„Das ist unsere Wahrheit. Schluckt sie“
Wladimir Putin siegt offiziell mit mehr als 76 Prozent und bleibt wie erwartet in den kommenden sechs Jahren im Amt. Was das für das Land und die Welt bedeutet
Die Zahlen steigen. Tschukotka, fast schon bei Alaska: 82 Prozent. Mordowien: 85, Tschetschenien: 91. Die Krim: 92 Prozent. Kabardino-Balkarien im Nordkaukasus: 93 Prozent – und damit die höchste Zustimmungsrate für den alten wie den neuen Präsidenten in Russland – Wladimir Putin. Landesweit erreichte der LangzeitHerrscher, der nun bis 2024 regieren wird, offiziellen Angaben zufolge 76,6 Prozent aller Stimmen. Die Wahlbeteiligung habe bei 67,4 Prozent gelegen.
Mehr als 73 Millionen Wähler hätten dem Präsidenten ihre Stimme gegeben, teilte Ella Pamfilowa, die Leiterin der Wahlkommission, am Montagmorgen mit. Früher hatte sie oft und lautstark die politische Ordnung im Land kritisiert. Nun verkündete sie, wie transparent die Wahlen abgelaufen seien, dass es kaum Verstöße gegeben habe. Die russische Wahlbeobachtungsorganisation „Golos“(Stimme) hatte von etwa 3000 Unregelmäßigkeiten gesprochen, vor allem die propagierte Pflicht, zur Wahl zu gehen, sei diesmal deutlich gewesen. Auch die internationalen Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sprachen vom Mangel an Wettbewerb und Einschränkungen grund- sätzlicher Freiheiten. In Russlands Elite bezweifelt niemand die Legitimation der Abstimmung, vielmehr freut man sich über Gratulationen aus China, Usbekistan, Weißrussland, Venezuela und Kuba.
Der Präsident hatte sich bereits am Vorabend gelöst gegeben. „Wir sind zum Erfolg verdammt“, sagte er vor seinen Fans in der Nähe des Roten Platzes und stimmte mit ihnen in den „Russland, Russland“-Chor ein. Die liberale Opposition – mit den Figuren Alexej Nawalny und Xenia Sobtschak – zerstritt sich derweil vor laufenden Kameras und bewarf sich in einem der Realsatire ähnlichen Auftritt mit allerlei schmutzigen Vorwürfen.
Es ist Putins bestes Ergebnis. Für die kommenden Jahre erwarten die Russen kaum Veränderung ihrer teils schwierigen Lebenssituation. „Die Menschen hier geben sich mit wenig zufrieden. Die Probleme erkennen sie, aber halten sie für so groß, dass sie Putin gar entschuldigen. Nicht einmal er könne diesen Wust an Schwierigkeiten in unserem Land beseitigen, denken viele“, sagt der Soziologe Denis Wolkow vom Lewada Zentrum in Moskau. Das unabhängige Meinungsforschungsinstitut ist in den Augen des Kremls ein „ausländischer Agent“und durfte im Vorfeld der Wahl laut Gesetz keine Umfragen publizieren. Dass das Volk nicht gehört werde, sei zur Norm geworden; Menschen, die zu Zeiten der Sowjetunion sozialisiert wurden, störten sich kaum an solchen inszenierten Vorstellungen und den frisierten Ergebnissen. Dennoch ist die Euphorie für den Mann an der Spitze oft nicht gespielt.
Vor allem der Krim-Effekt, das erzeugte Gefühl, wieder vereint beisammenzustehen, wirke sich immer noch positiv auf die Popularität Putins aus, meint Wolkow. Das Ausspielen der nationalen Größe, der ständigen Versicherung im Fernsehen, eines Geheimdienstlers. Er will das eine und setzt auf das komplette Gegenteil. Er will ja an den Verhandlungstisch, präsentiert aber Raketen. Dabei versteht er nicht, dass die Partner im Westen das lächerlich finden. Es herrscht eine gewisse Taubheit dem Partner gegenüber“, sagt der Soziologe Wolkow. Es werde kein Versuch mehr unternommen, den anderen verstehen zu wollen, manchmal auch im Westen nicht. „Das sind wir, und das ist unsere Wahrheit. Schluckt sie. Das ist nun oft und offen die Haltung des Kremls.“
Aus Deutschland fällt die Gratulation für Putin erwartungsgemäß nicht sonderlich überschwänglich aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel formuliert es in ihrem Glückwunschschreiben so: „Heute ist es mehr denn je wichtig, den Dialog untereinander weiterzuführen und die Beziehungen zwischen unseren Staaten und Völkern zu fördern.“Und: „Auf dieser Grundlage sollten wir uns darum bemühen, wichtige bilaterale wie internationale Herausforderungen konstruktiv anzugehen und tragfähige Lösungen zu finden.“Zuvor betont Regierungssprecher Steffen Seibert noch einmal, dass die Annexion der Krim für die Bundesregierung „ganz klar ein völkerrechtswidriger Akt“gewesen sei. Gleichzeitig wolle man aber den Kontakt zu Russland nicht abreißen lassen.
Deniz Yücel ist frei – ist die Krise um deutsche Gefangene in der Türkei damit beigelegt? Fast könnte man den Eindruck gewinnen, nicht zuletzt angesichts der deutschen Rüstungsexporte in die Türkei, bei denen schon fast wieder „business as usual“herrscht. Dabei sitzen in dem Land nach Angaben des Auswärtigen Amtes immer noch vier Deutsche aus politischen Gründen im Gefängnis. Bislang waren ihre Namen nicht bekannt, doch eine Familie bricht nun ihr Schweigen.
Der Gefangene: Enver Altayli, 73 Jahre alt, seit mehr als einem halben Jahr ohne Anklage im Gefängnis. Nach Angaben der Familie sitzt er in Isolationshaft. Altayli besitzt die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft. Am 20. August wurde er in Antalya festgenommen, wo die Familie in einem Dorf eine kleine Ferienanlage betreibt. Gäste aus der Bundesrepublik werden auf Deutsch begrüßt, zwei der drei Töchter Altaylis sind in Deutschland geboren. Nach dem Protokoll der Gerichtsverhandlung wird Altayli verdächtigt, Straftaten für eine Terrororganisation begangen zu haben. Gemeint ist die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen, den die türkische Regierung für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich macht.
Altayli streitet laut Vernehmungsprotokoll Verbindungen zur Gülen-Bewegung ab. Er ist Jurist und war nach eigener Aussage 1968 vom türkischen Geheimdienst MIT zur Forschung über OsteuropaRecht nach Deutschland entsandt worden.
Hartz-IV-Bezieher haben nach Zahlen des Steuerzahlerbundes im Monat oft mehr Geld zur Verfügung als Arbeitnehmer. Wer eine vierköpfige Familie ernähren will, braucht demnach heute einen Bruttolohn von mindestens 2540 Euro, um netto Hartz-IV-Niveau zu erreichen. Das zeigen Berechnungen des Steuerzahlerbundes für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (Montag). Für eine fünfköpfige Familie seien dazu mindestens 3300 Euro brutto erforderlich.
Das Lohnabstandsgebot – der Abstand zwischen Löhnen und Sozialleistungen – wird also offensichtlich nicht immer eingehalten. Gehe man von einer Arbeitszeit von 38 Stunden in der Woche aus, benötigten Alleinverdiener mit Partner und zwei Kindern einen Stundenlohn von mindestens 15,40 Euro, um Hartz-IV-Niveau zu erreichen; bei drei Kindern seien dies 20 Euro, so die Berechnungen weiter. Danach werden der vierköpfigen Familie monatlich 610 Euro Sozialabgaben und Steuern abgezogen, der fünfköpfigen Familie 917 Euro. Der Mindestlohn liegt derzeit bei 8,84 Euro in der Stunde. Ein Haushalt aus zwei Erwachsenen und zwei Kindern hat demnach Anspruch auf durchschnittlich 1928 Euro im Monat als sogenannten Regelbedarf.
Angesichts guter konjunktureller Situation in Deutschland ist die Zahl der Hartz-IV-Empfänger (Arbeitslose und Aufstocker) in den vergangenen zehn Jahren von gut sieben auf gut sechs Millionen zurückgegangen.