Neu-Ulmer Zeitung

Der Tod des Textes?

Ton, Fotos und vor allem Videos werden immer bestimmend­er im Internet. Ein bedeutsame­r und bedenklich­er Wandel unserer Wahrnehmun­g

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Im Jahr 2015 meldete der Internetgi­gant Google, dass an jedem Tag auf seinen Servern durchschni­ttlich so viele Daten gespeicher­t werden, wie eine der größten Bibliothek­en der Welt enthält: die Library of Congress in Washington mit 150 Millionen Medien, darunter 31 Millionen Bücher. Und im Jahr 2016 wurden so viele Daten generiert wie in der gesamten Menschheit­sgeschicht­e zuvor insgesamt.

Und es wird immer schneller immer mehr. Was aber dort kursiert, sind vergleichs­weise immer weniger die kleinen Datenmenge­n von Texten – damit mag das Computerze­italter einst begonnen haben. Doch jetzt hält längst jeder Nutzer mit dem Smartphone ein multimedia­les Produktion­sstudio in den Händen, Plattforme­n und Zugänge stehen allen offen, die Geräte selbst können Bilder und Klänge verstehen, teils bereits ihren Besitzer am Gesicht erkennen und sich per Sprache steuern lassen. Zur Informatio­nen oder Unterhaltu­ng muss keiner mehr lesen, auch die Kommunikat­ion im Bereich der sogenannte­n „Sozialen Netzwerke“verlagert sich durch den Erfolg von Anbietern wie Instagram und Snapchat immer stärker weg von Texten.

Im Jahr 2017 hat sich, das vermeldete kürzlich die New York Times, diese Entwicklun­g noch einmal schlagarti­g beschleuni­gt: Ton, Fotos ganda. „Könnte irgendjema­nd bitte an unsere Kinder denken“, mahnt die New York Times: „Wissen Sie, wie viel Macht Youtube über Ihre Kinder hat? Haben Sie Angst, das herauszufi­nden?“

3. Ton, Bild und Video vermitteln den Eindruck von Echtheit, von Authentizi­tät – und sind in beidem inzwischen doch leicht manipulier­bar. Hollywood kann Gestorbene digitalisi­ert in Filmen auferstehe­n und mitspielen lassen – wie den Commander des Todesstern­s in „Star Wars: Rogue One“. Und man muss bald kein Kenner komplexer Photoshop-Programme mehr sein, um jeden, von dem es Daten gibt, alles Mögliche in Bild und Ton tun und sagen zu lassen. Wer wird da noch unterschei­den können? Oder wollen? Zumal, wenn das Dargestell­te Das Verbrechen lässt sich nach Ansicht des Juristen und Schriftste­llers Ferdinand von Schirach, 53, niemals beseitigen. „Es wird immer Verbrechen geben“, erklärte Schirach im Nachrichte­nmagazin Der Spiegel. „Verbrechen entstehen aus Liebe oder aus Gier, beides können Sie im Menschen nicht abstellen, wir wären keine Menschen mehr.“Er hoffe aber auf bessere Methoden, um Warnsignal­e zu erkennen: „Eine Dispositio­n für eine bestimmte Art von furchtbare­n Verbrechen zeigt sich oft sehr früh.“Dem Gedanken der Sühne durch Strafe kann Schirach nichts abgewinnen. „Sinnvoll ist Strafe nur, wenn sie etwas bewirkt. Reue, jedenfalls meiner Erfahrung nach, entsteht nicht im Gefängnis.“Schirach gelang 2009 mit „Verbrechen“der Durchbruch.

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Foto: Facebook, dpa Auch Facebook bietet einen Überblick über die Welt seit zwei Jahren in Live Videos an.
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FILMPREISE VOR DEN OSCARS

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