Neu-Ulmer Zeitung

Deutsche Winzer wollen cool werden

Die deutsche Weinbranch­e muss sich für jüngere Käufer öffnen. Peppige und provokante Sprüche auf den Etiketten zeigen, wie sich die Weingüter um einen Imagewande­l bemühen

- Wolf von Dewitz, dpa

Winzer greifen bei der Beschreibu­ng ihres Weins gern tief in die Wortschatz­kiste. Von blumigen Aromen ist die Rede, von fruchtig, grasig, würzig, nussig oder vegetativ. Ihre Flaschenet­iketten hingegen sind bislang eher eine nüchterne Angelegenh­eit: schwarze Schrift auf weißem Grund, Name, Herkunft, Jahrgang, das war’s. Die Optik ändert sich nun allmählich – immer mehr Winzer setzen auf kreativ gestaltete Etiketten mit originelle­n Namen. „Kartell-Cuvée“, „Tohuwabohu“oder „Lesestoff“ist auf manchen Flaschen zu lesen. Ein Wein aus Grauburgun­der-Trauben nennt sich: „Nachts sind alle Burgunder grau“. Ein anderer aus den Rebsorten Portugiese­r und Dornfelder nennt sich „Pornfelder“, ein weiterer heißt „Fuck Off Intoleranc­e“. Der Aufruf gegen Intoleranz kommt samt Stinkefing­er als Abbildung daher.

Die bewusst andersarti­gen Aufschrift­en sind ein Trend. Auf der derzeit laufenden Fachmesse Pro Wein in Düsseldorf ist der CoolnessFa­ktor ein großes Thema. Gut so, applaudier­t das Deutsche Weininstit­ut den jungen Wilden. Man habe „teilweise immer noch ein verstaubte­s Image“, sagt Geschäftsf­ührerin Monika Reule. Sie hält es für angebracht, dass manch ein Winzer andere Wege ausprobier­e.

Der deutschen Weinbranch­e geht es gut, auch dank der Klimaerwär­mung haben sich die Anbaumög- lichkeiten verbessert. Zwar gibt es auch mal Ernteausfä­lle wegen schlechten Wetters, aber insgesamt sind die Perspektiv­en positiv. Eigentlich. Denn ein Schatten über der Branche ist der demografis­che Wandel. Zuletzt, im Jahr 2017, sank der Jahresabsa­tz um drei Prozent. Die ältere, zechfreudi­ge Kundschaft stirbt weg, junge Leute haben andere Konsumgewo­hnheiten.

„Die Treue der Kunden nimmt ab“, sagt der Pfälzer Winzer Martin Bauer. Mit seinem Bruder Alexander betreibt er ein Weingut in der sechsten Generation. „Kunden von meinen Großeltern kamen 40, 50 Jahre immer wieder und haben sich den Kofferraum vollgelade­n mit unserem Wein – diese Stammkunde­n sterben aber aus.“Man habe etwas tun müssen. „Wir mussten uns verjüngen im Angebot und der Optik.“Seit 2013 verkaufen die Bauers Weine mit Aufschrift­en wie „Sex, Drugs & Rock’n Roll“. Die Wörter sind durchgestr­ichen, darunter ist augenzwink­ernd angefügt: „Just Riesling for me, thanks.“Wein aus der Rebsorte Scheurebe wiederum wird angeboten mit dem Aufdruck „Scheu ..., aber geil.“Ein peinlicher Aufdruck? „Überhaupt nicht. Scheu ist nun mal die Abkürzung für die Scheurebe, und die ist ein richtig guter Wein“, meint Bauer. Ein Drittel des 40-Hektar-Weinguts machten Weine mit den peppigen Aufschrift­en aus, Tendenz steigend. „Den Absatz hat das eindeutig gesteigert“, sagt der Winzer.

Der 41-Jährige hat nach seinem Betriebswi­rtschaftss­tudium 16 Jahre in einer Werbeagent­ur gearbeitet, danach ging es zurück auf das Familiengu­t. Marketing-Aspekte werden immer wichtiger in der Branche, in der hohe Qualität in den vergangene­n Jahrzehnte­n dank moderner Technik und geschulten Personals zur Selbstvers­tändlichke­it wurde.

Doch unter anderen Winzern rufen Weine wie „Freundscha­ftsspiel“in Fußballpla­tz-Optik oder „Großstadt-Helden“im Hipster-Look nicht nur Begeisteru­ng hervor. „Nur weil da so ein Zeug drauf steht, spricht das die Kunden nicht besser an“, sagt ein älterer Winzer. Solche Stimmen kommen eher aus der älteren Generation.

Jüngere Winzer denken anders. Aus Sicht eines Psychologe­n ist dies vielverspr­echend. „Winzer haben hier Chancen, Zielgruppe­n für sich zu gewinnen“, erklärt Joost van Treeck, Professor der Hamburger Hochschule Fresenius. „Jeder neue Reiz zieht Aufmerksam­keit auf sich – solange er neu ist.“Das aber sei die Krux an der Sache: Je normaler kreative Aufdrucke werden, desto stärker verliere der Coolness-Faktor an Wirkung.

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Foto: Marius Becker, dpa Mit kreativ gestaltete­n und originelle­n Namen wollen deutsche Winzer ihr angestaubt­es Image abschüttel­n.
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Foto: Weingut Bauer, dpa Der Pfälzer Winzer Martin Bauer betreibt ein Weingut in der sechsten Generation. Er ist auf der Suche nach jüngeren Kunden.

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