete sein Leben darauf aus: Morgens bis mittags Schreibzei­t, nachmittag­s irgendwie Geld verdienen, und sei es im Paketdiens­t. So ging das lange, bis in seine Ehe, auch als Vater zweier Söhne.

Denn mit dem dritten Scheitern hatte er nicht gerechnet. Ende der 80er hatte Klein bei ersten Kurztexten „das Gefühl, jetzt stimmt’s“. 1991 dann erstmals bei einem langen: „Barbar Rosa“– der ihn zum Sieg beim Bachmann-Preis führte, aber erst neun Jahre später! Denn während Klein Anfang der 90er und auf die 40 zugehend einen wahren „Glücksfuro­r“erlebte, weil er endlich so weit war und dachte, das würde der literarisc­he Betrieb erkennen, erntete er nur Absagen.

Doch auch das sieht er heute als Glück. Denn er arbeitete wieder weiter. Und als er 1998 dann mit dem fantastisc­h aufgeladen­en Agentenrom­an „Libidissi“endlich doch einen Verlag fand, als ihn die Kritik feierte und er auch gleich den Brüder-Grimm-Preis erhielt, da stand er nicht vor dem typischen Autorenpro­blem nach einem erfolgreic­hen Erstling. Er hatte das zweite Buch und viele kürzere Erzählunge­n ja bereits fertig! So wurde aus dem Augsburger Jungen Georg Klein nach dreifachem Scheitern endlich doch, und sich dann ziemlich zügig etablieren­d, ein renommiert­er Autor mit einer treuen Leserschaf­t. Einer, der auch immer wieder für Zeitungen wie die Süddeutsch­e oder die Neue Zürcher schreibt. Und einer, der wohl dank seiner lange erarbeitet­en Fähigkeite­n „keine Angst mehr kennt“, dass ihm nichts einfallen könnte oder dass neue Texte schlecht werden würden.

Trotzdem war es für diesen Georg Klein „eine große Überraschu­ng“, dass er nun erneut in Leipzig nominiert ist. Bei „Miakro“nämlich hat er damit nicht gerechnet. Warum? Das versteht gut, wer den Roman liest. Es ist tatsächlic­h keine Frage der Qualität, sondern eine der poetischen Eigenwilli­gkeit. „Eigenweltl­ichkeit“nennt der Autor das in einer für ihn charakteri­stizugleic­h schen Wortfindun­g. Denn selbst in seinem vergleichs­weise zugänglich­en „Roman unserer Kindheit“erwächst seine Erinnerung schon als sprachlich­e Schöpfung, nicht aus alltagsähn­lichem Referieren. Und wenn er im weiten Spektrum seiner Stoffe dann wie zuletzt in „Die Zukunft des Mars“ausufert, dann fordert Klein vom Leser nichts weniger als die Bereitscha­ft, sich fernab allen Schmökerns auf eine Neuschöpfu­ng der Welt einzulasse­n.

Und besonders ausgeprägt ist das nun von den ersten Sätzen an in „Miakro“. Wie so oft folgt man Klein in einen mythisch wirkenden Untergrund, hier in ein rätselhaft­es Büro, in dem Menschen Bilder der „wilden“Außenwelt verarbeite­n und dabei mit dem Nötigsten durch Ausgeburte­n der sie umschließe­nden Wände versorgt werden… Aber sicher ist bei diesem Autor neben der poetischen Kraft seiner Sprache, die die Jury in Leipzig wieder überzeugt hat, eben auch das: Er führt aus diesem Untergrund wieder heraus – und tatsächlic­h mit jenem „geheimnisv­ollen Mehrwert“, der den lesenden Knaben einst in Augsburg nicht losgelasse­n hat.

Hanser, 336 Seiten, 24 ¤ O

Georg Klein wird sein neues Buch am 10. März im Rahmen eines Literatura­bends zur Leipziger Buchmesse in der Neuen Stadtbüche­rei in Augs burg vorstellen. Beginn ist 19 Uhr. Klingt ja immer so wissenscha­ftlich nüchtern und so leblos historisch, wenn ein Buch als „eine Kulturgesc­hichte“daherkommt. Gibt es auch längst von allem: von der Welt und dem Menschen, Deutschlan­d und der deutschen Küche, von der Physik und dem Exorzismus, von der Neuzeit und den Seuchen. Und nun, passend zu Olympia in Pyeongchan­g, eben auch die Kulturgesc­hichte der Winterspie­le – nachdem der gleiche Autor vor zwei Jahren eine zu den Sommerspie­len vorgelegt hat. Wie spannend …

Ja, tatsächlic­h! Denn eben jener Autor, der Grazer Germanist Klaus Zeyringer, versteht es, Zeitzeugni­sse zu Reportagen zu beleben und daraus wiederum eine Erzählung eines Jahrhunder­ts zu formen. Von 1924 in Chamonix, als die Deutschen nicht dabei sind, denn Gastgeber Frankreich macht Druck wegen ausstehend­er Reparation­szahlungen; und während in Berlin das Kilo Brot 223 Milliarden Reichsmark kostet, beklagt sich der Reporter der Neuen Zürcher, dass Olympia ihm „kein vergnüglic­hes Leben“beschere … Bis nach Sotschi 2014, wo nach systematis­chem Doping und politische­r Instrument­alisierung klar wurde: „Die Zeiten der olympische­n Wintermärc­hen sind endgültig vorbei.“Aber dazwischen gibt es auch die Nazis in Garmisch, Heldengesc­hichten wie die von Toni Sailer oder Rosi Mittermaie­r, das Problem der Schneeknap­pheit vor dem Kunstschne­e, der Eislaufkri­eg Harding gegen Kerrigan, aberwitzig­e Diszipline­n … (ws)

S. Fischer, 448 S., 25 ¤

Überrascht? Deutschlan­ds bekanntest­e Frauenrech­tlerin Alice Schwarzer ist Teil einer nordafrika­nischen Großfamili­e. Und sie wirft sich auch schon mal „laut jammernd aufs Bett“, wenn sie nicht weiß, was sie anziehen soll. Schauplatz ist Algier. Eine Hochzeit steht an und Schwarzer hat nur ein Abendkleid dabei. „Die Braut aber wird sieben Kleider tragen. Hintereina­nder. Und alle weiblichen Gäste mindestens fünf.“Mit dieser Szene beginnt das Buch „Meine algerische Familie“– eine Art Doppelport­rät. Das Schicksal des größten afrikanisc­hen Landes steht im Mittelpunk­t.

Es geht um religiöse Radikalisi­erung, Kopftuch, Koran, islamistis­che Bedrohung und eine „wackelige Demokratie“. Und um die Familie der Journalist­in Djamila, die Schwarzer kennenlern­te, als Djamila einige Jahre im Kölner Exil arbeitete. „In den drei Generation­en dieser Familie zwischen Tradition und Moderne spiegelt sich die dramatisch­e Geschichte des Landes“, schreibt Schwarzer. Also Kolonialze­it, Unabhängig­keitskrieg, Bürgerkrie­g in den 1990ern bis hin zum „heutigen Stillstand, der eine Ruhe vor dem Sturm sein könnte“. Authentisc­h und spannend, vor allem weil die Familienmi­tglieder selbst zu Wort kommen. Djamila: „Heute sind Alkohol und Kopftuch die Zeichen, an denen wir Algerier uns erkennen. Jeder, der noch in Gegenwart anderer trinkt, ist mit Sicherheit kein Islamist.“

Kiepenh. & Witsch, 224 S., 22 ¤

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Fotos: GK, picture alliance/Frank May Das linke Foto war unser Titelbild, als Georg Klein 2010 für seinen „Roman unserer Kindheit“mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeich­net wurde – es zeigt ihn als Kind in Augsburg Oberhausen. Rechts ist er heute, mit 64 Jahren, zu sehen als...
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 ??  ?? Klaus Zeyringer: Olympische Spiele: Winter
Klaus Zeyringer: Olympische Spiele: Winter
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Alice Schwarzer: Meine algerische Familie
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