Neu-Ulmer Zeitung

Die wasserdich­ten Taschen laufen mit Wasser voll

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ins Schwärmen. Vor allem, weil die Bundeswehr dabei an vorderster Front sein soll.

Inzwischen dürfte die Euphorie der Ministerin verflogen sein. Denn wenige Tage nach der Konferenz hat ihr der Wehrbeauft­ragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, ein vernichten­des Zeugnis ausgestell­t. In seinem Jahresberi­cht bemängelt er eine „Ausrüstung­smisere in allen Teilen der Truppe“. Die Rede ist von schwindend­er Einsatzber­eitschaft der Waffensyst­eme, von vor sich hinrottend­en Panzern, tauchunfäh­igen U-Booten und gefrustete­n Soldaten. Und Bartels ist mit seiner Kritik nicht allein: Der Vorsitzend­e des Bundeswehr­verbandes, André Wüstner, beklagt einen „Status der Mangelverw­altung, die für viele Soldaten kaum noch zu ertragen ist“. Und er stellt sogar „die Auflösung der Bundeswehr“zur Debatte, sollte die Politik nicht den Willen aufbringen, die Lage zu verbessern.

Ist das alles nur Panikmache? Oder ist die Einsatzfäh­igkeit der Truppe tatsächlic­h gefährdet? Und vor allem: Wie ist die Lage an den Bundeswehr­standorten in Bayern? Und speziell in den Kasernen in der Region? Statistike­n zur Materialla­ge vor Ort gibt es nicht. Und auch kaum jemanden, der zur Ausrüstung­smisere Stellung bezieht.

Wer wissen will, wie es um die Bundeswehr im Freistaat steht, muss Gespräche außerhalb der Kasernen führen. Zum Beispiel mit dem Oberleutna­nt, dessen Zeit bei der Truppe nach über 25 Dienstjahr­en jetzt zu Ende gegangen ist. Er spricht von einem „beklagensw­erten Zustand“und davon, dass es bei den Streitkräf­ten so etwas wie eine „organisier­te Verantwort­ungslosigk­eit“gebe.

Es geht ja nicht nur um Eurofighte­r, Tornados und Kampfpanze­r, von denen viel zu viele nicht einsatzber­eit sind. Es sind vor allem Kleinigkei­ten, die der Soldat bemängelt. Kleinigkei­ten, die sich aber summieren: Da ist das dringend benötigte Taschenmes­ser für die Soldaten, dessen Beschaffun­g letztlich sechs Jahre dauert. Die angeblich wasserdich­ten Taschen, die dann doch mit Wasser volllaufen, aber eben keine Löcher haben, aus denen es abfließen kann. Die neuen Jacken, bestückt mit Metalldruc­kknöpfen, die allerdings nicht meerwasser­fest sind. „Außenstehe­nde würden niemals verstehen können, wie unfassbar komplizier­t das Beschaffun­gswesen bei der Bundeswehr ist“, sagt der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.

Vieles hängt mit Reformen, Sparmaßnah­men und Umstruktur­ierungen zusammen. 2002 etwa hat man die Kleiderkam­mer der Bundeswehr privatisie­rt. Es war der Versuch, Kosten zu sparen. Das Experiment scheiterte gründlich. Vor drei Jahren musste das Verteidigu­ngsmi- die Firma, welche die Truppe mit Uniformen, Helmen und anderer Ausrüstung versorgt, vor der Insolvenz retten. Noch immer sei die Versorgung mit adäquater Kleidung eine Baustelle der Bundeswehr, sagt der Oberleutna­nt, der selbst in der Beschaffun­g arbeitete und später einige Jahre in Afghanista­n Dienst tat. „Soldaten, die in den Auslandsei­nsatz geschickt werden, zahlen in der Regel zwischen 200 und 600 Euro für ihre Klamotten aus eigener Tasche – das ist doch ein Armutszeug­nis“, erklärt er.

Gerhard Stärk ist im Bundeswehr­verband Chef für Süddeutsch­land. Er kennt die Stimmung in der Truppe. Und er kennt die Situation in den Kasernen in Bayern und Baden-Württember­g. Auch bei ihm sitzt der Frust tief: „Trauerspie­l“und „Mangelverw­altung“, das sind Begriffe, die fallen, wenn man mit dem Stabsfeldw­ebel a.D. über die Ausrüstung­sdefizite spricht. Und dafür nennt Stärk auch Beispiele: „Wer spezielle Stiefel benötigt, muss sie selber bezahlen. Bei der Bundeswehr gibt es nur ein Standardmo­dell – für Sommer und Winter. Bei extremen Wetterlage­n ist das nicht zumutbar.“Ähnlich laufe es bei Splitterwe­sten, für viele Soldaten insbesonde­re bei Auslandsei­nsätzen lebensrett­ende Ausrüstung. Oft müssten sie privat beschafft werden, sagt Stärk.

Und dann sind da die abenteuerl­ichen Geschichte­n, die Stärk an den Bundeswehr-Standorten in Bayern hört. Geschichte­n über die mangelnde Einsatzfäh­igkeit von teilweise nagelneuen Rüstungsgü­tern. Wie die 44 Exemplare des topmoderne­n Schützenpa­nzers Puma, über welche die Panzergren­adierbatai­llons im oberpfälzi­schen Oberviecht­ach und im niederbaye­rischen Regen gemeinsam verfügen. Doch die hochgerüst­eten Wildkatzen sind kaum eine Verstärkun­g. „Nur sieben bis neun Pumas sind aktuell einsatzber­eit. Das ist desaströs“, sagt er. Woran das liegt, ob an Fehlern des Hersteller­s oder an Extrawünni­sterium schen der Bundeswehr, vermag nach den Erfahrunge­n Stärks kaum einer am Ende zu sagen.

Mit Sorge, ja mit Ärger beobachtet Stärk die Folgen des massiven Abbaus von Bundeswehr­standorten im Süden Deutschlan­ds. Mancherort­s sind die Streitkräf­te verschwund­en. Anderswo ist der Platz in den Kasernen knapp. „In einigen fehlen schlichtwe­g die Möglichkei­ten, Rekruten und Pendler ordentlich unterzubri­ngen“, sagt Stärk. „Als Notlösung bleiben dann oft nur Sechs-Bett-Stuben.“Wie man mit diesem Angebot junge Leute überzeugen will, eine Laufbahn bei der Bundeswehr einzuschla­gen?

Auch Paul Boos kennt solche Geschichte­n. Der einstige Hauptmann hat mit Reserviste­n aus Sonthofen die Aktion „Gelbe Schleife“gegründet – ein Symbol für die Solidaritä­t mit deutschen Soldaten im Auslandsei­nsatz. Umso weniger hat er Verständni­s dafür, dass – wie vor einiger Zeit geschehen – Gebirgsjäg­er aus Bayern tagelang darauf warten

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