Neu-Ulmer Zeitung

EU will Firmen strenger kontrollie­ren

Die Kommission möchte eine europaweit­e Behörde für den Arbeitsmar­kt schaffen. Sie soll sicherstel­len, dass Sozialstan­dards eingehalte­n werden. Aber es regt sich schon Widerstand

- VON DETLEF DREWES

Mehr als 17 Millionen EU-Bürger arbeiten in einem anderen Mitgliedsl­and der Union. Sie kennen die Probleme mit den Sozialstan­dards, die eigentlich überall eingehalte­n werden sollen – aber nicht immer werden. Dagegen will die EU nun etwas tun und eine Europäisch­e Arbeitsbeh­örde aufbauen – gegen heftigen Widerstand.

Gleicher Lohn, gleicher Urlaub, gleicher Schutz vor Kündigunge­n im Krankheits­fall – die europäisch­en Sozialstan­dards sollen alle Arbeitnehm­er schützen: die Einheimisc­hen vor Billiglohn-Kräften, die Ausländisc­hen vor Ausbeutung durch geringere Sozialleis­tungen. Doch die Realität sieht anders aus. Mit Tricks wie längeren Arbeitszei­ten oder unfairen Abzügen werden immer wieder Arbeitnehm­er ausgebeute­t.

EU-Sozialkomm­issarin Marianne Thyssen hat gestern in Straßburg eine Lösung für dieses Problem vorgestell­t. Sie heißt ELA (European Labour Authority), eine Europäisch­e Arbeitsbeh­örde mit 150 Mitarbeite­rn und einem Budget von 50 Millionen Euro. Geht es nach der Kommission, soll sie ab 2019 arbeiten und nicht nur die grenzübers­chreitende­n Kontrollen der nationalen Behörden koordinier­en, sondern auch überwachen, ob sich alle Unternehme­n an die garantiert­en Sozialstan­dards halten. „Mit unserem Vorschlag stellen wir gemeinsam mit den Mitgliedst­aaten sicher, dass niemand zurückgela­ssen wird“, sagte Thyssen. Um diese Arbeit möglich zu machen, will Brüssel die Mitgliedst­aaten zur Einführung einer europäisch­en Sozialvers­icherungsn­ummer anhalten. Damit sei es leichter, bei Kontrollen vor Ort festzustel­len, ob die Beschäftig­ten ordnungsge­mäß kranken- oder rentenvers­ichert sind. Bislang erweist sich das oft als schwierig. Der Dachverban­d der Gewerkscha­ften in der EU, der ETUC, ist damit grundsätzl­ich einverstan­den.

Doch hinter den Kulissen for- sich bereits heftiger Widerstand gegen das Vorhaben der Brüsseler Kommission, in den Arbeitsmar­kt einzugreif­en, obwohl die Gemeinscha­ft für diesen Bereich gar nicht zuständig ist. Schon die Reform der Entsenderi­chtlinie, die gerade vorbereite­t wird, hatte Unternehme­n und Arbeitgebe­rverbände auf den Plan gerufen. Sie soll verschiede­ne Fragen regeln, wenn es darum geht, dass sich ein EU-Bürger zum Arbeiten zeitweise in einem anderen Mitgliedsl­and aufhält. Auch gegen die ELA formiert sich schon Widerstand.

In einem bislang nicht veröffentl­ichten Schreiben der Bundesvere­inigung Deutscher Arbeitgebe­rverbände (BDA) an den künftigen Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) ist von „völlig überflüssi­ger Bürokratie“und „auf jeden Fall gravierend­en Korrekture­n“die Rede, die noch nötig seien. Anlass dafür ist die sogenannte Nachweis- richtlinie der EU, die zu dem Reformpake­t der Sozialkomm­issarin gehört und auf der die nun favorisier­te Arbeitsage­ntur aufbaut.

Schon die Definition des Begriffs Arbeitnehm­er stößt bei den Unternehme­n auf massiven Widerstand. In der jetzigen Fassung gilt als „Arbeitnehm­er eine natürliche Person, die während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleist­ung eine Vergütung erhält“. Dies würde nach Auffassung des BDA dazu führen, dass „selbst nach deutschem Verständni­s eindeutige Vertragsbe­ziehungen als Arbeitsver­hältnis gewertet werden könnten“– mit den dazugehöri­gen Konsequenz­en. Welche Ansprüche dann ein Handwerker aus einem Auftrag zur Reparatur im Badezimmer eines Kunden ableiten könnte, will man sich beim BDA lieber nicht ausmalen.

Zwar gibt es durchaus Verständmi­ert nis für das Bemühen der EU-Kommission, Verstöße gegen die geltenden Sozialstan­dards wirksam zu verfolgen. „Aber solchen illegalen Praktiken kommt man nur über bessere grenzübers­chreitende Zusammenar­beit der Behörden bei, nicht aber indem man die übergroße Mehrheit der sich rechtstreu verhaltend­en Unternehme­n mit einem Wust von noch mehr Bürokratie überschütt­et“, heißt es in dem Brief an Altmaier.

Der BDA steht mit seiner Ablehnung nicht alleine da. Auch andere Experten bezweifeln, ob über einen europäisch­en Sozialvers­icherungsn­achweis schneller geklärt werden könnte, ob ein Bauarbeite­r aus Südosteuro­pa renten- und krankenver­sichert sei. Bisher dauert diese Überprüfun­g oft Monate. Der CSUEuropaa­bgeordnete Markus Ferber merkte an: „Die Kommission versucht, sich Befugnisse anzueignen, die ihr nicht zustehen.“

In dem zuletzt wieder erbittert geführten Streit um den Verkauf von 33000 GBWWohnung­en durch die staatseige­ne Bayerische Landesbank an die Augsburger Patrizia Immobilien AG gibt es offenbar eine überrasche­nde Wende. Im Landtag wurde gestern ein jahrelang gehütetes Geheimnis gelüftet. Gleichzeit­ig meldete die Patrizia einen Erfolg vor Gericht.

Der CSU-Landtagsab­geordnete Ernst Weidenbusc­h teilte gestern Abend mit, dass das Finanzmini­sterium der Opposition in einer geheimen Sitzung des Haushaltsa­usschusses Einblick in die bisher unter Verschluss gehaltene Investoren­liste der Patrizia gewährt hat. Daraus geht nach seinen Angaben hervor, dass bei dem politisch heftig umstritten­en Verkauf der GBW kein Schwarzgel­d im Spiel war. In dem von der Patrizia geführten KäuferKons­ortium seien nur Sparkassen, Versicheru­ngen, Pensionska­ssen und berufsstän­dische Versorgung­swerke vertreten.

Die Patrizia AG teilte gestern mit, sie habe gegen die Berichters­tattung des Handelsbla­tts beim Landgerich­t Hamburg eine einstweili­ge Verfügung erwirkt. Danach darf die Zeitung nicht mehr behaupten, „beim Erwerb der GBW seien Gelder aus Russland und/oder Schwarzgel­der beteiligt gewesen“. In der Stellungna­hme des Augsburger Unternehme­ns heißt es außerdem, Patrizia sei „nicht bereit, als Objekt eines offensicht­lich vor allem landespoli­tisch motivierte­n Angriffs zur Verfügung zu stehen“. Man werde sich „mit allen zur Verfügung stehenden juristisch­en Mitteln gegen weitere Falschberi­chterstatt­ung zur Wehr setzen.“

Damit kommt auch die Opposition unter Druck, die unter Berufung auf das Handelsbla­tt Aufklärung fordert. Für heute sind zwei Pressekonf­erenzen angesetzt: erst von SPD, Freien Wählern und Grünen, dann vom Finanzmini­sterium.

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Innerhalb der EU gibt es 17 Millionen Menschen, die nicht in ihrem Heimatland arbeiten. Sie sollten eigentlich so behandelt wer den wie einheimisc­he Arbeitnehm­er – werden es aber oft nicht.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Innerhalb der EU gibt es 17 Millionen Menschen, die nicht in ihrem Heimatland arbeiten. Sie sollten eigentlich so behandelt wer den wie einheimisc­he Arbeitnehm­er – werden es aber oft nicht.

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