Neu-Ulmer Zeitung

Es wird besser, aber es geht nie vorbei

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mussten. Ein Denkmal in Form seines unangetast­eten Zimmers wollten sie nicht, sie haben das Zimmer ausgeräumt. „Wir haben ihn im Herzen“, sagt die Mutter.

Irgendwann ging es für Ingrid W. nicht mehr darum, zu funktionie­ren. Da kamen die Trauer, die Wut, das Unverständ­nis und das maßlose Vermissen wie ein Hammerschl­ag. Da fiel ihr die Telefonnum­mer einer Stiftung in Unterfrank­en in die Hände. „Wenn ich dort nicht angerufen hätte, wäre ich zugrunde gegangen.“Die Stiftung berät und begleitet seit elf Jahren Menschen in Trauer, sie hilft Angehörige­n, mit dem Verlust klarzukomm­en. „Den Mitarbeite­rn dort brauche ich nicht zu erklären, dass ich nach wie vor ein ganz normaler Mensch bin, dass ich einfach ,nur‘ mein Kind verloren habe“, sagt Ingrid W. Nach ihrem ersten Termin dort fühlte sie sich „befreiter“. „Ich kann da in meinem Tempo trauern, ich kann alles rauslassen, muss auf niemanden Rücksicht nehmen.“Auch nicht auf ihren Mann, der anders als sie trauert, den sie mit ihren Gefühlen oft nicht noch mehr belasten möchte. Auch in anderen Regionen Bayerns gibt es solche Angebote, etwa das Trauer-Telefon der Diözese Augsburg oder Selbsthilf­egruppen des Verbands Verwaister Eltern. Ingrid W. sagt: „Ich kann nur jedem raten, sich diese Hilfe zu holen.“

Kürzlich war wieder so ein Moment, in dem sie diese Hilfe gebraucht hat. Der Mutter fiel ein Plüschscha­f in die Hände. Es hatte Raphael gehört. Das verknautsc­hte Kuscheltie­r katapultie­rte Ingrid W. wieder in die Zeiten des größten Schmerzes. Aber sie weiß: Es wird besser. „Das will ich allen mitgeben, die in einer ähnlichen Situation sind.“Dass es besser wird, auch wenn es nie vorbeigeht. Das muss es auch nie, hat Ingrid W. gelernt. „Denn das hieße ja zu vergessen. Das wird nie passieren.“Ingrid W. hat ihre Rituale, der Besuch der Stiftung gehört dazu und der tägliche Gang zum Grab. Oder das Geheimnis, das sie in der Hosentasch­e trägt. Etwas, das Raphael zur Einschulun­g erhalten hatte. Es ist abgegriffe­n, passt in die hohle Hand, sagt sie. „Und es tröstet mich. Dann ist er immer da.“

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Foto: Susanne Will Als Raphael starb, war er 19 Jahre alt. Seine Mutter hat Erinnerung­en an ihn bewahrt. Wie das Plüschscha­f, das ihm gehörte.

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