Ein Leben im Schatten
Die Mutter bekommt Hartz IV. Der Bruder kämpft mit schweren Erkrankungen. Eine junge Frau will sich ihr eigenes Leben aufbauen. Wie die Kartei der Not sie dabei unterstützt
Die 18-Jährige liebt ihren Bruder. Würde ihrer Mutter heute etwas zustoßen, will sie ihn zu sich nehmen, sagt sie. Denn allein wird der heute 16-Jährige wohl nie leben können. Zu stark sind seine Handicaps. Der junge Mann wurde nicht nur mit einem Downsyndrom geboren, er leidet auch an der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), an leichtem Autismus, hat die krankhafte Tendenz, wegzulaufen und kann nicht sprechen. „Ich verstehe ihn natürlich“, erzählt die junge Frau stolz. Auf sie kann sich ihre Mutter bei der Pflege und Betreuung des Bruders stets verlassen. Ihre eigenen Wünsche stellt sie dafür oft hinten an – was typisch ist für Schattenkinder.
Schattenkinder nennt man Kinder, die mit behinderten Geschwistern oder kranken Eltern aufwachsen. Denn im Mittelpunkt steht oft das kranke Familienmitglied. So wie es auch im Leben der jungen Frau aus Neu-Ulm ist. Als wäre die Behinderung des Jungen nicht schon schwer genug zu bewältigen, leben die drei auch noch in Armut. Ihre Namen wollen sie nicht in der Zeitung lesen. Zu groß ist die Scham.
„Viele meiner Klienten schämen sich“, sagt Heike Bayer. Sie ist Diplom-Sozialarbeiterin in der Diakonie Neu-Ulm. In den vergangenen Jahren wurde sie, wie sie erzählt, immer mehr zur Beratungsstelle für Hartz-IV-Empfänger. Für Men- schen, „die zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel haben“. Für Menschen, die wie die Mutter der 18-Jährigen in dem Teufelskreis Armut feststecken. Als die 41-Jährige mit ihrer Tochter das Büro von Heike Bayer betritt, spürt man gleich, wie herzlich der Kontakt ist. Bayer begleitet die Frau mit ihren Kindern seit über zehn Jahren. Die 50-Jährige berät sie, hilft ihr, finanzielle Ansprüche durchzusetzen, hört zu und bestärkt sie, wenn mal wieder alles zu viel wird. Bayer ist mit Herz und Seele Sozialarbeiterin. „Ohne sie hätten wir vieles nicht geschafft“, sagt die Frau. Doch ihre Tochter leidet unter der knappen Kasse. Kann sie mal wieder nicht mir ihren Schulfreundinnen mit ins Café, Kino oder Schwimmbad kommen, erfindet sie Ausreden: „Ich sage dann, ich fühle mich nicht gut oder ich muss auf meinen Bruder aufpassen.“
Heike Bayer ärgert sich über viele Hartz-IV-Regelungen, weil sie zu oft sieht, wie sich ihre Klienten abmühen und trotzdem keine Chance haben, aus der Armut je herauszukommen. Bestes Beispiel ist die 41-Jährige. „Eine intelligente, empathische, engagierte Frau“, sagt Bayer. Aber als alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern, von denen eines schwerbehindert ist, habe sie kaum Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Eine Ausbildung hat sie nie gemacht. „Das bedaure ich sehr.“Sie leidet an einer Lese-RechtschreibSchwäche, erlebte die Schulzeit als Tortur. „Ich hatte regelrecht Angst vor der Berufsschule“, sagt sie. Gearbeitet hat sie trotzdem immer. Als Hilfskraft. In der Küche. Und seit Jahren als Reinigungsfrau. Mehr als „Deshalb wollen wir helfen, um mit ein paar kleinen Freizeitvergnügen wie einem Ausflug oder einer Geburtstagsfeier etwas Freude in ihr Leben zu bringen – auch bei der Familie aus Neu-Ulm“, sagt Hansen.
Heike Bayer von der Diakonie wusste, dass die Kartei der Not immer wieder hilft. Sie stellte für die 18-Jährige einen Antrag. Denn die junge Frau kämpft dafür, sich ein eigenes Leben aufzubauen. Zuerst war sie auf einer Förderschule. Doch sie arbeitete sich hoch. Jetzt macht sie ihren Realschulabschluss und will Kinderkrankenschwester werden. Sie ist der ganze Stolz ihrer Mutter. „Ich habe ihr immer gesagt: Mach was aus deinem Leben. Schau, dass du nicht wie ich vom Amt leben und putzen gehen musst.“
Die Stadt Augsburg könnte gut 28 Millionen Euro an den Freistaat zurückzahlen müssen, weil es bei der Beantragung von Fördermitteln für den Kita-Betrieb einen Fehler gegeben hat. Demnach wurden Fördergelder für die Kinderbetreuung durch freie Träger (z.B. Wohlfahrtsverbände und Kirchen) von der Stadt für das Jahr 2016 zu spät beantragt. Die Folge ist, dass der Freistaat die zunächst erfolgte Bewilligung inzwischen für problematisch hält.
Ob die Stadt die Summe nun tatsächlich zurückzahlen muss, ist offen. Es gibt Gespräche zwischen der Stadt und der zuständigen Regierung von Schwaben, wie die Kuh vom Eis zu bekommen ist. Allerdings handelt es sich um eine rechtlich komplexe Materie. Nicht betroffen von einer etwaigen Rückforderung wären die Kindergärten.
Zu dem Versäumnis war es laut Stadt Augsburg gekommen, weil ein Mitarbeiter des Jugendamtes überraschend krank wurde und technische Probleme hinzukamen. Der Antrag fürs Jahr 2016 hätte bis spätestens 30. Juni 2017, einem Freitag, bei der Regierung von Schwaben eingehen müssen, tatsächlich passierte dies dann erst am Montag.
„Wir wollen hier nichts schönreden, die Frist wurde überschritten. Wir ärgern uns, dass trotz aller organisatorischen Vorkehrungen so ein gravierender Fehler passieren konnte“, so Sozialbürgermeister Stefan Kiefer (SPD). Inzwischen laufen Verhandlungen auf verschiedenen Ebenen des Freistaats, an denen auch Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) beteiligt ist. (skro)