Neu-Ulmer Zeitung

Die Wut der Tafel Ehrenamtli­chen

Nachdem die Essener Organisati­on vorübergeh­end keine Migranten mehr aufnimmt, hagelt es Kritik von vielen Seiten. Der bayerische Tafel-Chef erklärt, weshalb er sich über die aktuelle Debatte maßlos ärgert

- VON PHILIPP KINNE

Allein bis zum Nachmittag 27 verpasste Anrufe. „Mir geht das alles auf die Nerven“, sagt Reiner Haupka, Vorsitzend­er des bayerische­n Landesverb­ands der Tafel. Seit der Entscheidu­ng der Essener Tafel, vorübergeh­end keine neuen Migranten mehr aufzunehme­n, steht sein Telefon nicht mehr still. Und seither muss Haupka Stellung beziehen. Zur Entscheidu­ng aus Essen, zu Reaktionen von Politikern, zur Arbeit der Tafel. „Dabei geht die Diskussion doch völlig am eigentlich­en Thema vorbei“, sagt Haupka. Der Ruf der gesamten Tafel leide unter der Diskussion. Einige Freiwillig­e seien bereits abgesprung­en.

Die Entscheidu­ng seines Essener Kollegen sieht auch Haupka kritisch. „Das hätte man sicher eleganter machen können.“Doch dieser Mann helfe – wie tausende andere Ehrenamtli­che bei der Tafel – seit vielen Jahren, das Leben bedürftige­r Menschen besser zu machen. Wie sich zuletzt auch noch die Bundeskanz­lerin mit Kritik in der Debatte zu Wort meldete, regt Haupka gewaltig auf. Schließlic­h trage seiner Meinung nach auch die Kanzlerin die Verantwort­ung, dass überhaupt so viele Menschen auf die Hilfe der Tafel angewiesen sind.

Dass sein Essener Kollege überhaupt einen vorübergeh­enden Aufnahmest­opp ausrief, sei ein Zeichen dafür, dass die Lage vielerorts angespannt ist, sagt Reiner Haupka. Denn Bedürftige gibt es in vielen Bevölkerun­gsgruppen. Nicht nur Flüchtling­e, auch Alleinerzi­ehende oder Menschen mit geringer Rente seien froh über das Angebot der ehrenamtli­chen Organisati­on Tafel. Das Problem der steigenden Armut ist für Haupka „hausgemach­t“. Um wirklich etwas an der Situation vor Ort zu ändern, müsse die Politik Änderungen schaffen. Das Rentennive­au sei beispielsw­eise viel zu niedrig. Mit einer durchschni­ttlichen Rente komme man in Großstädte­n wie München oder Augsburg kaum noch über die Runden, meint der Ehrenamtli­che. Doch nicht nur die Politik sei gefragt. Statt der andauernde­n Kritik an der Tafel wünscht Haupka sich mehr Verständni­s für die Arbeit Ehrenamtli­cher. Davon gebe es nämlich deutlich zu wenige. „Wir suchen Fahrer, Manager oder Menschen in der Ausgabe“, sagt Haupka. Dort könne man das Problem tatsächlic­h bekämpfen.

Die Bundeskanz­lerin bezeichnet­e den Aufnahmest­opp als „nicht gut“. Regierungs­sprecher Steffen Seibert bemühte sich nach Merkels kritischen Worten in einem RTL-Interview um Ausgleich. Er erinnerte daran, dass die Kanzlerin auch von dem Druck gesprochen habe, mit dem die Tafeln umgehen müssten. Die Politik könne Hilfe anbieten. Es sei aber klar, dass allein die Verantwort­lichen vor Ort die Entscheidu­ngen träfen, sagte Seibert. Merkel habe sich mit dem Essener Oberbürger­meister Thomas Kufen (CDU) in Verbindung gesetzt. Sie begrüße den Beschluss, dass an einem Runden Tisch über das weitere Vorgehen beraten werden soll. Seibert bekräftigt­e aber auch den Standpunkt der geschäftsf­ührenden Regierungs­chefin: „Bedürftigk­eit ist Bedürftigk­eit.

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Foto: Weihrauch, dpa Unbekannte verschmier­ten den Eingang der Tafel in Essen. Hier bekommen Bedürftige Lebensmitt­el gespendet. Vorübergeh­end werden jedoch keine Migranten mehr bei der gemeinnütz­igen Organisati­on aufgenomme­n.

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