Er lädt Obdachlose und Flüchtlinge ein
braucht es für eine Erneuerung der katholischen Kirche mehr?
Unbestritten ist, dass die katholische Kirche nach dem Rücktritt von Benedikt XVI. im Frühjahr 2013 in einem kritischen, gar verfallsähnlichen Zustand war – und dass mit dem neuen Pontifex auf einmal alles möglich schien. „Er ist von einer Welle der positiven Meinung getragen worden“, sagt Benjamin Leven vom theologischen Fachverlag Herder in Rom. „Er ist jemand, der der Kirche Lockerungsübungen verordnet hat. Er ist das Gegenbild zu seinem Vorgänger.“
Fraglos hat der heute 81-Jährige mit seinem Stil eine neue Ära geleitet. Franziskus kleidet sich in schlichtes Weiß, trägt ein Kreuz aus Blech vor der Brust, verzichtet auf die roten Papstschuhe und die Gemächer im Apostolischen Palast. Das wirkt auch auf den Klerus: Bischöfe fahren nicht nur kleinere Autos, sie dürfen sich im Gegensatz zu früher auch zu kritischen Themen offen äußern, ohne vom Vatikan abgekanzelt zu werden. Kirchenrechtler Thomas Schüller von der Universität Münster sagt: „Es gibt eine erfrischende Offenheit. Man wird nicht gleich geköpft, wenn man Klartext redet.“Franziskus hat Diskussionen ermöglicht, nur seine Kirche tut sich mit der Pluralität manchmal noch schwer.
Der Papst hat seine Versprechen, „an die Ränder“zu gehen, wahr gemacht. Bei seinen Reisen sucht er sich Länder wie Südkorea, Albanien, Bangladesch oder seinen Heimatkontinent Lateinamerika aus. Er lädt Obdachlose oder Flüchtlinge in den Vatikan ein und trifft regelmäßig Häftlinge und Ausgegrenzte. Dieser Einsatz für die Schwächsten wird allgemein akzeptiert. Weniger Konsens findet bereits sein Dringen auf eine ökologische Wende, wie er sie etwa in seinem Schreiben „Laudato si“fordert. Was hat das Seelenheil mit Umweltschutz zu tun, fragen die Fundamentalisten. Dabei steht Franziskus auch in der Tradition seines Namensgebers, dem alle Geschöpfe am Herz lagen, nicht nur der Mensch.
Die Weichenstellung mit den sichtbarsten Folgen ist ihm bislang in der Nominierung neuer Kardinäle gelungen, die eines Tages seinen Nachfolger bestimmen werden. Sie stammen aus allen Ecken und Enden der Welt. Franziskus wählt eher Pastoren-Typen statt weltfremder Top-Theologen, wie sie noch unter seinem Vorgänger gefragt waren. Ja, die katholische Kirche ist mit dem neuen Papst weniger theoretisch, dafür aber nachhaltig universal geworden.
Das Projekt Wiederaufbau gerät hingegen immer wieder ins Stocken. Da ist zum Beispiel der zwiespältige Umgang des Papstes mit dem Thema Missbrauch. Einerseits wirkt sein Bemühen um die Anliegen von Betroffenen aufrichtig, andererseits scheinen Franziskus’ persönliche Freundschaften zuweilen mehr zu bedeuten als ein mutiges Vorgehen gegen die Täter. So verteidigte er bei seiner Chile-Reise im Januar einen Bischof, der einen Pädophilen gedeckt haben soll und stieß die Opfer vor den Kopf. Zwar entschuldigte er sich später für seine Wortwahl, ein fader Beigeschmack aber blieb.
Zugleich ist Franziskus nach fünf Jahren im Amt an seine Grenzen gestoßen. Die Finanzreformen des Papstes treten auf der Stelle. Auch die von den Kardinälen 2013 dringend geforderte Reform der Kurie kommt kaum voran. Kritiker werfen dem Papst Nachlässigkeit vor. Kirchenrechtler Schüller sagt: „Ein charismatischer Papst reicht nicht aus, um in kurzer Zeit alle Problemfelder abzuarbeiten. Auch dieser Papst ist auf Gedeih und Verderb auf Leute angewiesen, die seine Ideen umsetzen.“Mitarbeiter beklagen, dass die rechte Hand nicht wisse, was die linke tue.
Innerhalb der Kurie hat sich Franziskus keine Freunde gemacht, wenn er wie bei der Weihnachtsansprache 2014 die Mitarbeiter des kirchlichen Verwaltungsapparats herunterputzt und Arroganz und Eitelkeit anprangert. Dass sich eine Gegenwehr gegen ihn formiert hat, die der Vatikan-Experte Marco Politi einmal als „Bürgerkrieg im Untergrund“bezeichnete, entspricht aber inzwischen nur noch bedingt der Wirklichkeit. In der Kurie hat Franziskus fast alle Schlüsselposten mit Gefolgsleuten besetzt.
Hinzu kommt: Die bisher wichtigste Schlacht in seinem Pontifikat hat Franziskus eindeutig für sich entschieden. Es geht um das Schreiben „Amoris laetitia“vom März 2016, in dem Franziskus der Kirche