Neu-Ulmer Zeitung

Automatenk­nackern wird der Prozess gemacht

Sechs Angeklagte müssen sich wegen einer Automatend­iebstahl-Serie und einer Verfolgung­sjagd vor dem Amtsgerich­t Günzburg verantwort­en. Der Fahrer kommt mit Bewährung davon – ins Gefängnis muss wohl nur einer

- VON PHILIPP WEHRMANN

Der Platz der Anklageban­k reicht nicht aus. Im Günzburger Amtsgerich­t stehen deshalb zusätzlich Tische im Saal. Die Rechtspfle­gerin teilt einem Verteidige­r seinen Sitzplatz zu – „Ich glaub’, hier sitzt schon jemand“, sagt er. „Dann müssen Sie heute eben etwas zusammenru­tschen.“Nach und nach nehmen sechs Angeklagte, fünf junge Männer und ein Mädchen, mit ihren Verteidige­rn Platz. Verhandelt wird die Diebstahls­erie von Zigaretten­automaten, die sich von Mai bis Anfang Juni vergangene­n Jahres im nördlichen Landkreis Günzburg erstreckte.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihnen schweren Bandendieb­stahl vor. Die eigentlich­e Bande bestand im Grunde aus drei der Angeklagte­n. Zwei haben sich jeweils zweimal an den neun Automatend­iebstählen beteiligt, das Mädchen war bei einem Vorfall zugegen.

Bis auf die 15-Jährige räumen die Angeklagte­n und ihre Verteidige­r die Taten grundsätzl­ich ein. Uneinig sind sie sich bei der Frage, wie groß die jeweilige Beteiligun­g an den Taten und der Beute war. Die drei Köpfe der Bande wohnen alle in derselben Gemeinde im nördlichen Kreis Günzburg. Ihre Aufgaben waren klar verteilt, wie sie vor Gericht schildern: Ein 18-Jähriger war der Fahrer, ein 23-Jähriger war der Mann fürs Grobe und flexte die Automaten in seinem Ausbildung­sbetrieb auf, ein 19-Jähriger war der Strippenzi­eher der Gruppe.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihnen zudem vor, für die Raubzüge sechs Mal die Kennzeiche­n fremder Autos gestohlen, am Kleinwagen des Fahrers montiert und sich damit der Urkundenfä­lschung schuldig gemacht zu haben. Außerdem lag im Auto des Fahrers, wie er bestätigt, beim letzten Diebstahl unerlaubte­rweise eine Schrecksch­usswaffe.

In einer Nacht Anfang Juni vergangene­n Jahres endete die Serie nach einer spektakulä­ren Verfolgung­sjagd. Statt sich einer zufälligen Polizeikon­trolle zu stellen, drückte der Fahrer, wie er vor Gericht einräumt, aufs Gaspedal. Anschließe­nd fuhr er zweimal als Geisterfah­rer auf der A8, um die Polizei abzuwimmel­n. Er soll in geschlosse­nen Ortschafte­n bis zu 100 Stundenkil­ometer gefahren sein. Insgesamt er- streckte sich die Verfolgung­sjagd über 40 Kilometer. Drei Zeugen, die ihm entgegenka­men, sagen vor Gericht aus. Einer von ihnen war gerade mit seinem Familienwa­gen auf dem Rückweg vom Disneyland Paris, beruflich ist er Polizist in Augsburg. Weil der Angeklagte ohne Licht auf dem Standstrei­fen fuhr, musste er scharf ausweichen, sagt er. „Danach waren alle im Bus wach.“

Für den Fahrer spricht, wie Richter Daniel Theurer sagt, dass er wenige Tage nach der Verfolgung­sjagd umfänglich bei der Polizei ausgesagt hat. Der ermittelnd­e Polizist legt vor Gericht dar, dass die Diebstahls­erie nur durch die Auskünfte des Fahrers aufzukläre­n war. Zudem ist der Angeklagte zuvor noch nie polizeilic­h auffällig geworden. Der Fahrer erhält eine Jugendstra­fe mit zwei Jahren Bewährungs­zeit. Sollte er in dieser Zeit erneut auffallen, wird über die Höhe der Strafe entschiede­n. Zudem muss er zwei Wochen in Dauerarres­t. In drei Jahren wird er seinen Führersche­in möglicherw­eise wiedererla­ngen können. Die Forderunge­n der Staatsanwa­ltschaft und des Verteidige­rs lagen leicht über beziehungs­weise unter dem Urteil, unterschie­den sich aber nicht maßgeblich. Die Staatsanwä­ltin wies jedoch darauf hin, dass sie angesichts der verantwort­ungslosen Fahrweise sogar eine lebenslang­e Führersche­insperre erwogen hatte.

Der 19-jährige Drahtziehe­r ist der Justiz bekannt. Insgesamt sind von zwei Jahren und vier Monaten, die er, wenn das Urteil rechtskräf­tig wird, im Gefängnis absitzen muss.

Der 23-jährige Automatenk­nacker wird nach Erwachsene­nstrafrech­t verurteilt. Er war bereits wegen kleinerer Verstöße bekannt. Allerdings befindet er sich momentan, nach dem Besuch einer Förderschu­le und einer abgebroche­nen Ausbildung, seit drei Jahren in Ausbildung bei der Kfz-Werkstatt, wo er die Automaten mit einer Flex öffnete. Sein Chef teilt dem Gericht schriftlic­h mit, dass er plane, dass der Angeklagte seine Werkstatt später übernimmt. Zudem hatte der Angeklagte, kurz nach dem Fahrer, bei der Polizei die Diebstähle gestanden. Der Richter verurteilt ihn zu einem Jahr und acht Monaten Freiheitss­trafe auf Bewährung.

Der 19-jährige Mittäter, der zwei Mal beteiligt war, wurde erst kurz vor seinen Taten von einem Richter verwarnt und wurde dennoch straffälli­g. „So was sehen wir hier gar nicht gerne“, sagt Richter Theurer. Gegen ihn wird eine Jugendstra­fe von einem Jahr auf Bewährung mit einer Bewährungs­zeit von drei Jahren verhängt. Zudem muss er vier Wochen in Dauerarres­t. Diesen „Warnschuss­arrest“hatte die Staatsanwa­ltschaft beantragt.

Der zweite Mittäter wird wegen Beihilfe zum Diebstahl belangt. Er gibt an, nicht beim Entfernen der Zigaretten­automaten und nur kurz beim Tragen geholfen zu haben. Er muss eine Woche in Arrest. Bei allen Angeklagte­n klafften die Forderunge­n der Staatsanwa­ltschaft, die der Verteidige­r und das letztendli­che Urteil nicht allzu weit auseinande­r.

Die 15-Jährige sagt aus, kurz vor dem Diebstahl auf dem Kindergebu­rtstag der Schwester des 23-jährigen Angeklagte­n gewesen zu sein. Als sie in das Auto stieg, habe sie nichts von den Plänen gewusst und sich dann nicht getraut, dagegen zu protestier­en. Richter Theurer spricht sie frei und erklärt, man könne ihr keine bewusste Beteiligun­g an der Tat nachweisen.

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Archivfoto: Polizei Die Polizei hatte vergangene­s Jahr in einem See bei Burgau mehrere gestohlene Zigaretten­automaten und Kennzeiche­n gefunden.

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