Ein widerspenstiger Kardinal
Der Mainzer Bischof Karl Lehmann hat die katholische Kirche in Deutschland maßgeblich geprägt. Trotzdem bereitete ihm der Papst seine bitterste Stunde
Seine bitterste Stunde war am 9. Juni 1999: Papst Johannes Paul II. hatte dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz in einem Brief ziemlich unmissverständlich nahegelegt, aus der Schwangerenkonfliktberatung mit ergebnisoffenem Verlauf auszusteigen. Zwölf Tage ging Bischof Karl Lehmann mit dem Dokument aus dem Vatikan schwanger, ehe er die entscheidende Sitzung der deutschen Amtskollegen in Würzburg eröffnen konnte. Zwölf Tage, in denen er Weichen stellte und Rat einholte, von Mitbrüdern und Laien, Juristen und der Bundesfamilienministerin. Denn was Lehmann als Stellungnahme der deutschen Bischöfe zum Papstbrief ersonnen hatte, sollte jedem Einwand standhalten.
Doch seine Hoffnung, die auch etliche Mitbrüder teilten, konnte er nicht einlösen. Die katholische Kirche stieg aus der Schwangerenkonfliktberatung aus, weil sie von ihren strengen Gegnern als Beihilfe zur Tötung unschuldigen Lebens eingestuft wurde. Karl Lehmann hatte ein hartes Ringen mit den konservativen Wortführern hinter sich, vor allem mit dem Fuldaer Erzbischof Johannes Dyba und mit Kardinal Joseph Ratzinger, damals Chef der vatikanischen Glaubenskongregation. „Wir haben gekämpft und wir haben verloren“, kommentierte er das Machtwort des Papstes.
Lehmann ging es in seinem theologischen Denken und kirchenpolitischen Handeln immer darum, wie eine den Menschen in ihren verschiedenen Lebenssituationen dienliche und zugleich ihrer Tradition verpflichtete Kirche aussehen kann. Nie verheimlichte er, dass er sich bei den großen Streitthemen wie dem Zölibat der Priester und der Rolle von Frauen größere Veränderungen wünschte, als sie in der katholischen Kirche durchsetzbar waren.
Ihn leichtfertig als einen „Liberalen“einzuschätzen und seine Treue zum Papst anzuzweifeln, wie es oft auch in verleumderischer Absicht geschehen ist, wird seinem Wesen nicht gerecht. An seiner Loyalität am römischen Leitungsamt ließ er keinen Zweifel – obwohl es ihn zuweilen schmerzte. Schließlich hat Lehmann in Rom studiert und ist dort 1963 zum Priester geweiht worden. Er wusste, wie Rom tickt und was für ein komplizierter Apparat die vatikanischen Behörden sind.
Die entscheidenden Jahre des Zweiten Vatikanischen Konzils bekam Lehmann als wissenschaftlicher Assistent von Karl Rahner hautnah mit. Für die deutschen Teilnehmer arbeitete er Expertisen und Formulierungen aus. „Ich könnte mich gar nicht denken ohne das Konzil. Ich identifiziere mich mit meiner ganzen priesterlichen Existenz und in der Ausrichtung meines Dienstes daran“, erklärte er in einem Interview. Immer schon war er der glänzende Intellektuelle, der sich unermüdlich in die neueste Literatur einlas. Seine Bibliothek in Mainz galt als legendär, tief nachts war er dort auch noch in seiner Zeit als Vorsitzender der Bischofskonferenz anzutreffen.
Mit 32 berief ihn die Universität Mainz 1968 als Professor für katholische Dogmatik, 1971 wechselte Lehmann nach Freiburg; zur Dogmatik trat die Ökumenische Theologie hinzu. Die Annäherung der getrennten Kirchen sollte ihm zeitlebens ein Herzensanliegen sein. Dass 1999 die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre zwischen Vatikan und Lutherischem Weltbund in Augsburg unterzeichnet werden konnte, geht wesentlich auf sein Verhandlungsgeschick zurück. Besonders glückliche Momente waren für ihn die Wiedervereinigung der getrennten Bischofskonferenzen und 1996 der Gang durchs Brandenburger Tor gemeinsam mit Papst Johannes Paul II.
Karl Lehmann, hörbar ein Badener aus Sigmaringen, wo er am 16. Mai 1936 geboren wurde, war ein kommunikationsfreudiger Mensch, aufgelegt zu einem Scherz, präzise im Ausdruck und manchmal kantig in der Wortwahl. Dabei zeigte er sich als tief spiritueller Mensch. Die Glaubenskrise der Gegenwart hat ihn umgetrieben, zuversichtlich, dass daraus etwas Neues entstehen kann. „Wenn wir unserem Glauben mehr zutrauen, werden wir auch in der geistigen Auseinandersetzung wieder mutiger“, schrieb er 1983 in seinem ersten Hirtenbrief.
Auf dem Mainzer Bischofsstuhl saß er 32 Jahre. Man konnte Lehmann auch bei der Mainzer Fastnacht und mit Fanschal im Fußballstadion antreffen. Von 1987 bis 2008 war er Vorsitzender der Bischofskonferenz und wurde zu der Leitfigur des deutschen Katholizismus. Auffällig lange wurde Lehmann bei der Kür neuer Kardinäle übergangen. Erst 2001 nahm ihn Johannes Paul II. in das Kollegium auf. Lehmanns letzte Dienstjahre waren bereits von ernsthaften gesundheitlichen Problemen überschattet, er habe „Raubbau“an seiner Gesundheit betrieben, sagte der Kardinal über sich selbst. Erst im Mai 2016 nahm er Abschied vom Bischofsamt. Am Sonntagmorgen ist er in Mainz im Alter von 81 Jahren gestorben.
Baden-Württembergs CDU-Innenminister Thomas Strobl ist ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, nachdem er verdeckte Ermittlungen der Polizei gegen kriminelle Ausländer in Sigmaringen bekannt gemacht hat. Er setze damit die Sicherheit von Polizeibeamten aufs Spiel, warf die Polizeigewerkschaft DPolG dem Minister vor. Der Kritik schlossen sich die FDP, die SPD und auch die Grünen im Landtag an. Strobls Ministerium wies alle Vorwürfe zurück. Von „Geheimnisverrat“könne keine Rede sein.
Die DPolG forderte den sofortigen Abbruch der geplanten geheimen Operationen in Sigmaringen. Verdeckte polizeiliche Maßnahmen in der Presse anzukündigen, führe dazu, dass Polizeibeamte erheblichen Gefahren ausgesetzt werden. „Das ist ein Skandal“, sagte der Landesvorsitzende der DPolG, Ralf Kusterer, am Samstag.
Der Staatssekretär des Innenministeriums, Martin Jäger (CDU), erklärte am Sonntag: „Die Vorwürfe, es sei zu einem Geheimnisverrat durch den Innenminister gekommen, gehen an der Sache vorbei und sind ohne Substanz.“Die Ankündigung durch Strobl sei auf Grundlage eines operativen Konzepts der Landespolizei erfolgt. Sie habe auch „abschreckenden Charakter“. Zu taktischen Details konkreter Maßnahmen mache das Ministerium grundsätzlich keine Angaben.
Strobl, der auch stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender ist, hatte am Freitag mitgeteilt, dass in Sigmaringen nach Hilferufen des Bürgermeisters wegen auffälliger Asylbewerber Polizisten inkognito in der Stadt unterwegs sein sollen. Ausländische Täter, die mehrfach auffallen, sollen dem Sonderstab gefährliche Ausländer im Innenministerium gemeldet werden. Ihnen droht die Abschiebung.
In Sigmaringen leben in einer Erstaufnahmestelle des Landes Baden-Württemberg etwa 400 Flüchtlinge. Am Bahnhof der rund 17000 Einwohner zählenden Stadt waren zuletzt wiederholt Flüchtlinge mit Alkoholexzessen und Pöbeleien aufgefallen.