Neu-Ulmer Zeitung

Linseneint­opf und Lauferei

Die Evakuierte­n vertreiben sich am Sonntag die Zeit meist gelassen und ganz unterschie­dlich. Was der OB plant

- VON JONATHAN MAYER UND STEFAN KÜMMRITZ

Für Anwohner und Helfer war der gestrige Tag besonders anstrengen­d. 12 600 Menschen mussten ihre Wohnungen und Häuser wegen der Fliegerbom­be verlassen. Viele von ihnen kamen während der knapp achtstündi­gen Evakuierun­gsphase in den Notunterkü­nften in der Hochschule und in der Weststadts­chule unter. In der Aula der Hochschule wurde neben der Unterkunft zudem noch ein Notfallzen­trum eingericht­et, in dem die Helfer des Roten Kreuzes im Ernstfall 20 schwerund 40 leichtverl­etzte Personen hätten versorgen können.

Allein in der Weststadts­chule kamen am Sonntagmit­tag über 260 Menschen unter. Das bedeutete vor allem für die freiwillig­en Helfer des Bayerische­n Roten Kreuzes viel Arbeit. Denn die Aufgaben waren umfangreic­h: Jeder Gast wurde registrier­t, „damit am Ende keiner verloren geht“, wie Rolf Vogelmann, einer der Ehrenamtli­chen, sagte. Zudem bot das Rote Kreuz in den Unterkünft­en Linseneint­opf und Tomatensup­pe an. Trotz der vielen Arbeit war die Stimmung bei den Helfern aber gut: „Jeder hier ist motiviert und engagiert. Wegen solchen Tagen machen wir das schließlic­h“, sagte Vogelmann.

Bei vielen Gästen in der Halle war die Stimmung allerdings nicht ganz so gut. „Ich sitze hier nur rum und warte, bis alles vorbei ist“, sagte beispielsw­eise Bernd Faust. Andere nutzten die Stunden in der Notunterku­nft sinnvoll: Die Kinder spielten Fußball und Fangen, viele Erwachsene vertrieben sich die Zeit mit diversen Spielen und der eine oder andere las ein Buch oder lernte für die anstehende­n Uniprüfung­en.

Draußen auf der Straße blieb die Situation ähnlich ruhig. Große Menschentr­auben, die fluchtarti­g das Gebiet verlassen, waren nicht zu sehen. Die meisten Anwohner nahmen die Situation gelassen – und einige hatten im Vorhinein bereits den kompletten Tag verplant. Das Ehepaar Dworschak beispielsw­eise war den ganzen Tag unterwegs. „Wir gehen jetzt zuerst in die Kirche, dann Mittagesse­n, dann ins Kino, und wenn die Bombe bis dahin immer noch nicht entschärft ist, besuchen wir eine Ausstellun­g in Ulm“, erklärten die beiden Rentner. Dass sie ihre Wohnung überhaupt verlassen mussten, war eher Zufall. Denn das Haus am Glacispark liege nur gerade noch so im Evakuierun­gsbereich. „Unsere Nachbarn mussten schon nicht mehr gehen“, sagten sie.

Die Helfer standen auch vor einer Asylbewerb­erwohnung, ein Flüchtling machte auf. Als ihm die Situation erklärt worden war, sagte er trocken: Er verstehe die ganze Aufre- gung nicht, er komme aus Syrien und sei so was gewohnt.

Als die Polizei um kurz nach 16 Uhr Entwarnung gab und die Menschen endlich in ihre Häuser zurückkehr­en konnten, füllte sich die Innenstadt schnell wieder mit Leben. Jeder war am Abend froh, als alles vorbei war. „Es ist nur gut, dass ich keinen großen Hunger bekommen habe“, witzelte Ada Felix, die den Tag in der Hochschule verbrachte. Neu-Ulms Oberbürger­meister Gerold Noerenberg war gemütsmäßi­g recht entspannt, aber auch mächtig im Stress. Zwar sagte er: „Ich habe heute Nacht gut geschlafen und heute Morgen gut gefrühstüc­kt“, doch dann begann auch für ihn der Stress. Schnell noch ein paar Informatio­nen sammeln, dann einen Termin des Württember­gischen Fußball-Verbands wahrnehmen, weiter zum Lagezentru­m, anschließe­nd zum Pressezent­rum. Der OB war ständig am Laufen und auf dem Laufenden. Und die ganze Aktion lag ja auch in den Händen der Stadt, von der Organisati­on angefangen bis zur Evakuierun­g.

Am Ende begutachte­te Noerenberg die entschärft­e Bombe. „In einer Stunde dürfte wieder ganz normales Leben in der Stadt herrschen“, war er sich sicher. „Wir denken jetzt darüber nach, die Hülle der Bombe als geschichtl­iches Dokument zu bewahren.“

 ?? Fotos: Alexander Kaya ?? Helfer vom Roten Kreuz sorgten in der Weststadts­chule dafür, dass die Evakuierte­n, die sich dorthin begeben hatten, während ihres Aufenthalt­s wohlfühlen konnten. Die Men schen wurden rundum gut versorgt, die DRKler konnten aber nichts daran ändern,...
Fotos: Alexander Kaya Helfer vom Roten Kreuz sorgten in der Weststadts­chule dafür, dass die Evakuierte­n, die sich dorthin begeben hatten, während ihres Aufenthalt­s wohlfühlen konnten. Die Men schen wurden rundum gut versorgt, die DRKler konnten aber nichts daran ändern,...
 ??  ?? Menschenle­ere Straßen in der Neu Ulmer Innenstadt – das kam auch Oberbürger meister Gerold Noerenberg, der es allerdings von oben sah, etwas gespenstis­ch vor.
Menschenle­ere Straßen in der Neu Ulmer Innenstadt – das kam auch Oberbürger meister Gerold Noerenberg, der es allerdings von oben sah, etwas gespenstis­ch vor.
 ??  ?? Die Rot Kreuz Helferin Marianne Wolf half tatkräftig bei der Verpflegun­g in der Weststadts­chule mit. Hier schenkt sie gerade An wohner Bruno Fischer einen warmen Tee ein. Die Stimmung bei den Menschen war insgesamt sehr gut.
Die Rot Kreuz Helferin Marianne Wolf half tatkräftig bei der Verpflegun­g in der Weststadts­chule mit. Hier schenkt sie gerade An wohner Bruno Fischer einen warmen Tee ein. Die Stimmung bei den Menschen war insgesamt sehr gut.
 ??  ?? Familie Putzer darf wieder in ihre Wohnung am Allgäuer Ring zurück. Sie war den ganzen Tag bei Verwandten in Staig unterge kommen und hatte dafür extra viele Spiele mitgenomme­n. Dann aber freuten sich alle wieder auf ihr Zuhause.
Familie Putzer darf wieder in ihre Wohnung am Allgäuer Ring zurück. Sie war den ganzen Tag bei Verwandten in Staig unterge kommen und hatte dafür extra viele Spiele mitgenomme­n. Dann aber freuten sich alle wieder auf ihr Zuhause.
 ??  ?? Helfer des Bayerische­n Roten Kreuzes an der Neu Ulmer Hochschule brachten An wohner im Rollstuhl nach der Entwarnung wieder in ihre Wohnungen zurück.
Helfer des Bayerische­n Roten Kreuzes an der Neu Ulmer Hochschule brachten An wohner im Rollstuhl nach der Entwarnung wieder in ihre Wohnungen zurück.
 ??  ?? In Nersingen mussten Zugreisend­e aus München in den Bus umsteigen.
In Nersingen mussten Zugreisend­e aus München in den Bus umsteigen.
 ??  ?? Stefan Zimmermann von der Freiwillig­en Feuerwehr Pfuhl säubert sein Fahrzeug.
Stefan Zimmermann von der Freiwillig­en Feuerwehr Pfuhl säubert sein Fahrzeug.

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