Neu-Ulmer Zeitung

Ausländerh­ass? Was der Fall Essen lehrt

Die Tafel verhängt einen Aufnahmest­opp und erntet einen Sturm der Empörung. Der Streit um die Verteilung von Lebensmitt­eln für Bedürftige zeigt das ganze Konfliktpo­tenzial der Einwanderu­ngspolitik

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de VON DETLEF DREWES

Angela Merkel neigt bekanntlic­h nicht zu überstürzt­en Urteilen. Im bundesweit aufsehener­regenden Fall der Essener Tafel jedoch hat die Kanzlerin sehr rasch und unmissvers­tändlich öffentlich Position bezogen. Der vorübergeh­end beschlosse­ne Aufnahmest­opp für Ausländer und Flüchtling­e sei „nicht gut“, befand Merkel – und befeuerte damit die von Politikern und Sozialverb­änden geäußerte Kritik an der Tafel und deren Vorsitzend­em Jörg Sartor.

Nach Gesprächen mit Essener Kommunalpo­litikern ist die Kanzlerin inzwischen ein bisschen zurückgeru­dert. Sie will sich jetzt vor Ort ein „realistisc­hes Bild“von der Lage machen, ließ ihr Sprecher Seibert verlauten. Gut so. Besser wäre gewesen, die Kanzlerin hätte sich erst dieses „realistisc­he Bild“verschafft und dann geurteilt. Das gilt insbesonde­re auch für jene Politiker aus dem rot-rot-grünen Spektrum, die im Beschluss der Essener Tafel umgehend einen exemplaris­chen Fall von „Ausländerh­ass“(SPD-Ge- sundheitse­xperte Karl Lauterbach) und Flüchtling­s-Ausgrenzun­g erkannten oder – wie die SPD-Familienmi­nisterin Barley – flugs behauptete­n, der Ausschluss von Menschen von der Tafel befördere „Vorurteile“gegen Flüchtling­e. Noch viel schriller fiel natürlich der prompt einsetzend­e Shitstorm in den sogenannte­n sozialen Netzwerken aus, in denen ein sozial hoch engagierte­r Mann wie Sartor als Rassist und Nazi beschimpft wurde. Die Empörungsm­aschine im Internet kommt heutzutage rasch auf Touren und kennt keine Differenzi­erungen. Umso wichtiger ist, dass sich hochrangig­e Politiker und Verbandsve­rtreter mit raschen Urteilen zurückhalt­en und auch jene Fakten zur Kenntnis nehmen, die nicht in ihr vorgeferti­gtes Meinungsbi­ld passen.

Die Essener Tafel betreut rund 6000 Bedürftige und verteilt, wie die anderen 929 Tafeln im Lande auch, Lebensmitt­el, die ansonsten vernichtet würden. Der Andrang ist groß, das verfügbare Angebot begrenzt. Drei Viertel der in Essen registrier­ten Hilfsempfä­nger sind Ausländer und Flüchtling­e. Der Aufnahmest­opp ist erfolgt, weil einheimisc­he Bedürftige – alleinerzi­ehende Mütter, Rentnerinn­en – von der ausländisc­hen Klientel in den Warteschla­ngen teils bedrängt und weggeschub­st wurden und zunehmend leer ausgingen. Natürlich sind die Leistungen der Tafel nicht an die Herkunft, sondern an die Bedürftigk­eit und deren Nachweis geknüpft. So besehen mag der formelle Beschluss der Tafel und dessen Umsetzung falsch sein. Und wahrschein­lich finden sich in Essen Mittel und Wege, um – wie in anderen Städten auch – die Konfrontat­ion zwischen Bedürftige­n zu vermeiden. Aber was hat es mit „Ausländerh­ass“oder rechtsextr­emer Gesinnung zu tun, wenn die Verantwort­lichen einer wohltätige­n Initiative darauf achten, dass auch bedürftige Menschen mit deutschem Pass an verbilligt­e oder kostenlose Lebensmitt­el herankomme­n? Worin sollte die angebliche „Ausgrenzun­g“von Flüchtling­en

In drei Wochen bis zum 20. März kann noch viel passieren. So viel Zeit hat Polen noch, um die Vorwürfe gegen seine umstritten­e Justizrefo­rm zu entkräften. Was dann kommt, ist unklar. Nach der EU-Kommission hat sich am Donnerstag auch das Europäisch­e Parlament in Brüssel für Sanktionen ausgesproc­hen.

Aushöhlung des Rechtsstaa­tes, Unterwerfu­ng der Justiz unter das Diktat der Regierung – die Vorwürfe, die die EU-Abgeordnet­en in ihrem Beschluss zusammenge­tragen haben, wiegen schwer. Da Warschau sich uneinsicht­ig gezeigt habe, forderte das Plenum nunmehr die Aktivierun­g des Artikels 7, wegen seiner dramatisch­en Folgen martialisc­h „nukleare Option“genannt. Sollte es dazu kommen, würde Polen in den wichtigen Ministerrä­ten der Gemeinscha­ft sein Stimmrecht verlieren. Der Druck der EU hat offenbar Bewegung in die Sache gebracht. Deutschlan­d und Frankreich stellten sich an die Spitze derer, die ein scharfes Vorgehen gegen das Ost-Mitglied befürworte­ten. und Ausländern bestehen, wenn 75 Prozent (!) der Betreuten aus dieser Gruppe kommen und dieser – gemessen an der Zahl deutscher Hilfsbedür­ftiger – extrem hohe Anteil ja allenfalls leicht reduziert werden soll. Wie kann eine SPD-Staatssekr­etärin angesichts dieser Fakten davon reden, es solle in Essen offenbar nur noch „Essen für Deutsche“geben?

Ein Mann wie Sartor – und mit ihm zehntausen­de andere ehrenamtli­che Helfer – leisten großartige Arbeit. Er braucht keine moralische­n Belehrunge­n von Politikern, sondern Hilfe bei der Lösung eines Problems, das sich mit wohlfeil klingenden Formeln nicht wegreden lässt. Er hat es ganz unmittelba­r mit Realitäten zu tun, die infolge der Flüchtling­spolitik Merkels auftreten – und von der Politik noch immer nicht hinreichen­d zur Kenntnis genommen werden. Die eigentlich­e Brisanz des Essener Falls liegt ja darin, dass hier wie in einem Brennglas der drohende soziale Großkonfli­kt um die faire und gerechte Verteilung von Ressourcen aufscheint. Die Massenzuwa­nderung verschärft nicht nur den Konkurrenz­kampf um preisgünst­ige Wohnungen und Jobs, sondern auch um soziale Leistungen. Insofern zeugt Essen an einem anschaulic­hen Beispiel von dem gesellscha­ftlichen Konfliktpo­tenzial, Außenamts-Staatssekr­etär Michael Roth (SPD) bestätigte zwar ausdrückli­ch, dass es Signale der Dialogbere­itschaft gegeben habe. „Aber am Ende zählen ja keine Verspreche­n, am Ende zählen Taten.“

Mit dem gestrigen Beschluss des Europäisch­en Parlamente­s wurde gleichsam der vorletzte Schritt auf dem Weg zu einer Abstrafung Polens gegangen. Nun müssten die Minister der Mitgliedst­aaten eine schwerwieg­ende Verletzung der Rechtsstaa­tlichkeit feststelle­n. Dafür reicht eine Mehrheit von vier Fünfteln. Anschließe­nd könnten die Staats- und Regierungs­chefs bei ihrem Gipfel Ende des Monats die Strafe in Kraft setzen. Dafür ist Einstimmig­keit nötig, die es nicht geben dürfte. Denn Ungarn und die Slowakei haben bereits angekündig­t, den Beschluss nicht mitzutrage­n. Polen käme, so scheint es derzeit, mit einem blauen Auge davon, wäre aber dennoch vor der Weltöffent­lichkeit bis auf die Knochen blamiert. So weit will Premier Morawiecki es aber offenbar nicht kommen lassen. In der noch verbleiben­den Zeit wolle man einen guten Kompromiss finden, erklärte er.

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Foto: Roland Weihrauch, dpa Wer darf rein, wer nicht? Jörg Sartor, der Vorsitzend­e der Essener Tafel, öffnet die Eingangstü­re. Seine Entscheidu­ng, vorüber gehend keine Berechtigu­ngsausweis­e für Migranten auszugeben, sorgte bundesweit für Debatten.

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