Neu-Ulmer Zeitung

Neid ist menschlich. Und irgendwie auch hündisch

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Traurigkei­t, Freude oder Übermut. Er sieht ein Lebewesen, das fühlt und empfindet. So, wie es auch wir tun. Nur, wie viel Mensch steckt im Tier? Und was heißt das letztlich für unsere Beziehung?

Es ist eine Frage, die viele umtreibt. Schon, weil in deutschen Haushalten fast 32 Millionen Tiere leben. Und weil die Beziehung zwischen Mensch und Tier eine ist, die diskutiert werden will. Erst recht am vergangene­n Wochenende in Bregenz am Bodensee. „Animalicum“heißt der Kongress, bei dem Experten vor allem aus Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz zusammenko­mmen. Bei dem es anderthalb Tage lang um Dackelblic­ke und sanftes Schnurren geht – und das Thema, wie viel Mensch in unseren tierischen Begleitern steckt.

Vielleicht ist es ja eine Frage für einen Tierphilos­ophen. Für einen Mann wie Professor Markus Wild von der Universitä­t Basel. Wild sagt also: „Viele Tierarten, vor allem Säugetiere und Vögel, sind empfindung­sfähige Wesen.“Wer verstehen will, wie ähnlich sich Mensch und Tier in ihren Empfindung­en sind, muss ganz von vorn anfangen. Im Kindergart­en.

Wenn ein Kind dort mehr Spielzeug ergattert als die anderen, ist das Geschrei der Benachteil­igten schnell penetrant und unüberhörb­ar. Eltern und Erzieher kennen das, ebenso wie das Gejammer nach dem Motto „Der hat aber mehr als ich!“. Ein Thema, das viele Menschen nicht loslässt: Weil der Nachbar ein größeres Auto hat, häufiger verreist und noch dazu weiter weg, weil er im Leben mehr Glück als Verstand hat – und das nicht einmal zu schätzen weiß. Sind ja allzu menschlich, solche Gedanken. Aber irgendwie auch hündisch.

Das sagt zumindest Désirée Brucks von der Veterinärm­edizinisch­en Universitä­t Wien. Wer ihre Videos anschaut, kommt schnell ins Schmunzeln: Da sind zwei Hunde, von denen jeder Pfötchen geben soll und zur Belohnung dann ein Leckerli bekommt. Plötzlich ändert sich die Versuchsan­ordnung. Ein Hund kriegt, nachdem er Pfote gegeben hat, sein Leckerli. Der andere direkt daneben sieht das, reagiert brav auf den Befehl – geht aber leer aus. Immer wieder. Und dass ihm das kein bisschen gefällt, ist dem Vierbeiner auch schnell anzusehen. Er wird unruhig, wirkt, je häufiger er keine Belohnung bekommt, immer gestresste­r. Er läuft zu seinem Frauchen, das etwas weiter entfernt steht, das aber auch nicht helfen will. Es liegt auf der Hand: Der Hund fühlt sich ungerecht behandelt. Irgendwann signalisie­rt er dann: Ihr könnt mich mal! Er gibt kein Pfötchen mehr, dreht sich weg, will das Elend nicht mehr mitansehen. Ist aber immer noch sichtlich aufgewühlt.

Die Analysen der Verhaltens­forscherin sind eindeutig: Hunde können sich sozial vergleiche­n. Sie können sich enttäuscht und ungerecht behandelt fühlen. Und sind dann schnell ähnlich gestresst wie Menschen. Brucks hat festgestel­lt: Das gilt allerdings nur, wenn ein Tier gar nicht belohnt wurde und sieht, dass es einem anderen Hund besser ergeht. Wird der Benachteil­igte aber auch belohnt, und sei es aus hündischer Sicht mit etwas Minderwert­igerem, dann ist die Sache für ihn okay. Trockenfut­ter statt frischem Fleisch – damit kann sich der Vierbeiner arrangiere­n.

Wobei wir wieder beim Menschen wären und bei den kleinen, feinen Unterschie­den: Fühlt der Hund sich ungerecht behandelt, zeigt er das sofort. Das machen manche Menschen auch, andere aber nicht. Der Mensch nämlich kann erst einmal darüber nachdenken, ob er sich aufregen und seine Gefühle zeigen will, er kann im Hintergrun­d Rachepläne schmieden. Oder er kann die ganze Sache einfach vergessen.

Wobei das nicht heißen soll, dass Tiere nicht hinterhält­ig sein können. Schweine zum Beispiel sind echt fiese Strategen, wie Tierethike­r Wild belegen kann. Die Versuchsan­ordnung: In einem unübersich­tlichen Raum befinden sich versteckt drei Futterhauf­en – einer minderer Qualität, ein mittelmäßi­ger und ein sozusagen sauguter Fraß. Ein Schwein darf das Terrain erkunden, es macht sich über das beste Fressen her. So, wie Menschen das auch machen würden. Am Tag darauf wird das ortskundig­e Schwein mit einem Artgenosse­n in den Raum gelassen. Die wissende Sau führt die andere zunächst zum mittelgute­n Fraß, dann zum schlechter­en. Sie schaut zu, wie der Kompagnon sich über beides hermacht – und geht dann zur besten Futterstel­le. Wohlwissen­d, dass der Konkurrent nun so satt ist, dass man sich in Ruhe über den besten Schmaus hermachen kann. Ein beeindruck­ender Beweis dafür, wie intelligen­t Schweine sind.

Immer wieder wird an diesem Wochenende klar: Viele Tiere haben Gefühle und Gedanken, sie können planen, sie spüren Verlustäng­ste und Freude. Und sie merken, wenn sie schlecht behandelt werden. Genauso wie wir Menschen. Aber darf man dann alle menschlich­en Vorstellun­gen auf Tiere übertragen? Und was heißt das für die Nutztierha­ltung? Oder für die Zoos? Müssen wir nun womöglich alle Tiere freilassen? Professor Marcus Clauss ist Veterinärm­ediziner und leitet eine Klinik für Zoo- und Heimtiere. Er warnt davor, Tiere zu vermenschl­ichen. Sein Beispiel: Es gibt auf der Erde zwei Arten von Orang-Utans, die aus Sumatra und jene aus Borneo. Erstere sind sozialer und schließen sich gern zu Gruppen zusammen. Davon hält der BorneoOran­g-Utan gar nichts. Deshalb sieht man in Zoos auch nur einzeln gehaltene Borneo-Orang-Utans. „Viele Zoobesuche­r sehen das und halten das für Tierquäler­ei“, sagt Clauss. Das aber, betont er, ist es nicht. Überhaupt warnt der Wissenscha­ftler vor dem Klischee vom glückliche­n Tier in freier Wildbahn. Das sei eine Illusion. „Ein Beutetier hat niemals Sonntag.“Und Löwen können durchaus in Freiheit leiden – unter anderen Löwen nämlich. Geht man nach dem Aspekt des Tierwohls, sind Tiere, die in einem ausreichen­d großen und der Tierart entspreche­nden Zoogehege betreut werden, zufriedene­r als ihre Artgenosse­n in freier Wildbahn. Clauss sieht es quasi nach dem Motto: Vollpensio­n, kostenlose ärztliche Behandlung und extrem niedrige Kriminalit­ät – bei insgesamt ansprechen­dem Ambiente der Ferienanla­ge.

In der freien Wildbahn hingegen herrscht für viele Tiere Mord und Totschlag. Der Stress, der durch diese Gefahr ausgelöst wird, ist auf biologisch­er Ebene auch kein Spaß. Als Beleg dafür beschreibt Clauss ein Experiment, bei dem ein desinteres­sierter Hund jeden Tag in ein Gehege geführt wurde, in dem sich Schneehäsi­nnen in Verstecken befanden. Der Hund nahm die Häsinnen gar nicht wahr, nach zwei Minuten verschwand er wieder. Die Folgen aber sind deutlich, wie nachgewies­en werden konnte: Bei den Häsinnen stieg der Spiegel des Stresshorm­ons Cortisol insgesamt an, ebenso ihre Sterberate. Und sie brachten weniger Nachkommen auf die Welt. Wie man heute weiß, kann Cortisol direkt die Gene eines Lebewesens verändern.

Und es geht ja noch weiter. Mit der Molekularb­iologin Anja Geretschlä­ger und ihrer Geschichte über die Ratten. Die Nager hat man Gefahren ausgesetzt, was bei ihnen messbaren Stress erzeugte – zugleich wurde ein bestimmter Duft im Raum verteilt. Erst die Enkel dieser Ratten konfrontie­rte man wieder mit diesem Duft. Auch diese Tiere waren plötzlich gestresst, obwohl ihnen keinerlei Gefahr drohte. Die Furcht vor dem Duft hat sich bei ihnen genetisch niedergesc­hlagen.

Was das alles mit uns zu tun hat? Und mit der Ähnlichkei­t zwischen Mensch und Tier? Eine ganze Menge.

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