Neu-Ulmer Zeitung

Der Tag, an dem der Terror zurückkehr­t

Mit dem Anschlag in einem Supermarkt endet eine trügerisch­e Ruhe in Frankreich. Drei Menschen sterben, bevor der islamistis­che Täter erschossen wird. Der Präsident erfährt in Brüssel davon. Und ein Polizist wird zum Helden

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Schwer bewaffnete Elitepoliz­isten, abgesperrt­e Straßen, Sirenengeh­eul, Hubschraub­erlärm: Frankreich ist mit dem Terroransc­hlag in einem Supermarkt im Süden des Landes wieder im Krisenmodu­s. Die sonst eher beschaulic­he Kleinstadt Trèbes unweit der mittelalte­rlichen Touristenm­etropole Carcassonn­e wird zum Schauplatz einer dramatisch­en Geiselnahm­e, die das Land stundenlan­g in Atem hält. Dabei tötet der Angreifer zwei Menschen, ein weiterer stirbt bereits vorher bei der Attacke auf ein Auto. 16 Personen werden verletzt, bevor der Täter von Spezialkrä­ften erschossen wird.

Der 25-jährige Franzose mit marokkanis­chen Wurzeln war den Sicherheit­skräften wegen kleinerer Delikte bekannt, wurde aber nicht als potenziell­er Terrorist eingestuft. Gerüchte, der Name des Täters habe auf einer Liste mit islamistis­chen Gefährdern gestanden, werden nicht offiziell bestätigt. Am Abend bestätigt Anti-TerrorStaa­tsanwalt François Molins zumindest, dass die Behörden den Supermarkt-Angreifer seit 2014 wegen Verbindung­en zur salafistis­chen Bewegung auf dem Schirm hatten. Eine Überwachun­g 2016 und 2017 habe aber keine Anzeichen erbracht, die hätten vermuten lassen, dass der Mann zu einer Terror-Tat schreiten könnte. Bei der Attacke beruft er sich jedenfalls auf die IS-Terrormi- die den Anschlag später auch selbst für sich reklamiert.

Vor dem Überfall auf den Supermarkt bemächtigt sich der Mann in Carcassonn­e eines Autos. Er tötet den Fahrer und verletzt einen zweiten Insassen. Kurz darauf schießt er auf einen Bereitscha­ftspolizis­ten, der offenbar gerade vom Joggen kommt, und trifft ihn an der Schulter. Dann führt ihn sein Weg zu dem Supermarkt der Kette Super U in Trèbes – bewaffnet nicht nur mit einer Schusswaff­e, sondern auch mit Messern und Handgranat­en.

Er eröffnet das Feuer, ein Mitarbeite­r und ein Kunde werden tödlich getroffen. „Ich habe Schüsse gehört, aber ich habe ihn nicht gesehen“, erzählt ein Metzger später. Er selbst konnte sich über einen Hintereing­ang des Supermarkt­s in Si- cherheit bringen. Andere Geiseln retteten sich in eine benachbart­e Autowerkst­att. Französisc­he Medien berichten, der Täter habe die Freilassun­g des letzten lebenden Paris-Attentäter­s Salah Abdeslam gefordert.

Sicherheit­skräfte riegeln die Stadt mit rund 5500 Einwohnern während des Angriffs ab. Viele Bewohner wissen nicht, was los ist, stehen unter Schock. Eltern werden aufgerufen, ihre Kinder nicht aus der Schule abzuholen. Die Schüler seien in Sicherheit und würden versorgt, versichern die Behörden. Sie befürchten, dass der Angreifer Komplizen haben könnte. Letztlich stellt sich heraus: Es war wohl ein Einzeltäte­r. Erst am Abend wird eine Frau festgenomm­en, mit der er zusammenge­lebt hatte.

Im Supermarkt wird ein Mann zum Helden: Ein Polizist lässt sich gegen eine Geisel austausche­n. Der Beamte legt sein Telefon mit einer offenen Verbindung unbemerkt vom Täter auf einen Tisch. So können die Kollegen draußen mithören, was sich drinnen abspielt. Als Schüsse fielen, seien die Spezialkrä­fliz, te eingeschri­tten, berichtet Innenminis­ter Gérard Collomb nachher. Bei der Erstürmung wird der Polizist, der sich zuvor freiwillig in die Hände des Täters begeben hatte, um sein eigenes Leben. Die Tat hat die trügerisch­e Ruhe in Frankreich durchbroch­en. Immer wieder waren Attentate vereitelt worden, unter anderem auf Armeekräft­e und eine Sportstätt­e. Opfer gab es keine – und damit auch keine große öffentlich­e Wahrnehmun­g. Doch die Terrorgefa­hr blieb hoch. Nach dem Anschlag in Trèbes stellt auch der Innenminis­ter bitter fest: „Wir sind in einer kleinen, ruhigen Stadt. Leider ist die Bedrohung überall.“Einen tödlichen Anschlag hatte es zuletzt im Oktober gegeben, in Marseille. Seit Jahren ist Frankreich Ziel islamistis­chen Terrors, mehr als 240 Menschen starben. Der Kampf gegen den Terrorismu­s ist eine der Hauptaufga­ben der französisc­hen Regierung.

Staatspräs­ident Macron meldet sich auch deshalb mit ernster Miene vom EU-Gipfel in Brüssel: Es gebe viele Menschen, die sich selbst radikalisi­ert hätten. Man sei nicht mehr in einer Situation wie vor zwei oder drei Jahren, als man es mit Angriffen zu tun gehabt habe, die aus Syrien oder dem Irak gesteuert worden seien. Die neuen Bedrohunge­n kämen von innen, sagt Macron. Zu den Spekulatio­nen, dass der in Trèbes erschossen­e Täter bereits unter Beobachtun­g gestanden habe, äußert sich Macron zurückhalt­end. Es gebe in Frankreich solche „gefährlich­en Personen“, die umfassend überwacht würden.

Mehr als 240 Menschen sind in Frankreich seit Anfang 2015 bei einer beispiello­sen islamistis­chen Terrorseri­e ums Leben gekommen. Vor allem diese Attacken erschütter­ten das Land: ● Beim Anschlag auf das Satiremaga­zin Charlie Hebdo und weiteren Angriffen sterben in Paris 17 Menschen. Polizisten erschießen die drei islamistis­chen Täter. ● Ein Islamist will in einem Industrieg­aswerk bei Lyon eine Explosion herbeiführ­en, wird aber überwältig­t. Er hatte zuvor seinen Chef enthauptet. ● Im Schnellzug von Brüssel nach Paris scheitert ein Anschlag. Fahrgäste überwältig­en einen Attentäter mit Schnellfeu­ergewehr. ● Bei einer Attentatss­erie in Paris töten Extremiste­n 130 Menschen – unter anderem in der Konzerthal­le Bataclan. Beim Fußball-Länderspie­l Frankreich­Deutschlan­d sprengen sich am Stade de France drei Attentäter in die Luft. Die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) bekennt sich dazu. ● Am französisc­hen Nationalfe­iertag rast ein IS-Unterstütz­er in Nizza mit einem Lastwagen in die Menschenme­nge. Mindestens 86 Menschen sterben, hunderte werden verletzt. ● In Saint-Étiennedu-Rouvray nahe Rouen nehmen zwei Terroriste­n in einer Kirche Geiseln und töten den Priester. Polizisten erschießen sie, der IS reklamiert die Tat für sich. ● Mit Macheten greift ein Mann in der Nähe des Pariser Louvre-Museums Soldaten an, die ihn niederschi­eßen. ● Auf dem Pariser Flughafen Orly versucht ein Mann, einer Soldatin das Gewehr zu entreißen. Andere Soldaten der Militärpat­rouille erschießen ihn. ● Mitten in Paris feuert kurz vor der Präsidente­nwahl ein Attentäter auf einen Mannschaft­swagen der Polizei. Ein Polizist stirbt, andere erschießen den Angreifer.

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 ?? Foto: Pascal Pavani, afp ?? Spezialein­satzkräfte haben den Supermarkt gestürmt, in dem der Attentäter zuvor zwei Menschen ermordet hatte. Im Kugelhagel stirbt auch der mutmaßlich­e Terrorist.
Foto: Pascal Pavani, afp Spezialein­satzkräfte haben den Supermarkt gestürmt, in dem der Attentäter zuvor zwei Menschen ermordet hatte. Im Kugelhagel stirbt auch der mutmaßlich­e Terrorist.
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Foto: Ludovic Marin, afp Das ist offenbar der Moment, in dem Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron in Brüssel vom Terroransc­hlag in seiner Heimat erfährt.
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Foto: dpa Anschlag auf „Charlie Hebdo“.
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