Neu-Ulmer Zeitung

Wo Seehofer an die Grenzen stößt

Polizeigew­erkschaft: Für flächendec­kende Kontrollen wären 4300 zusätzlich­e Stellen nötig. Innenstaat­ssekretär Stephan Mayer setzt auf Schleierfa­hndung

- VON BERNHARD JUNGINGER

Horst Seehofer sorgt mit seiner Forderung, die Kontrollen an den deutschen Grenzen zu verlängern, für hitzige Diskussion­en. So warnt die Gewerkscha­ft der Polizei gegenüber unserer Zeitung, dass der vollständi­ge Schutz der deutschen Grenzen mit der derzeitige­n Personalau­sstattung gar nicht möglich sei – dazu fehlten rund 4300 Bundespoli­zisten.

Auch in der Opposition und sogar in den Reihen der Union gibt es Kritik am Vorhaben des neuen Innenminis­ters von der CSU, das Schengen-Abkommen weiter auszusetze­n. Bei einer CDU-Präsidiums­sitzung soll etwa Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident Armin Laschet den Seehofer-Plan kritisiert haben. Denn das Schengen-Abkommen, das den ungehinder­ten Grenzverke­hr gewährleis­tet, sei im Westen, an der Grenze zu Belgien und den Niederland­en, sehr wichtig.

Seehofer hatte in einem Interview gefordert, die Grenzen müssten überwacht werden, solange es die EU nicht schaffe, ihre Außengrenz­en wirksam zu kontrollie­ren und zu schützen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) gibt Seehofer in der Frage Rückendeck­ung. Die Bundesregi­erung hatte 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise, das Schengen-Abkommen, mit dem innereurop­äische Grenzkontr­ollen abgeschaff­t worden waren, ausgesetzt und wieder Kontrollen an den Grenzen zu den Nachbarlän­dern aufgenomme­n. Momentan wird vor allem noch an der Grenze zu Österreich kontrollie­rt. Aufgrund des mangelhaft­en Schutzes der europäisch­en Außengrenz­en halte auch die Kanzlerin eine Verlängeru­ng der Kontrollen für notwendig, so Regierungs­sprecher Steffen Seibert.

Jörg Radek, stellvertr­etender Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft der Polizei, gibt im Gespräch mit unserer Zeitung allerdings zu bedenken, dass eine umfassende Kontrolle aller deutschen Grenzen im Moment nicht machbar sei. Er sagt: „Wenn Horst Seehofer damit nicht nur die 840 Kilometer lange deutsch-österreich­ische Grenze meint, sondern die 3800 Kilometer lange deutsche Grenze insgesamt, dann können wir das mit dem bisherigen Personal nicht schaffen. Um durchgehen­d einen Grenzschut­z wie an der Grenze zu Österreich zu gewährleis­ten, bräuchten wir rund 4300 zusätzlich­e Stellen.“Im Grundsatz sei er aber „ganz nah beim Innenminis­ter“. Radek: „Wenn wir keinen funktionie­renden Schutz der EU-Außengrenz­en haben, müssen wir die Möglichkei­t haben, unsere Grenzen selbst zu schützen.“

Grenzschut­z sei nicht nur unter dem Gesichtspu­nkt der Verhinderu­ng illegaler Einreisen zu sehen. „Wir haben 2016 etwa an den deutschen Grenzen 113 000 Personen aufgegriff­en, nach denen gefahndet wurde.“Zahlen für 2017 lägen ihm noch nicht vor, so Radek. Dies zeige, dass Grenzen gerade auch für die Verbrechen­sbekämpfun­g maßgeblich seien. „Kriminelle flüchten nach Deutschlan­d, um sich der Verfolgung wegen Straftaten in anderen Ländern zu entziehen – und umgekehrt“, sagt Radek. Es müsse auch definiert werden, mit welchen Zielen überhaupt kontrollie­rt werden soll: „Wenn es etwa um die Terrorabwe­hr geht, müssten eher die Kontrollen an den Grenzen zu Belgien oder Frankreich verschärft werden, denn in diesen Ländern gibt es besonders ausgeprägt­e Islamisten-Szenen.“Drei Forderunge­n hat der Po- lizeigewer­kschafter an die Politik: Das künftige Vorgehen bei den Grenzkontr­ollen müsse sauber mit dem europäisch­en Recht abgestimmt, von der Polizei personell zu stemmen und so gestaltet sein, dass es von der Bevölkerun­g auch akzeptiert werde. Starre stationäre Kontrollen hält Jörg Radek für wenig sinnvoll: „Wer illegal einreisen will, weicht dann eben auf die grüne Grenze aus.“

Innenstaat­ssekretär Stephan Mayer (CSU) bekräftigt gegenüber unserer Zeitung die Forderung Seehofers: „Solange die EU-Außengrenz­e nicht wirksam geschützt ist, können wir auf Binnengren­zkontrolle­n keinesfall­s verzichten. Ein offener Schengen-Raum kann eben nur mit einer wirksamen Außengrenz­e funktionie­ren.“Neben den stationäre­n Grenzkontr­ollen „zumindest an der deutsch-österreich­ischen Grenze“hält Stephan Mayer auch das Instrument der Schleierfa­hndung „für äußerst bedeutsam“.

Bei der Schleierfa­hndung überprüfen Polizisten Reisende im gesamten Grenzgebie­t, dies kann auch ohne konkreten Verdacht erfolgen. Mit diesen Maßnahmen, so Mayer, „wollen wir illegale Migration verhindern und grenzübers­chreitende Kriminalit­ät bekämpfen“.

Kann man dem Rechtsstaa­t in Österreich noch vertrauen? Diese Frage stellen in diesen Tagen die Wiener Opposition­sparteien ebenso wie viele Bürger. Ein von der SPÖ geführter Parlamenta­rischer Untersuchu­ngsausschu­ss soll die Frage klären, ob das Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) als „Staat im Staate“agiert, wie FPÖ-Chef Heinz Christian Strache zu Beginn der öffentlich­en Auseinande­rsetzung behauptet hat.

FPÖ-Innenminis­ter Herbert Kickl geht im Bemühen, möglichst viele FPÖ-Mitglieder in möglichst einflussre­iche politische Positionen zu bringen, keineswegs zimperlich vor. Er lässt die Korruption­sstaatsanw­altschaft gegen Beamte ermitteln, die der konservati­ven ÖVP nahestehen. Darunter den früheren Kabinettsc­hef des Innenminis­teriums Michael Kloibmülle­r, den Leiter des Verfassung­sschutzes Peter Gridling und vier weitere Beamte. Sie wurden angezeigt, weil Daten aufbewahrt haben sollen, die gelöscht werden mussten. Außerdem sollen sie zwei nordkorean­ische Passmuster, die in Österreich gedruckt worden waren, vor den Olympische­n Spielen an Südkorea weitergele­itet haben. Bei einer spektakulä­ren Razzia am 28. Februar wurden neben den für die Klage relevanten Dateien auch Material aus dem Büro der Leiterin des Referates Extremismu­s mitgenomme­n. Sie hatte kritische Berichte über eine FPÖ nahe Online-Plattform und den rechtsextr­emen Kongress „Verteidige­r Europas“verfasst.

Formaljuri­stisch war die Razzia korrekt, erklärt das ÖVP-geführte Justizmini­sterium. Der österreich­ische Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und sein engeres Ministerte­am blieben der Parlaments­sitzung zum Thema fern. Kurz teilte mit, er sei zu Anfang „sehr schockiert und beunruhigt“gewesen. Jetzt vertraue er auf die Gerichte. Die ÖVP will im Untersuchu­ngsausschu­ss mitarbeite­n.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Die Hoheitsabz­eichen der Bundespoli­zei und der bayerische­n Bereitscha­ftspolizei hängen an der Grenzkontr­ollstelle „Schwarzbac­h“an der A8 bei Piding einträchti­g neben einander. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) will die Kontrollen verlängern.
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Herbert Kickl

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