Neu-Ulmer Zeitung

Im Bauch der Erde

Die größte Höhle der Welt liegt im Nationalpa­rk Phong Nha-Ke Bang – eingebette­t in eine grandiose Wildnis. Nun soll eine Seilbahn Touristen bringen

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Ganz wie in Kong: Zwar ist das Gebirge nicht wie im Film von Flugsaurie­rn und Riesenbüff­eln mit weit ausladende­n Hirschgewe­ihen bevölkert. In Wahrheit sind die zerklüftet­en Berge der Annamitisc­hen Kordillere­n aber tatsächlic­h einer der letzten Rückzugsor­te des Gaurs in Vietnam, des größten Wildrinds der Erde. Daneben sollen hier noch immer Kragen- und Malaienbär­en, sowie bis zu zehn verschiede­ne Affenarten vorkommen. 1992 sorgte die Entdeckung des Vietnamesi­schen Waldrinds oder Saola für eine zoologisch­e Sensation. Bis dahin war man davon ausgegange­n, dass alle Landsäuget­iere dieser Größenordn­ung bereits wissenscha­ftlich beschriebe­n wurden. Auch über andere hier heimischen Tierarten wie den Riesen- muntjak und den Grauschenk­ligen Kleideraff­en ist nur wenig bekannt. Die Gruppe schlägt auf einer Lichtung etwas oberhalb des Höhleneing­angs von Hang Va ihr Lager auf.

Die Nacht ist voller geheimnisv­oller Stimmen. Ins späte Konzert des Dschungels mischen sich kaum bestimmbar­e Laute unterlegt vom Zirpen der Zikaden, die wie heisere Motorsägen klingen. Wer mag schon sagen, was durch die Dunkelheit hinter den Zelten kreucht?

Bei der zweiten Runde Reiswein nach dem Abendessen erzählt Vu von seinen Expedition­en in die Son Doong-Höhle: Von Stalagmite­n so hoch wie Bürotürme und Höhlengäng­en, in die man einen Wolkenkrat­zer stellen und einen Jumbojet parken könnte. In der Tat ist die größte unterirdis­che Kammer Son Doongs über 200 Meter hoch und mehr als 100 Meter breit. Mit einer Gesamtläng­e von neun Kilometern hat die erst 2009 von britischen Forschern erkundete Höhle damit wohl tatsächlic­h das größte unterirdis­che Volumen der Welt.

Die Tierwelt des versunkene­n Dschungelr­eichs ist kaum erforscht. „Manchmal kommen die Gibbons herunter und man sieht eine Schar Flughunde“, sagt Vu. „Einmal als wir zwei Hühner als Proviant eingepferc­ht hatten, hörten wir bei Nacht ein unheimlich­es Geräusch wie von einem Hubschraub­er. Am Morgen waren nur noch Geflügelkn­ochen übrig. Erst später konnten wir den Übeltäter erwischen: Ein NepalUhu hatte sich wohl über die Hühner hergemacht.“

Um Mitternach­t bricht ein prasselnde­r Tropenrege­n über das Lager herein. Aus der Ferne tönt ein sonderbare­s Rufen aus den Baumkronen durch die Zeltwände: Gibbons, die größten Primaten im Park haben wohl in aller Frühe die menschlich­en Eindringli­nge in den Dschungel inspiziert. Der Eingang von Hang Va ist ein enger Schlund zwischen mächtigen Felsblöcke­n. Kein Wunder, dass der Zugang der Höhle bis vor fünf Jahren unentdeckt blieb. An Seilen lassen sich Vu und seine Expedition­sgruppe ins Dunkel hinab. Unten stehen sie bis zur Hüfte in einem reißenden Höhlenstro­m. Die Felswände sind in verschiede­nen Farben marmoriert. „Gelb steht für Schwefel, Rot für Eisen, Grün für Kupfer und das glitzernde Weiß für Quarz“, erklärt Vu. Vorsichtig watet der Höhlenführ­er voran in die Dunkelheit. Im Licht seiner Stirnlampe entfaltet sich die fantastisc­he Welt der Tropfstein­e – triefende Bärte von längst im Kalkstein versunkene­n Riesen, erstarrte Wasserfäll­e, Fabelwesen aus glänzendem Marmor neben den rauschende­n Kaskaden des Höhlenstro­ms.

An einem Felsabhang hangeln sich die Abenteurer hinauf zu einem See, aus dem ein einsamer Stalagmit ragt. Dahinter reihen sich in von Kalksteinr­ändern getrennte Wasserbeck­en aneinander. In den obersten Pools ragen in einer turnhallen­großen Kammer hunderte gleichförm­ig gestreckte Tropfstein­kegel aus dem Wasser. Was für ein Anblick.

„Gewiss gibt es hier mehr Tropfstein­e als Menschen, die sie je gesehen haben“, sagt Vu. Dann befiehlt er der Gruppe, die Stirnlampe­n an ihren Plastikhel­men auszuschal­ten. Als der letzte Lichtkegel erlischt, breitet sich minutenlan­ges Schweigen in der Höhle aus. Vor die offenen Augen tritt eine nie gesehene Dunkelheit. Wir sind im Bauch der Erde, in absoluter Finsternis.

„Ich wünschte, wir könnten die Höhlen für immer so erhalten wie sie sind“, sagt Vu, als wir wieder draußen, zurück im Dschungelr­egen, stehen. „Gerade erst hat die Regierung beschlosse­n, eine Seilbahn hinauf bis fast nach Son Doong zu bauen.“Das Vorhaben könnte dafür sorgen, dass statt der 800 Besucher, die die Höhle im Moment pro Jahr besuchen dürfen, die gleiche Anzahl an einem einzigen Tag Zugang erhält. Ob die Nationalpa­rkleitung nichts gegen ein so folgenschw­eres Bauprojekt einzuwende­n hat? Vu schüttelt entschloss­en den Kopf. „Denen geht es nur um steigende Besucherza­hlen.“

Längst ist die Unterwelt des Phong Nha-Ke Bang-Nationalpa­rks nicht mehr allein den Augen von Abenteurer­n vorbehalte­n. Vielleicht ist ein Ausflug in die wenige Kilometer

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Über den Inseln
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In der Höhle
 ?? Fotos: Fotolia, Warner Bros. ?? In zerklüftet­en Felsen des Nationalpa­rks wurden die Landschaft­saufnahmen für den Film „Kong: Skull Island“vergangene­s Jahr gedreht.
Fotos: Fotolia, Warner Bros. In zerklüftet­en Felsen des Nationalpa­rks wurden die Landschaft­saufnahmen für den Film „Kong: Skull Island“vergangene­s Jahr gedreht.

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