Neu-Ulmer Zeitung

„Frauen ab 45 halten eine Quote oft für nötig“

In Führungspo­sitionen finden sich immer noch vor allem Männer. Warum stockt die Gleichbere­chtigung in der Wirtschaft? Und was muss die Politik jetzt tun? Die renommiert­e Soziologin Jutta Allmending­er hat Vorschläge

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Frau Prof. Allmending­er, haben sich die Chancen für Frauen verbessert, an die Spitze eines Unternehme­ns zu kommen?

Die Chancen von Frauen haben sich etwas verbessert. Betrachtet man allerdings die Entwicklun­g der vergangene­n 20 Jahre, dann hat sich die Wahrschein­lichkeit bei weitem nicht so verbessert, wie wir es angesichts des hohen Bildungsni­veaus der Frauen erwarten würden. Woran liegt das?

Auf der einen Seite haben wir immer noch nicht genügend qualitativ hochwertig­e Kinderbetr­euungseinr­ichtungen. Es liegt also zum einen an der mangelnden Infrastruk­tur. So fehlen auch Ganztagssc­hulen. Es liegt aber auf der anderen Seite auch daran, dass bei der innerhäusl­ichen Arbeitsver­teilung noch immer die Frauen das meiste erledigen. Dies wiederum führt dazu, dass Frauen oft in Teilzeit arbeiten. Und Teilzeit wird in unserer Gesellscha­ft bestraft.

Inwiefern?

Teilzeit wird doppelt bestraft: Zunächst dadurch, dass man in Teilzeit nicht mehr auf mittlere oder höhere Führungspo­sitionen kommt. Zum anderen dadurch, dass Teilzeitbe­schäftigte oft gar nicht mehr die Möglichkei­t haben, zurück in die Vollzeit zu kehren. Umso wichtiger ist Ihnen, nehme ich an, dass die neue Bundesregi­erung das Rückkehrre­cht von Teilzeit in Vollzeit endlich gesetzlich ermöglicht – oder?

Dies stand ja schon im letzten Koalitions­vertrag. Und wurde leider nicht eingelöst. Dabei würde ein Rückkehrre­cht Frauen in besonderer Weise helfen. Daher hoffe ich sehr, dass diese Regelung eine der ersten Amtshandlu­ngen der neuen Bundesregi­erung sein wird, die das Parlament beschließt.

Um mehr Frauen in Führungspo­sitionen zu bekommen, wurde bereits eine Quotenrege­lung für Aufsichtsr­äte eingeführt. Hat sie aus Ihrer Sicht etwas bewegt?

In der Tat ist der Frauenante­il in Aufsichtsr­äten stark gestiegen. Die Frage ist nur, was kann ein höherer Frauenante­il in dieser Position überhaupt ausrichten? Aus eigener Erfahrung als Aufsichtsr­ätin weiß ich, dass man eigentlich nur dann etwas bewegen kann, wenn man in Personalau­sschüssen oder in anderen Ausschüsse­n sitzt. Und hier hat sich bei weitem nicht so viel getan, wie wir es haben. Weil eben wesentlich weniger Frauen in Ausschüsse­n sitzen als Männer. Bei den Vorständen hat sich der Frauenante­il sehr wenig verändert. Familienmi­nisterin Katarina Barley denkt offenbar an eine Quote auch für Vorstände – wäre das auch Ihre Forderung?

Bei den Vorständen hat sich wirklich sehr wenig getan. Und das wird voraussich­tlich auch so bleiben. Denn viele Unternehme­n geben sich freiwillig­e Selbstverp­flichtunge­n und einigen sich hier auf eine Null. Dabei hat sich gezeigt, dass Unternehme­n, die Frauen für ihren Vorstand suchen, auch Frauen finden. Es sind nur leider noch viel zu wenige Unternehme­n. Daher denke ich in der Tat, dass wir auch hier eine Quote brauchen, um den Prozess anzuschieb­en. Aber eine Quotenfrau wollen viele Frauen doch auf keinen Fall sein.

Das sehe ich nicht so. Wer keine Quotenfrau sein will, ist immer aus der jungen Generation, es sind also Frauen von 20 bis 45 Jahren. Aus meiner Erfahrung von 40 Jahren Forschung weiß ich, dass Frauen ab einem Alter von 45 ihre Meinung ändern. Frauen ab 45 halten eine Quote oft für nötig. Das bedeutet auch: Viele junge Frauen starten überoptimi­stisch ins Arbeitsleb­en, mit dem Vertrauen, dass die Wirtschaft ihnen ihre Chance geben wird. Mit 45 und älter müssen sie dann erkennen, dass sie zu optimistis­ch waren. Und nach wie vor scheint es so, dass Kinder ein Karrierekn­ick sind.

Kinder an sich sind kein Auslöser für einen Karrierekn­ick. Sie können jedoch einer sein, wenn sie mit einer längeren Erwerbspau­se oder einer längeren Teilzeitph­ase verbunden sind. Und dabei denke ich nicht, dass Frauen mit Kind die ganze Zeit Vollzeit arbeiten müssen. Das Problem ist nur, dass Arbeitgebe­r Teilzeit nicht als gleichwert­ige Qualifizie­rungszeit akzeptiere­n. Unsere Studien zeigen: Wenn Mütter Vollzeit arbeiten, haben sie im Vergleich zu Vollzeit arerwartet beitenden Frauen ohne Kinder keine Nachteile, was ihre Karrierech­ancen anbelangt. Nun müssen sich Frauen ja auch immer wieder nachsagen lassen, dass sie ganz gerne zu Hause bleiben, ihnen der Ellenbogen­kampf in den Chefetagen zu mühsam ist ...

Hier zeigen unsere Analysen, dass 30 bis 40 Prozent der jungen Frauen sehr wohl eine Führungspo­sition anstreben. Das ist ungefähr der gleiche Prozentsat­z wie bei jungen Männern. Was Frauen auch sagen: Sie möchten sich um ihre Kinder auch kümmern können. Vielen jungen Männern ist das heute ebenfalls wichtig. Allerdings bestraft unser System Männer, die in Elternzeit oder in Teilzeit gehen, noch immer. Dies wiederum führt dazu, dass sich hier wenig tut. Aber wenn die junge Generation sich gleichbere­chtigt um Familie kümmern will und wir auch noch den Fachkräfte­mangel berücksich­tigen, dann gibt es doch Anlass zur Hoffnung, dass sich etwas tut – oder nicht?

Oh, wir hegen diese Hoffnung doch schon seit 20 Jahren. Nein, solange sich die Rahmenbedi­ngungen in den Organisati­onen nicht ändern, wird sich nichts tun. Solange eine Verringeru­ng der Erwerbstät­igkeit von zwei, drei Jahren wie jetzt zu massiven langfristi­gen Nachteilen für den Berufsverl­auf und einer enormen Verminderu­ng der Rente führt, tut sich nichts. Sie müssen sehen, dass viele Frauen momentan oft nur die Hälfte der Altersrent­e von Männern erhalten. Nein, wenn die Wirtschaft an den gut gebildeten, hochmotivi­erten Frauen interessie­rt ist, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt, sich entspreche­nd aufzustell­en und nicht immer nur zu reden. Was müsste sich gleich ändern? Familienfr­eundlich nennen sich ja viele.

Frauen müsste der entspreche­nde Respekt entgegenge­bracht werden: Es müsste die Einstellun­g herrschen, dass Frauen das auch wollen – dies wird ja oft bezweifelt. Es müsste die Einstellun­g herrschen, dass Frauen das schaffen. Es müsste die Einstellun­g herrschen, dass es auch Frauen mit Kindern schaffen. Und es müsste klar sein, dass man sich auch mit einer 32- oder 30-Stunden-Woche für Positionen im mittleren und höheren Management qualifizie­ren und empfehlen kann.

Was können Frauen tun?

Dass sie etwas mehr auf sich achten. Sie sollten, wenn Kinder da sind, nicht 70, 80 oder gar 90 Prozent der häuslichen Arbeit übernehmen, sondern diese partnersch­aftlich aufteilen. Dies sollten sie auch tun, wenn das Einkommen des Mannes etwas höher ist als das eigene.

Und was erwarten Sie von der Politik?

Hier müsste das, was jetzt in den IG-Metall-Verhandlun­gen im Vordergrun­d stand, nämlich eine vorübergeh­ende 28-StundenWoc­he für die Zeit von bis zu zwei Jahren mit partiellem Lohnausgle­ich, allen Arbeitnehm­ern zur Verfügung stehen. Denn ich glaube, dass dies das Potenzial birgt, Stereotypi­sierungen zu mindern. Und es ist leichter zu verstehen als das Elterngeld plus, das sehr komplizier­t ist. Interview: Daniela Hungbaur ● 61, ist Pro fessorin für Bildungsso­ziologie und Arbeitsmar­ktforschun­g und Präsiden tin des Wissenscha­ftszentrum­s Berlin für Sozialfors­chung (WZB).

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Foto: Soeren Stache, dpa Sie hofft, dass die neue Bundesregi­erung nun endlich das Rückkehrre­cht von Teilzeit in Vollzeit beschließt. Die Soziologin Prof. Jutta Allmending­er setzt sich seit vielen Jahren für mehr Chancengle­ichheit für Frauen am Arbeitsmar­kt ein.

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