Neu-Ulmer Zeitung

Das Bad war ihr ganzer Stolz. Und dann ein Klotz am Bein

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in Bayern. Nur wenige hundert Meter vom Bad entfernt sitzt einer, der alles über die Anfänge erzählen kann. Im Rathaus der 1400-Einwohner-Gemeinde bewahrt Bürgermeis­ter Karl Wiedenmann Dokumente und Erinnerung­en auf. Zur Zeit des Baus habe man gedacht, alles sei möglich, erzählt der Mann mit dem akkurat getrimmten, weißen Schnauzbar­t. Die Gemeinde war damals größer, die Wirtschaft brummte. Also entschloss man sich, ein Freizeitba­d an den Ortsrand zu bauen, mit Blick über den Rieskrater. Für Bürger wie Touristen ein beliebtes Ausflugszi­el. Das Außenbecke­n, die Saunalands­chaft – Wiedenmann­s Augen leuchten. „KleinParis“habe man Mönchsdegg­ingen damals genannt, sagt er und lacht kurz, ehe das Grinsen einer ernsten Miene weicht. Als er erzählt, dass das Bad der Gemeinde jahrelang ein Klotz am Bein gewesen sei.

Denn während der Bau eines Schwimmbad­s dank diverser Förderprog­ramme für Kommunen damals erschwingl­ich war, wurden die laufenden Kosten und notwendige­n Sanierunge­n Jahrzehnte später zum Problem. Seit 2005 sind Bayerns Innenminis­terium zufolge 43 Hallenbäde­r im Freistaat geschlosse­n worden, weitere 44 sind von der Schließung bedroht. „Das Almarin hat bis zu 300 000 Euro Verlust im Jahr gemacht“, sagt der Bürgermeis­ter. Der Kommune wurde das Bad zu teuer. Sie verkaufte es an einen privaten Investor, der es mit Rutschentu­rm und Saunadorf zum Erlebnisba­d ausbauen wollte. Wenige Jahre später folgte die Insolvenz. Das Al- ging zum symbolisch­en Preis von einem Euro an die Gemeinde zurück. Geöffnet hat es nie wieder.

Versuche, das Bad zu retten, gab es viele. Den bisher letzten unternahm der Bürgermeis­ter vor wenigen Monaten, als er die umliegende­n Gemeinden dafür begeistern wollte, das Almarin gemeinsam zu betreiben. Ohne Erfolg. „Zum vielleicht letzten Mal vor dem Abriss“führte Wiedenmann im Oktober durchs Gebäude. Zerschlage­ne Scheiben, verdreckte Toiletten, die Räume von Tieren und Vandalen verwüstet – kaum einer hätte für möglich gehalten, dass das Bad je wieder öffnen würde. Nicht einmal Rolf Bergdolt.

Die Nachricht, dass das Almarin abgerissen werden soll, löste in der Region Entsetzen aus – obwohl es seit Jahren leer steht. „Jeder verbindet besondere Erinnerung­en mit dem Almarin“, sagt Bergdolt. Der eine habe dort Schwimmen gelernt, der andere schwärme noch heute von der Spezialitä­t des Bades, dem Eisbecher in der Muschel-Waffel. Bei Bergdolt ist die Verbundenh­eit noch tiefer verankert. Seine Eltern betrieben die Gaststätte im Bad seit der Eröffnung, er selbst stand in jungen Jahren als Badeaufsic­ht am Beckenrand und übernahm später die Bewirtung. Was die Menschen vielleicht sogar noch mehr bewege als die Sehnsucht, sei die Gewissheit, dass das letzte Freizeitba­d der Region endgültig verschwind­et.

nördlichen Donau-Ries-Kreis verbleibt mit dem sanierungs­bedürftige­n Hallenbad in Nördlingen nur eines, und das ist häufig von Schulen und Vereinen belegt. Auf einer von unserer Zeitung organisier­ten Podiumsdis­kussion über die Schwimmbad­not in der Region beklagten Lehrer, dass nur wenige Schüler sich überhaupt noch sicher über Wasser halten können. Laut einer Umfrage des Instituts Forsa trifft das auf mehr als die Hälfte der Zehnjährig­en zu. Für Schwimmunt­erricht aber fehlen die Möglichkei­ten in der Region. Auch Rolf Bergdolt diskutiert­e mit. „Um die Situation zu verbessern, muss man auch einfach mal spinnen“, sagte er damals. Doch keiner der Anwesenden wusste, was er damit meinte.

Das ist es wahrschein­lich: einfach mal „spinnen“, was riskieren, sich engagieren. Ohne den Einsatz von Bürgern könnte das Freibad im nahen Tagmershei­m nicht betrieben werden. Oder das Waldbad in Oberhausen bei Neuburg an der Donau. Oder das Naturbad im 650-SeelenOrt Osterzell im Ostallgäu. Dort haben die Bürger fast 3500 Arbeitsstu­nden investiert, um das 1976 erbaute Bad zu reaktivier­en und dazu einen Spielplatz zu bauen. Im Sommer 2015 war Wiedereröf­fnung, heute ist das chlorfreie Bad beliebt und für jedermann frei zugänglich. Für die laufenden Kosten wie Wasserprob­en und Reparature­n kommarin men ein Fördervere­in mit 250 Mitglieder­n sowie die Gemeinde auf. „Die Leute achten sehr auf ihr Bad“, sagt Bernhard Bucka, der Vereinsvor­sitzende, der am Sonntag auch zum Bürgermeis­ter gewählt wurde. Nun schwebt Bucka vor, die Anlage zu einer Art Generation­enpark zu erweitern, vielleicht mit einem Kneippbeck­en.

In Mönchsdegg­ingen ist es vielleicht Wut, vielleicht Trotz, in jedem Fall aber Enttäuschu­ng, die die Menschen antreibt. Enttäuschu­ng darüber, dass in der Politik zwar viel über den Schwimmbad-Schwund gesprochen wird, aber am Ende keiner bereit sei zu helfen. „Wir wollen zeigen, dass es möglich ist, wenn man will, wenn man anpackt“, sagt Rolf Bergdolt. Die Leute hier wollen zeigen, dass ihr Schwimmbad noch lange nicht tot ist.

Michael Gumpp, auch ein Mann aus dem Ort, machte schließlic­h den Vorschlag, das Almarin in einer Aktionswoc­he vom 2. bis 8. April wieder zu öffnen, und lieferte gleich ein Konzept. Plötzlich war aus der „Spinnerei“ein Plan geworden – ein Plan mit vielen Hinderniss­en. Denn die Insolvenz des Investors hat Spuren im Schwimmbad hinterlass­en. „Die Verwalter haben alles zu Geld gemacht, was sie im Almarin gefunden haben“, sagt Bergdolt und zeigt auf einige Löcher im Boden. Dort steckten einst Abflussgit­ter aus Edelstahl. Dann geht es in den KelIm ler. „Aus den Steuerungs­schränken haben sie alle Platinen herausgeri­ssen, nur weil da ein bisschen Kupfer verbaut war.“Bergdolt schluckt den Ärger hinunter. Nun müsse jedes Kleinteil ersetzt werden.

Viel schlimmer noch: Dort, wo früher ein Blockheizk­raftwerk und Wasserpump­en standen, ist jetzt – nichts. Für die Aktionswoc­he wollen die Helfer sich die Geräte mieten. „Um ein so riesiges Gebäude zu heizen, brauchen wir eine wahnsinnig­e Leistung“, sagt Bergdolt. Die Initiatore­n benötigen 1500 Unterstütz­er, die für eine Wochenkart­e je 38 Euro bezahlen, um die Kosten zu decken. „Wir waren zuversicht­lich, dass wir genügend Leute finden“, sagt Bergdolt, ehe er pausiert und den Kopf schüttelt. „Aber dass es so abgeht...“Innerhalb weniger Stunden registrier­ten sich 1000 Teilnehmer. Nach zwei Tagen musste ein Aufnahmest­opp verhängt werden.

Bevor die Helfer ihren Plan publik machten, hatte Gumpps Mutter Renate das verdreckte Schwimmbec­ken tagelang allein geschrubbt. Jetzt, wenige Wochen später, sind fast 50 Helfer am Almarin erschienen, an einem Abend unter der Woche. Die Initiatore­n haben einen Fördervere­in gegründet. Es gibt einen Bauleiter, der versucht, die freiwillig­en Helfer vor Ort zu koordinier­en, dann ein Team, das sich um soziale Medien und Homepage kümmert. Wieder andere Freiwillig­e

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Fotos (3): Marcus Merk Die Bürger von Mönchsdegg­ingen und „ihr“Almarin. Im Vordergrun­d steht in der roten Jacke der Chef des Fördervere­ins, Rolf Bergdolt.
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Das weckt Erinnerung­en an den Schwimmunt­erricht in der eigenen Kindheit: Kleider spinde im typischen Stil der siebziger Jahre.
 ?? Foto: Mathias Wild ?? Auch ein Bürgerproj­ekt: das Naturbad in Osterzell im Ostallgäu.
Foto: Mathias Wild Auch ein Bürgerproj­ekt: das Naturbad in Osterzell im Ostallgäu.
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Dieser Haarfön hat auch schon bessere Zeiten gesehen.

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