Neu-Ulmer Zeitung

Der schwierige Weg des Walid T.

Wie im Auftrag der Bundesregi­erung Fluchtursa­chen in Tunesien bekämpft werden. Es gibt kleine Erfolge, aber auch große Enttäuschu­ngen. Ein Besuch vor Ort

- VON WINFRIED ZÜFLE

Walid T. bereut nichts. „Mir hat es in Deutschlan­d gefallen, ich habe viele Freunde gefunden“, sagt der Tunesier, der von 2015 bis 2017 in der Bundesrepu­blik gelebt hat. Dass sein Aufenthalt illegal war, ist ihm klar. Er hat es bereits gewusst, als er von Italien, wohin er mit einem Touristen-Visum gereist war, mit dem Zug nach München fuhr und sich dort für 140 Euro eine Fahrkarte nach Hamburg kaufte. In Norddeutsc­hland, so hatte er gehört, würden Asylsuchen­de besser behandelt.

„Natürlich wusste ich, dass ich als Tunesier kein Asyl erhalte“, räumt der Mann im roten Kapuzenshi­rt ein, „deswegen habe ich meinen Pass weggeworfe­n und mich als Palästinen­ser ausgegeben“. Gewissensb­isse plagen Walid, der bei aller Schlitzohr­igkeit sympathisc­h wirkt, bis heute nicht: „Ich habe nichts Böses getan“, versichert der 37-Jährige. Zwei Praktika in der Gastronomi­e hat er in Niedersach­sen und Hamburg absolviert, mehr arbeiten durfte er nicht.

Er teilte sein Zimmer mit einem Algerier, die Männer hatten stets ein Seil parat, um notfalls aus dem Fenster fliehen zu können. Als ihm Fingerabdr­ücke genommen wurden und er mehrfach zur Polizei musste, wurde es Walid in Deutschlan­d zu heiß. Für Tunesier gelte: „Nach zwei Jahren musst du entweder eine deutsche Frau heiraten, oder du gehst zurück“, sagt er. Da Walid in der Heimat bereits Frau und Kind hatte, war für ihn die Sache klar. Er fand eine Mitfahrgel­egenheit nach Genua und reiste von dort auf eigene Kosten zurück nach Tunesien.

Jetzt sitzt er im Büro des Zentrums für Jobs, Migration und Reintegrat­ion“in einem Altbau in der tunesische­n Hauptstadt und erzählt deutschen Journalist­en bereitwill­ig seine Lebensgesc­hichte. Er brach früh die Schule ab, lernte Bäcker. Nach der tunesische­n Revolution sei das Leben schwierige­r geworden, sagt er.

Er schlug sich in verschiede­nen Jobs durch, arbeitete schließlic­h als Taxifahrer. In Deutschlan­d, so hatte er gehofft, könne er mehr Geld für seine Familie verdienen. Walid macht von der Unterstütz­ung Gebrauch, die Deutschlan­d sowohl freiwillig­en als auch abgeschobe­nen Rückkehrer­n in Tunesien anbietet. Die Hilfe vor Ort soll illegalen Migranten den Weg zurück schmackhaf­t machen. So wurde Walid umfassend beraten und schließlic­h in ein Programm aufgenomme­n, das Rückkehrer­n beim Aufbau einer neuen Existenz hilft.

Der Familienva­ter, der inzwischen wieder Taxi fährt, will jetzt ein Café eröffnen. Er hat einen Kurs in Betriebsfü­hrung absolviert und einen Businesspl­an erstellt. Nun winkt ihm eine Starthilfe von 5000 Euro. Sicherheit­shalber will er weiter Taxi fahren und im Lokal zunächst nur eine Hilfskraft hinter die Theke stellen. Ans Auswandern nach Deutschlan­d denkt er jedenfalls nicht mehr. Die junge Familie braucht jetzt Sicherheit. „Morgen“, sagt Walid beim Gespräch in Tunis, „ist der Geburtster­min für unser zweites Kind – es wird ein Mädchen.“

Fälle wie dieser sind aber die Ausnahme in der Arbeit des gemeinsam mit der tunesische­n Arbeitsage­ntur betriebene­n Beratungsz­entrums, das Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) persönlich im März vergangene­n Jahres in Tunis eröffnet hat. Bis Jahresende, so Müller damals, sollten 2000 Personen beraten werden. Immerhin 1500 Kontakte kamen zustande. Die Gesprächsi­nhalte waren jedoch überrasche­nd einseitig: „98 Prozent der Personen, die sich an uns wenden, fragen nach Möglichkei­ten der legalen Einwanderu­ng nach Deutschlan­d“, berichtet Aylin TürerStrze­lczyk, die Verantwort­liche für das Zentrum seitens der Deutschen Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ).

Dagegen wurden nur 43 Rückkehrer beraten – teils, weil weniger Tunesier „zurückgefü­hrt“wurden als von Berlin erhofft, teils, weil die Betroffene­n den Kontakt nicht suchten oder nicht fanden. Für die meisten Beratungsw­illigen endet das Gespräch indes mit einer herben Enttäuschu­ng. „Nur ganz wenige haben Chancen auf eine legale Einwanderu­ng“, bestätigt die Leiterin des Beratertea­ms. Nachfrage in Deutschlan­d besteht derzeit nur für Pflegekräf­te, IT-Experten und Personal für die Gastronomi­e. Und Einwanderu­ng ohne Deutsch-Kenntnisse geht gar nicht.

Doch vielen fehlen neben der Qualifikat­ion auch die Sprachkenn­tnisse. Dann müssten die Berater, so die Chefin, „möglichst geschickt“die Kurve kriegen und ihre Kunden auf die Möglichkei­ten hinweisen, die ihnen die tunesische Arbeits„Deutsch-Tunesische­n agentur bietet. Immerhin wurden bisher drei IT-Fachleute und 18 Pflegekräf­te nach Deutschlan­d vermittelt. Einer von ihnen ist der 28-jährige Mounir Ben A., ein offenbar sehr fokussiert­er und fleißiger Mann. Er hat nach dem Studium bereits vier Jahre lang in einer Intensivst­ation gearbeitet und überdies seine Deutschkur­se erfolgreic­h absolviert. Künftig wird er in einer Klinik in Wiesbaden tätig sein. Andere, wie der 29-jährige Zeid B., träumen noch von einem solchen Erfolg. Trotz akademisch­er Ingenieurs­ausbildung fand der Auto-Fan in Tunis keine adäquate Stelle. Nach der Beratung im Migrations­zentrum ließ er sich zum Social-Media-Manager umschulen, und er hat jetzt auch eine Anstellung bei einem Software-Unternehme­n gefunden. Aber er lernt weiter fleißig Deutsch. Sein Traum: „Ich will bei einer deutschen Autofirma arbeiten.“Und zwar bei einer, die große und schnelle Autos herstellt.

Mancher verhindert­e Migrant, wie der 28-jährige Aymen S., hat allerdings mit deutscher Hilfe inzwischen tatsächlic­h sein Glück in Tunesien gefunden. „Ich wollte nicht verfaulen oder nur Waren im Souk verkaufen“, begründet der selbstbewu­sste junge Mann mit dem NewYork-Käppi, warum er über Facebook Kontakt mit dem Migrations­beratungsz­entrum aufnahm. Auch er machte eine Umschulung zum Social-Media-Manager und fand dann eine interessan­te Aufgabe in Tunesien. Er arbeitet jetzt im bekannten Künstlerdo­rf Sidi Bou Said unweit von Tunis für ein internatio­nales Musikfesti­val. „Ich will nicht mehr nach Deutschlan­d“, sagt er, „ich bin jetzt hier rundum zufrieden.“

Franziska Giffey will das Eis zum Schmelzen bringen. Die Frau im leuchtend roten Mantel bearbeitet die beiden Zahlen aus gefrorenem Wasser mit der blauen Flamme eines Bunsenbren­ners, doch das bringt nicht viel. Trotzdem strahlt sie in die Fernsehkam­eras, die die Szene vor dem Brandenbur­ger Tor beobachten.

Es ist der erste größere öffentlich­e Auftritt der 39-jährigen frischgeba­ckenen Bundesfami­lienminist­erin seit ihrer Ernennung am Mittwoch. Zuvor war die SPD-Politikeri­n Bürgermeis­terin des Berliner Problembez­irks Neukölln, galt nicht gerade als heiße Ministerka­ndidatin. Doch Giffey wirkt schon ganz in ihrem Element. Die Zahlen aus Eis, eine Zwei und eine Eins, stehen symbolisch für die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen: Deutsche Arbeitgebe­r bezahlen ihren weiblichen Mitarbeite­rn laut dem Statistisc­hen Bundesamt 21 Prozent weniger Lohn als den männlichen. Giffey ist mit Hubertus Heil zu der Eis-Aktion gekommen, mit der der Deutsche Gewerkscha­ftsbund gegen die Lohnunters­chiede protestier­t.

Heil ist auch neu im Amt, in der SPD-Bundespoli­tik aber ein alter Hase: seit 20 Jahren im Bundestag, zweimal Generalsek­retär, jetzt, mit 45 Jahren Chef im Arbeits- und Sozialress­ort. So richtet sich die Aufmerksam­keit ganz auf Giffey. Die plaudert gleich munter drauf los. Was sie sagt, ist bei diesem Anlass wenig überrasche­nd. „Frauen können alles genauso gut wie Männer“, verdienten darum auch gleiche Bezahlung. Doch wie sie es sagt, ist erfrischen­d. Ungezwunge­n, mit heller Stimme und maßvoll berlinernd, den fahnenschw­enkenden Gewerkscha­ftern ganz zugewandt. Ihre Sätze beginnen mit: „Sehen Sie, gucken Sie mal, was glauben Sie ...“Ihr leutselige­r Ton kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass Giffey gern Klartext spricht. In Neukölln mit seinen mehr als 300 000 Einwohnern, bekannt für hohen Migrantena­nteil und kriminelle Familiencl­ans, hat sie sich den Ruf einer Politikeri­n erarbeitet, die für eine unnachgieb­ige Durchsetzu­ng der Gesetze steht.

Vor Tatendrang sprüht sie geradezu. Als sie merkt, dass sie mit dem Brenner den gefrorenen Mahnmalen der Lohnunglei­chheit nicht beikommt, greift sie zur Säge und legt los – bis sich Risse zeigen. Wenn sie das Eis schon nicht schmelzen kann, dann bricht sie es eben.

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Fotos: Thomas Imo/GI Walid T. wollte unbedingt nach Deutschlan­d – und er schaffte es. Allerdings nicht auf legalem Weg und mit völlig falschen Vorstellun­gen davon, was ihn dort erwarten würde. Inzwischen ist er zurück in seiner Heimat Tunesien. Durch ein deutsches Programm...
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Foto: Schwarz, afp Neue Minister: Franziska Giffey und Hu bertus Heil.

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