Linseneintopf und Lauferei
Die Evakuierten vertreiben sich am Sonntag die Zeit meist gelassen und ganz unterschiedlich. Was der OB plant
Für Anwohner und Helfer war der gestrige Tag besonders anstrengend. 12 600 Menschen mussten ihre Wohnungen und Häuser wegen der Fliegerbombe verlassen. Viele von ihnen kamen während der knapp achtstündigen Evakuierungsphase in den Notunterkünften in der Hochschule und in der Weststadtschule unter. In der Aula der Hochschule wurde neben der Unterkunft zudem noch ein Notfallzentrum eingerichtet, in dem die Helfer des Roten Kreuzes im Ernstfall 20 schwerund 40 leichtverletzte Personen hätten versorgen können.
Allein in der Weststadtschule kamen am Sonntagmittag über 260 Menschen unter. Das bedeutete vor allem für die freiwilligen Helfer des Bayerischen Roten Kreuzes viel Arbeit. Denn die Aufgaben waren umfangreich: Jeder Gast wurde registriert, „damit am Ende keiner verloren geht“, wie Rolf Vogelmann, einer der Ehrenamtlichen, sagte. Zudem bot das Rote Kreuz in den Unterkünften Linseneintopf und Tomatensuppe an. Trotz der vielen Arbeit war die Stimmung bei den Helfern aber gut: „Jeder hier ist motiviert und engagiert. Wegen solchen Tagen machen wir das schließlich“, sagte Vogelmann.
Bei vielen Gästen in der Halle war die Stimmung allerdings nicht ganz so gut. „Ich sitze hier nur rum und warte, bis alles vorbei ist“, sagte beispielsweise Bernd Faust. Andere nutzten die Stunden in der Notunterkunft sinnvoll: Die Kinder spielten Fußball und Fangen, viele Erwachsene vertrieben sich die Zeit mit diversen Spielen und der eine oder andere las ein Buch oder lernte für die anstehenden Uniprüfungen.
Draußen auf der Straße blieb die Situation ähnlich ruhig. Große Menschentrauben, die fluchtartig das Gebiet verlassen, waren nicht zu sehen. Die meisten Anwohner nahmen die Situation gelassen – und einige hatten im Vorhinein bereits den kompletten Tag verplant. Das Ehepaar Dworschak beispielsweise war den ganzen Tag unterwegs. „Wir gehen jetzt zuerst in die Kirche, dann Mittagessen, dann ins Kino, und wenn die Bombe bis dahin immer noch nicht entschärft ist, besuchen wir eine Ausstellung in Ulm“, erklärten die beiden Rentner. Dass sie ihre Wohnung überhaupt verlassen mussten, war eher Zufall. Denn das Haus am Glacispark liege nur gerade noch so im Evakuierungsbereich. „Unsere Nachbarn mussten schon nicht mehr gehen“, sagten sie.
Die Helfer standen auch vor einer Asylbewerberwohnung, ein Flüchtling machte auf. Als ihm die Situation erklärt worden war, sagte er trocken: Er verstehe die ganze Aufre- gung nicht, er komme aus Syrien und sei so was gewohnt.
Als die Polizei um kurz nach 16 Uhr Entwarnung gab und die Menschen endlich in ihre Häuser zurückkehren konnten, füllte sich die Innenstadt schnell wieder mit Leben. Jeder war am Abend froh, als alles vorbei war. „Es ist nur gut, dass ich keinen großen Hunger bekommen habe“, witzelte Ada Felix, die den Tag in der Hochschule verbrachte. Neu-Ulms Oberbürgermeister Gerold Noerenberg war gemütsmäßig recht entspannt, aber auch mächtig im Stress. Zwar sagte er: „Ich habe heute Nacht gut geschlafen und heute Morgen gut gefrühstückt“, doch dann begann auch für ihn der Stress. Schnell noch ein paar Informationen sammeln, dann einen Termin des Württembergischen Fußball-Verbands wahrnehmen, weiter zum Lagezentrum, anschließend zum Pressezentrum. Der OB war ständig am Laufen und auf dem Laufenden. Und die ganze Aktion lag ja auch in den Händen der Stadt, von der Organisation angefangen bis zur Evakuierung.
Am Ende begutachtete Noerenberg die entschärfte Bombe. „In einer Stunde dürfte wieder ganz normales Leben in der Stadt herrschen“, war er sich sicher. „Wir denken jetzt darüber nach, die Hülle der Bombe als geschichtliches Dokument zu bewahren.“