Automatenknackern wird der Prozess gemacht
Sechs Angeklagte müssen sich wegen einer Automatendiebstahl-Serie und einer Verfolgungsjagd vor dem Amtsgericht Günzburg verantworten. Der Fahrer kommt mit Bewährung davon – ins Gefängnis muss wohl nur einer
Der Platz der Anklagebank reicht nicht aus. Im Günzburger Amtsgericht stehen deshalb zusätzlich Tische im Saal. Die Rechtspflegerin teilt einem Verteidiger seinen Sitzplatz zu – „Ich glaub’, hier sitzt schon jemand“, sagt er. „Dann müssen Sie heute eben etwas zusammenrutschen.“Nach und nach nehmen sechs Angeklagte, fünf junge Männer und ein Mädchen, mit ihren Verteidigern Platz. Verhandelt wird die Diebstahlserie von Zigarettenautomaten, die sich von Mai bis Anfang Juni vergangenen Jahres im nördlichen Landkreis Günzburg erstreckte.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen schweren Bandendiebstahl vor. Die eigentliche Bande bestand im Grunde aus drei der Angeklagten. Zwei haben sich jeweils zweimal an den neun Automatendiebstählen beteiligt, das Mädchen war bei einem Vorfall zugegen.
Bis auf die 15-Jährige räumen die Angeklagten und ihre Verteidiger die Taten grundsätzlich ein. Uneinig sind sie sich bei der Frage, wie groß die jeweilige Beteiligung an den Taten und der Beute war. Die drei Köpfe der Bande wohnen alle in derselben Gemeinde im nördlichen Kreis Günzburg. Ihre Aufgaben waren klar verteilt, wie sie vor Gericht schildern: Ein 18-Jähriger war der Fahrer, ein 23-Jähriger war der Mann fürs Grobe und flexte die Automaten in seinem Ausbildungsbetrieb auf, ein 19-Jähriger war der Strippenzieher der Gruppe.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen zudem vor, für die Raubzüge sechs Mal die Kennzeichen fremder Autos gestohlen, am Kleinwagen des Fahrers montiert und sich damit der Urkundenfälschung schuldig gemacht zu haben. Außerdem lag im Auto des Fahrers, wie er bestätigt, beim letzten Diebstahl unerlaubterweise eine Schreckschusswaffe.
In einer Nacht Anfang Juni vergangenen Jahres endete die Serie nach einer spektakulären Verfolgungsjagd. Statt sich einer zufälligen Polizeikontrolle zu stellen, drückte der Fahrer, wie er vor Gericht einräumt, aufs Gaspedal. Anschließend fuhr er zweimal als Geisterfahrer auf der A8, um die Polizei abzuwimmeln. Er soll in geschlossenen Ortschaften bis zu 100 Stundenkilometer gefahren sein. Insgesamt er- streckte sich die Verfolgungsjagd über 40 Kilometer. Drei Zeugen, die ihm entgegenkamen, sagen vor Gericht aus. Einer von ihnen war gerade mit seinem Familienwagen auf dem Rückweg vom Disneyland Paris, beruflich ist er Polizist in Augsburg. Weil der Angeklagte ohne Licht auf dem Standstreifen fuhr, musste er scharf ausweichen, sagt er. „Danach waren alle im Bus wach.“
Für den Fahrer spricht, wie Richter Daniel Theurer sagt, dass er wenige Tage nach der Verfolgungsjagd umfänglich bei der Polizei ausgesagt hat. Der ermittelnde Polizist legt vor Gericht dar, dass die Diebstahlserie nur durch die Auskünfte des Fahrers aufzuklären war. Zudem ist der Angeklagte zuvor noch nie polizeilich auffällig geworden. Der Fahrer erhält eine Jugendstrafe mit zwei Jahren Bewährungszeit. Sollte er in dieser Zeit erneut auffallen, wird über die Höhe der Strafe entschieden. Zudem muss er zwei Wochen in Dauerarrest. In drei Jahren wird er seinen Führerschein möglicherweise wiedererlangen können. Die Forderungen der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers lagen leicht über beziehungsweise unter dem Urteil, unterschieden sich aber nicht maßgeblich. Die Staatsanwältin wies jedoch darauf hin, dass sie angesichts der verantwortungslosen Fahrweise sogar eine lebenslange Führerscheinsperre erwogen hatte.
Der 19-jährige Drahtzieher ist der Justiz bekannt. Insgesamt sind von zwei Jahren und vier Monaten, die er, wenn das Urteil rechtskräftig wird, im Gefängnis absitzen muss.
Der 23-jährige Automatenknacker wird nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt. Er war bereits wegen kleinerer Verstöße bekannt. Allerdings befindet er sich momentan, nach dem Besuch einer Förderschule und einer abgebrochenen Ausbildung, seit drei Jahren in Ausbildung bei der Kfz-Werkstatt, wo er die Automaten mit einer Flex öffnete. Sein Chef teilt dem Gericht schriftlich mit, dass er plane, dass der Angeklagte seine Werkstatt später übernimmt. Zudem hatte der Angeklagte, kurz nach dem Fahrer, bei der Polizei die Diebstähle gestanden. Der Richter verurteilt ihn zu einem Jahr und acht Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung.
Der 19-jährige Mittäter, der zwei Mal beteiligt war, wurde erst kurz vor seinen Taten von einem Richter verwarnt und wurde dennoch straffällig. „So was sehen wir hier gar nicht gerne“, sagt Richter Theurer. Gegen ihn wird eine Jugendstrafe von einem Jahr auf Bewährung mit einer Bewährungszeit von drei Jahren verhängt. Zudem muss er vier Wochen in Dauerarrest. Diesen „Warnschussarrest“hatte die Staatsanwaltschaft beantragt.
Der zweite Mittäter wird wegen Beihilfe zum Diebstahl belangt. Er gibt an, nicht beim Entfernen der Zigarettenautomaten und nur kurz beim Tragen geholfen zu haben. Er muss eine Woche in Arrest. Bei allen Angeklagten klafften die Forderungen der Staatsanwaltschaft, die der Verteidiger und das letztendliche Urteil nicht allzu weit auseinander.
Die 15-Jährige sagt aus, kurz vor dem Diebstahl auf dem Kindergeburtstag der Schwester des 23-jährigen Angeklagten gewesen zu sein. Als sie in das Auto stieg, habe sie nichts von den Plänen gewusst und sich dann nicht getraut, dagegen zu protestieren. Richter Theurer spricht sie frei und erklärt, man könne ihr keine bewusste Beteiligung an der Tat nachweisen.