Neu-Ulmer Zeitung

„Verlieben kann man sich bis ins hohe Alter“

Was tun, wenn nach vielen Ehejahren die Zuneigung sich klammheiml­ich davongesch­lichen hat? Paartherap­eut Stefan Woinoff weiß, wie Menschen wieder zusammenfi­nden und was gegen die Einsamkeit hilft

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Herr Dr. Woinoff, Sie sind Psychother­apeut und Paartherap­eut. Der Renteneint­ritt ist für Paare oft eine Herausford­erung. Wie groß ist die Gefahr, dass man sich auf die Nerven fällt, wenn man im Ruhestand plötzlich immer zusammen ist?

Der Klassiker ist ja, dass nicht beide gleichzeit­ig in den Ruhestand gehen, sondern einer schon zu Hause ist. Oft managt die Frau schon immer den Haushalt, und dann kommt der Mann und gibt im schlimmste­n Fall ihr ständig Tipps, wie sie es besser machen kann. Das kann sehr problemati­sch werden.

Was ist denn in so einem Fall zu tun?

Er müsste ihr in unserem Fall ihr Reich lassen. Es ist mit zunehmende­m Alter ganz wichtig, die gut funktionie­renden Kreise und Tätigkeite­n des Partners nicht zu stören. Sie hat ihn im Haushalt vorher nicht gebraucht – und braucht ihn jetzt auch nicht. Es verschiebe­n sich in der Rente auch oft die Machtverhä­ltnisse. Das darf man nicht unterschät­zen.

Wie meinen Sie das?

Gerade Männer, die in ihrem Beruf sehr erfolgreic­h und anerkannt waren, viele Kontakte hatten, drohen mit dem Ruhestand in ein tiefes Loch zu fallen. Ein Patient hat mir einmal wirklich gesagt, er fühle sich plötzlich so unnütz, so gedemütigt, als würde er nur noch zusammenge­kauert unter dem Küchentisc­h sitzen. In diesem Fall hat sich die Frau für ihre jahrzehnte­lange untergeord­nete Rolle an ihrem Mann gerächt, sobald er im Ruhestand war – und ihre neue Machtposit­ion ausgespiel­t.

Es spielen sich also oft Dramen ab ...

Das kann aber vermieden werden. Männer dürfen eben nicht im Ruhestand zum „Konnschmer“werden.

Wie bitte, zu was?

Das sagt man im Schwäbisch­en gerne zu Ehemännern in Rente: Weil sie ständig von der Ehefrau gefragt werden: „Kannst du mir (schwäbisch: konnsch mer) mal das holen, kannst du mir da schnell helfen etc.?“Wenn Männer also zum Handlanger ihrer Frau werden.

Wie lässt sich das alles denn lösen?

Man muss miteinande­r reden. Das ist wichtig. Es gilt, gemein- die entscheide­nde Frage zu beantworte­n: Was wollen wir jetzt mit der uns verbleiben­den Zeit noch machen? Und es ist meist leichter, gemeinsame Interessen wieder zu beleben, als neue zu finden. Wenn beispielsw­eise ein Paar in früheren Jahren gerne tanzen gegangen ist, dann empfiehlt es sich, dieses Hobby wieder aufzugreif­en. Oder ein Paar ist früher gerne verreist; dann sollte es versuchen, diese Leidenscha­ft wieder aufleben zu lassen. Sind gemeinsame Interessen wichtig?

Gemeinsame Interessen sind im vorgeschri­ttenen Alter wichtiger als gemeinsame Ziele. Während in jüngeren Jahren die gemeinsame­n Ziele, wie Kinder, ein Haus und so weiter, im Mittelpunk­t stehen, sollte das Leben im Alter stärker im Hier und Jetzt stattfinde­n. Entscheide­nd ist, ob ich mit meinem Partner in der Gegenwart schöne Momente erlebe beziehungs­weise überhaupt noch erleben kann.

Aber wie groß ist denn die Gefahr, dass sich die Liebe über die Jahre davongesch­lichen hat?

Die Gefahr besteht natür- lich. Aber so etwas spürt man, wenn man ehrlich ist, oft schon früher. Viele zögern dann den Renteneint­ritt hinaus oder bürden sich einen regelrecht­en Rentnerstr­ess auf, nur um mit dem Partner nicht Auge in Auge zusammen sein zu müssen. Auch hier hilft nur das Miteinande­rreden. Einige Fragen sollte man ehrlich klären, zum Beispiel: Was verbindet uns noch? Wie sehr lieben wir uns noch? Wollen wir überhaupt noch ein Paar sein? Und wenn ja, warum? Verändert sich auch der Sex im Alter?

Meist wird der Sex eintöniger und langweilig­er, wenn nicht beide bewusst dagegen arbeiten und sich immer wieder etwas Neues für sich und den Partner ausdenken und auch ausprobier­en. Neue, oder auch alte, aber nie gelebte Wünsche, Träume und Vorlieben kann man deutlich einfacher mit einem neuen Partner ausleben.

Was können Paare tun, wenn im Alter der Sex ganz eingeschla­fen ist?

Grundsätzl­ich muss man zwischen Sinnlichke­it, Erotik und Sex unterschei­den. Meist haben älsam tere Menschen weniger Sex als in ihrer Jugend, aber ein sinnlicher und auch erotischer Umgang miteinande­r kann im Alter sogar zunehmen. Wichtig ist, dass die Anziehungs­kraft zwischen zwei Menschen erhalten bleibt und Zärtlichke­iten ausgetausc­ht werden. Aber auch der Sex sollte nie ganz aufhören. Er kann sich bis ins hohe Alter sehr gut anfühlen. Läuft wirklich bei einem Paar im Alter gar nichts mehr, können eventuell paar- und sexualther­apeutische Übungen helfen, dass die Partner Schritt für Schritt wieder körperlich zueinander­finden. Im Alter droht so manche Liebesbezi­ehung auch zur Pflegebezi­ehung zu werden, wenn ein Partner schwer erkrankt. Wie geht man mit der Angst davor um?

Die Frage, was zu tun ist, wenn einer von beiden pflegebedü­rftig wird, sollte sehr früh geklärt werden; also noch bevor ein Pflegefall überhaupt eingetrete­n ist. Wichtig ist, sich ehrlich zu fragen: Möchte ich von meinem Partner überhaupt gepflegt werden? Und will und kann ich meinen Partner überhaupt pflegen? Die Zahl der Scheidunge­n im höheren Alter ist gestiegen. Das heißt, dass sich ältere Menschen bewusst sind, dass man auch im Alter nicht jede Beziehung aushalten muss, oder?

Eine Trennung kann eine Erlösung sein. Mehr Scheidunge­n auch nach sehr vielen Ehejahren sind sicher ein Zeichen dafür, dass sich heute auch im fortgeschr­ittenen Alter Frauen wie Männer noch ein aktives, beglückend­es und ereignisre­iches Beziehungs- und Liebeslebe­n wünschen. Und wenn das mit dem langjährig­en Partner nicht mehr möglich ist, dann sind immer mehr ältere Menschen mutig und selbstbewu­sst genug, sich zu trennen, um sich in eine neue Liebe, eine neue Partnersch­aft zu stürzen.

Aber viele trauen sich womöglich im Alter gar keine neue Partnersch­aft zu.

Was schade ist. Denn Verlieben kann man sich bis ins hohe Alter. Das Schlimmste ist, wenn Menschen im Alter den sozialen Tod sterben.

Das heißt, wenn sie keine sozialen Kontakte mehr haben …

Genau. Dabei hat hier das Internet gerade auch für ältere Menschen viel Gutes zu bieten. Ich kann nur jedem älteren Menschen raten, der einsam ist und jemanden als Freund, als Begleiter fürs Konzert oder für was auch immer sucht, sich im Internet umzutun. Das Internet bietet ohne viel Aufwand und ohne große Hemmschwel­len von zu Hause aus die Möglichkei­t, mit vielen Menschen in Kontakt zu treten und sie kennenzule­rnen. Aus solchen Kontakten kann sich alles entwickeln: Freundscha­ften, Liebschaft­en, aber auch feste Partnersch­aften.

Viele genieren sich vielleicht und fürchten, was über sie geredet wird, wenn sie noch mal einen Partner finden.

Das stimmt. Aber ganz oft wird da eine üble Nachrede befürchtet, die nur im eigenen Kopf stattfinde­t. Wären die anderen ehrlich, müssten sie zugeben, dass sie ein neues Liebesglüc­k im Alter beneiden und sich auch wünschen würden. Man muss sich immer wieder bewusst machen: Jeder hat ein Recht auf ein eigenes Leben, ein Recht auf Liebe und auch ein Recht auf Lust. Bis ins hohe Alter.

Interview: Daniela Hungbaur

59, ist Psychother­apeut, Paarthera peut und Autor von Büchern zum Thema Partnersuc­he. Er hat seine Praxis in München. Hatten im Klinikum Ingolstadt zahlreiche Mitarbeite­r unrechtmäß­ig Zugriff auf Patientend­aten? Dieser Frage wird wohl das Landgerich­t in den kommenden Monaten nachgehen müssen. Eine ehemalige Patientin der Psychiatri­e hat geklagt, weil eine Krankenhau­smitarbeit­erin zwei Jahre nach der stationäre­n Behandlung ihre Daten eingesehen hat. Der Mitarbeite­rin, die nicht in die Behandlung der Frau eingebunde­n war, war daraufhin gekündigt worden. Nach Auskunft des Anwalts der ehemaligen Patientin sind im Zusammenha­ng mit einem möglichen Datenmissb­rauch mindestens zwei Zivilklage­n gegen das Klinikum eingereich­t worden. (rilu)

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Foto: Fotoagentu­r Westend61, imago Wie schön, wenn man auch im Alter einen geliebten Menschen an seiner Seite hat. Wichtig ist, dass die Anziehungs­kraft zwischen zwei Menschen erhalten bleibt und Zärtlichke­iten ausgetausc­ht werden.
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