Auslöser war die Katastrophe an der Zugspitze
Sie überlebte 40 Minuten darunter, ehe die Helfer sie orten konnten. Zuvor hatte sich im Januar die Situation zugespitzt. In großen Teilen der Alpen herrschte akute Lawinengefahr, Straßen und Wege mussten gesperrt werden, Urlauber saßen fest.
Jedes Jahr sterben 120 bis 140 Menschen in den Alpen durch Lawinenunfälle. Darunter viele Wintersportler, die abseits der gesicherten Pisten unterwegs sind. Bergführer und Bergwacht-Mann Bernd Zehetleitner aus dem Oberallgäuer Burgberg erklärt, dass das natürlich auch mit den Trendsportarten zusammenhängt: Denn Freeriden abseits gesicherter Pisten boomt, ebenso Skitouren- und Schneeschuhgehen. Viele, sagt Zehetleitner, hätten die entsprechende Sicherheitsausrüstung dabei. Doch längst nicht alle könnten im Ernstfall damit umgehen.
Die Sicherheitsausrüstung ist die eine Sache, die vernünftige Tourenplanung die andere. Im Vorfeld einen Blick in den Lagebericht des Lawinenwarndienstes zu werfen, den die Experten im Winter jeden Tag aktualisieren, ist heute selbstverständlich.
Das war nicht immer so. Die Katastrophe ereignete sich am 15. Mai 1965. Viele Wintersportler tummelten sich an diesem Tag auf dem Zugspitzplatt beim Frühlingsskilauf, andere sonnten sich vor dem Hotel Schneefernerhaus. Plötzlich löste sich oberhalb des Hotels ein riesiges Schneebrett. Die Lawine raste über die Terrasse des Hotels und fegte alles hinweg. Dort kamen sieben Menschen ums Leben, zwei Tote wurden in den Trümmern einer Seilbahn entdeckt. Von den 17 Verletzten starb später einer im Krankenhaus.
Das Unglück war der Auslöser, einen Lawinenwarndienst in Bayern aufzubauen. 1967 ging er in Betrieb. Seither gibt er vom Beginn der Wintersaison im Dezember bis etwa Mitte Mai jeden Tag um sieben Uhr einen Lawinenlagebericht heraus. Nicht nur für Wintersportler abseits gesicherter Pisten, sondern auch für Liftbetreiber, Verantwortliche in Gemeinden und bei Sicherheitsbehörden gilt dieses Bulletin als tägliche Pflichtlektüre.
Basisdaten für die Lagebeurteilung liefern unter anderem 20 auto- matische Messstationen. Eine davon ist beispielsweise auf dem Koblat im Nebelhorngebiet bei Oberstdorf. Die Station übermittelt ständig Daten von Lufttemperatur, Niederschlag und Schneehöhe sowie der Intensität der Sonneneinstrahlung. An diesem Tag ist Henry Schmölz vom Lawinenwarndienst vor Ort. Zusammen mit einem anderen Mitarbeiter montiert er einen neuen Windmesser. Die Stationen müssten ständig gewartet werden, erklärt Schmölz. Denn sie sind extremen klimatischen Bedingungen ausgesetzt, allen voran starkem Wind und großen Temperaturschwankungen.
automatisierten Messstationen reichen vom Jenner bei Berchtesgaden bis zum Hochgrat im Allgäu. Darüber hinaus braucht es eine Vielzahl weiterer Daten. Diese werden täglich von Ehrenamtlichen geliefert – von Bergführern, Skilehrern, Hüttenwirten oder Mitarbeitern der Seilbahnen.
Einer von ihnen ist Thomas Hafenmair, den wir an der Tegelbergbahn nahe Schwangau (Ostallgäu) treffen. Der 50-Jährige ist Lehrer, Bergführer und Bergretter und seit 16 Jahren als ehrenamtlicher Beobachter für den Lawinenwarndienst im Einsatz. Mit seiner Erfahrung und seinem Gespür für den Schnee soll er die Lawinengefahr beurteilen und den Schneedeckenaufbau analysieren. „Die Beobachtungen vor Ort ergänzen die Informationen, die automatisch zur Warnzentrale nach München gesendet werden“, erklärt Hafenmair, während die Bahn den Tegelberg hinauffährt. Sein Blick schweift ins Gelände: Wo gibt es Schneebrettabgänge? Wo sind Risse in der Schneedecke zu sehen? Wo sind sogenannte Lawinenmäuler entstanden?
Hafenmair ist Bergsteiger, Skitourengeher und Bergführer aus Leidenschaft. Als er an der BergstaDie tion auf die Ski steigt, sagt er einen Satz, der pathetisch klingt: „Es ist schön, in den Bergen zu arbeiten und sich jeden Tag aufs Neue mit der Natur und der Schneedecke auseinandersetzen zu dürfen.“Einige hundert Höhenmeter fährt er die Piste hinunter, dann biegt er ins Gelände ab, hält wenig später an und greift zur Lawinenschaufel. Die anderthalb Meter hohe Schneedecke gräbt er bis zum Boden ab. „Jetzt wird es spannend“, sagt Hafenmair und macht eine kleine Kunstpause. Er will wissen, „was in der Schneedecke los ist“. Beispielsweise, wo sich Schwachstellen befinden, die