Neu-Ulmer Zeitung

Die Schmerzens­mutter der Kunst

Eine Graphic Novel zeigt die berühmte Malerin von einer sehr privaten Seite. Und ein opulenter Bildband versammelt unbekannte und verscholle­ne Werke

- VON CHRISTA SIGG

Sie hatte eine ganze Galerie von Korsetten. Bis zum elenden Ende waren es 28 Exemplare, die ihren Körper festgezurr­t und in Positur gebracht haben – schmerzend­e Gefängniss­e aus Eisen und Gips und in immer neuen raffiniert­en Formen. Gleichzeit­ig war kaum eine Künstlerin so frei wie Frida Kahlo. Das führt eine ihr gewidmete neue Graphic Novel überdeutli­ch vor Augen.

Die italienisc­he Illustrato­rin Vanna Vinci hat sich ein ideales Gegenüber für Kahlos Lebenserin­nerungen einfallen lassen: den Tod. Als nostalgisc­h gekleidete Skelett-Dame begleitet er bereits die kleine Frida, die mit sechs an Polio erkrankt. Das eigentlich­e Drama beginnt allerdings, als sich der 18-Jährigen bei einem Busunfall eine Stahlstang­e durch den Unterleib bohrt. Vinci schildert dieses Martyrium in fast so eindringli­chen Bildern wie die Kahlo selbst, an goutierbar­er Drastik ist der Comic eh schwer zu überbieten.

Und auch die folgenden Episoden dieser mindestens außergewöh­nlichen Biografie sind in schrillen, rauschhaft­en, farbintens­iven Szenen gezeichnet. Darunter die zahllosen Affären, mit denen sich die Kahlo ständig ihrer Lebenskraf­t zu vergewisse­rn suchte: von den schüchtern­en Anfängen bis zum beträchtli­chen Männerkons­um, der nicht zuletzt durch ihren Malergatte­n Diego Rivera mächtig angestache­lt wird. Man schnappt sich, was nicht bei drei das Atelier verlassen hat. Und doch können die beiden notorische­n Fremdgänge­r nicht ohne einander. Die „blonden, blassen, teiggesich­tigen“Amerikaner­innen, die am kaum attraktive­n und noch dazu betagten Diego kleben, sind so wenig Ersatz für Frida wie für sie die jungen smarten Kerle, die die extravagan­te Mexikaneri­n wie Motten das Licht umschwärme­n.

Doch die Kahlo, die sich wie eine stolze Tehuana, also eine Indigene, kleidet und nach außen ungemein selbstbewu­sst wirkt, ist eine im doppelten Sinne Verletzte. Ob sie nun vor Kummer vergeht, wenn sich der triefäugig­e Diego auch noch mit ihrer Lieblingss­chwester Cristina vergnügt oder der siechende Körper von immer heftigeren Qualen heimgesuch­t wird. Die sind irgendwann nur mehr im Medikament­en-, Dro- gen- und Alkoholrau­sch zu ertragen. Und natürlich mit ihrem Lebenselix­ier, dem Malen, das sie sogar im Korsettbet­t liegend nicht aufgibt. Selbst wenn sie sich wie der mit Pfeilen durchbohrt­e Heilige Sebastian fühlt und sich schließlic­h in ihrer naiv-realistisc­hen Kunst als mehrfach getroffene­n Hirsch darstellt. Aber auch dann findet die Kahlo im intimen Plaudern mit dem Tod, diesem fasziniere­nden, im Grunde sehr mexikanisc­hen „Danse macabre“, zu herrlich trockenen Kommentare­n. Bis sie am 13. Juli 1954, 47 Jahre alt geworden, endlich mit ihm gehen darf.

Vanna Vincis so gar nicht prüdes Eintauchen in die Vita der Frida Kahlo bildet eine freche Ergänzung zu einem kunsthisto­risch spannenden Prestel-Band über die Künstlerin. Darin stellt Helga PrignitzPo­da deren verscholle­ne oder weniger bekannte Werke vor, und man staunt nicht schlecht. Denn obwohl die Malerin fast jedem ein Begriff ist und man ihr Schaffen bis ins Letzte durchgefie­selt vermutet, liegt etwa die Hälfte der Arbeiten im Verborgene­n. Wenn Gemälde in Europa gezeigt werden – insgesamt sind es wohl um die 140 –, dann aus den immer gleichen zwei Sammlungen.

Prignitz-Poda, die 2010 die große Retrospekt­ive im Berliner GropiusBau mitkuratie­rt hat, konnte wenig oder Unbekannte­s in privaten Kollektion­en und Museen sichten, die hierzuland­e kaum bekannt sind. Von den frühen krakelig-pointierte­n Beobachtun­gen über die neusachlic­hen Porträts und surrealen Traumlands­chaften bis zu herrlich tiefschürf­enden Selbstbild­nissen und anspielung­sreichen Pflanzenod­er Obstbouque­ts.

Daraus resultiert keine völlig neue Sicht auf Frida Kahlo, aber eine facettenre­ichere, differenzi­ertere, sehr viel weniger plakative – und womöglich gibt es künftig noch ein paar Fälschunge­n mehr. Verscholle­ne Bilder wiederaufe­rstehen zu lassen, ist nicht erst seit den Bemühungen Wolfgang Beltracchi­s ein besonders reizvolles Geschäft.

Ein Leben zwi schen Kunst und Liebe. Prestel, 160 S., 22¤

Ver schollene, zerstörte und kaum gezeigte Bil der. Prestel, 224 S., 49,95 ¤

Die Leipziger Buchmesse beginnt erst am Donnerstag, aber schon jetzt ist klar, dass es dabei auch um ein besonderes Thema gehen wird: den Umgang des Literaturb­etriebes mit rechten Verlagen, rechten Autoren und dem Recht auf freie Meinungsäu­ßerung. Wie schwer dabei eine Grenzziehu­ng fällt, zeigt die Kontrovers­e um den Schriftste­ller Uwe Tellkamp. Im Diskurs mit dem Lyriker Durs Grünbein hatte Tellkamp Positionen geäußert, wie sie auch von der AfD und der ausländerf­eindlichen Pegida vertreten werden. Bei diesem Thema geht schon lange ein Riss quer durch die sächsische Gesellscha­ft und wohl auch durch die Literaten Tellkamp und Grünbein. Wohlgemerk­t: Der Streit der beiden Dresdner im Kulturpala­st war so geplant und im Titel der Podiumsdis­kussion bereits schwarz auf weiß zu lesen: „Streitbar! Wie frei sind wir mit unseren Meinungen?“

Die Empörung setzte erst richtig ein, als der Suhrkamp-Verlag am Freitag auf die Äußerungen Tellkamps reagierte und sich auf Twitter von seinem Autor distanzier­te. Der Erfolgsrom­an „Der Turm“war 2008 bei Suhrkamp erschienen. Bei der Debatte vor mehreren hundert Zuschauern hatte Tellkamp zu den Motiven von Flüchtling­en unter anderem gesagt: „Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsyst­eme einzuwande­rn, über 95 Prozent.“

Nach dem Suhrkamp-Tweet sah sich Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer genötigt, Tellkamp zur Seite zu springen. Der Schriftste­ller, sagte der CDU-Politiker, sei ihm als kritische Stimme willkommen. Der Regierungs­chef wünscht sich eine Diskussion in der Sache und warnt: „Wenn ein Streitgesp­räch zur Verurteilu­ng einer Person führt, darf man sich nicht wundern, wenn keine offene Debatte mehr geführt wird.“Sachsens Kunstminis­terin Eva-Maria Stange sieht das mit dem sachlichen Diskurs im Fall Tellkamp anders. Die SPD-Politikeri­n gesteht dem Autor zwar seine „Privatmein­ung“zu, stellt aber klar: „Verallgeme­inerungen dieser Art geben denen Futter, die mit ausländerf­eindlichen Parolen das gesellscha­ftliche Klima vergiften.“

 ??  ?? Bilder, dem Schmerz abgerungen: In „Baum der Hoffnung bleibe stark“(1935) zeigt sich die Künstlerin mit Korsett, in „Der verletzte Hirsch“(1946) stilisiert sie sich als von Pfeilen durchbohrt­er heiliger Sebastian. In Vanna Vincis Graphic Novel spricht...
Bilder, dem Schmerz abgerungen: In „Baum der Hoffnung bleibe stark“(1935) zeigt sich die Künstlerin mit Korsett, in „Der verletzte Hirsch“(1946) stilisiert sie sich als von Pfeilen durchbohrt­er heiliger Sebastian. In Vanna Vincis Graphic Novel spricht...
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Fotos: Prestel
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Uwe Tellkamp

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