Verdi als Albtraum
Der Intendant nimmt sich der „Macht des Schicksals“an und reist mit ihr nach Lateinamerika. Dort geraten Ensemble wie Publikum in eine Koks-Küche
Giuseppe Verdi hängte es nicht an die große Glocke. Aber er wusste genau, was er mit „La forza del destino“vertonte. Gegenüber seinem Verleger Ricordi äußerte er humoristisch pointiert zum Stück: „Bei so vielen Mängeln und so vielen Absurditäten des Librettos ist es ein Wunder, dass nicht wenigstens der [römische] Impresario davon getötet worden ist.“
Ja, „Die Macht des Schicksals“, diese Oper, die besser „Die Macht des Zufalls“heißen sollte, ist eine arge Räuberpistole aus schauriger Mantel- und Degenzeit. Was unwahrscheinlicherweise mal irgendwann passieren könnte, geschieht darin am laufenden Band – vom unbeabsichtigt sich lösenden (und treffenden) Pistolenschuss im 1. Akt bis hin zu demselben Bußorden, dem sich das aus den Augen gekommene Paar Leonora/Alvaro anschließt. Das Krude des Stücks hat schon fast surreal-dadaistische Momente, nicht zuletzt im kriegslüsternen Rataplan-Chor; und mancher Regisseur – wie etwa einst Hans Neuenfels – begegnete dem WahnsinnsPlot angemessen mit Bizarrerien im ganz normalen Weltgeschehen: Standes- und Rassendünkel, gezielt persifliert (Ouvertüren-Höhepunkt zum Öffnen von Leonoras gut bestückter Kleiderkammer), dann aber immer wieder auch ziemlich ungelenk, stereotyp, unfreiwillig wirkt. (Eben noch übt sich Leonora in Morgengymnastik, da schickt sie ihr Vater schon wieder mit „Addio“ins Bett).
Wie all das bewertet werden kann und darf – bis hin zum mindestens zwei-, wenn nicht dreifach tödlichen Finale, wo auch noch Schlaftabletten und ein Messer ins letale Spiel geraten?
Es kommt darauf an. Mit Fug und Recht kann wohlmeinend erklärt werden, André Bücker habe durch seinen inszenierten Albtraum den hanebüchenen Plot nachvollziehbar gemacht. Man kann aber auch einwenden: Er hat sich nur geschickt aus der Affäre gezogen, Probleme umschifft (Rassendünkel!) und Lateinamerika als fern liegende Folie/ Krücke herangezogen. Warum er jetzt und hier, in Mitteleuropa, diese Inszenierung, diese Regie-Idee zeigt, bleibt jedenfalls nicht recht ersichtlich.
Hörbar aber bleiben die schlagende Dramatik und die kantablen Schönheiten Verdis, denen die Augsburger Philharmoniker unter Domonkos Héja federnd, mitatmend,
Der für seine Musikarbeit mit benachteiligten Kindern international bekannt gewordene venezolanische Musiker José Antonio Abreu ist tot. Er starb am Samstag 78-jährig in Caracas. Präsident Nicolás Maduro würdigte sein „großes moralisches, ethisches und kulturelles Vermächtnis“und ordnete eine dreitägige Staatstrauer an.
Abreu hatte 1975 mit elf Musikern in einem Arbeiterviertel von Caracas das Projekt „El Sistema“(Das System) gegründet, aus dem mit der Zeit ein Netz von Klassikorchestern und Chören für arme Kinder und Jugendliche entstand. „El Sistema“erstreckt sich heute über das ganze Land und hat mittlerweile etwa 900 000 Mitwirkende in mehr als 1500 Orchestern und Chören mit 10000 Dozenten. Es trug Abreu Anerkennung im gesamten politischen Spektrum ein; „El Sistema“blieb auch nach Regierungswechseln und ideologischen Kehrtwenden bestehen.
Der Dirigent Gustavo Dudamel, Musikdirektor des Los Angeles Philharmonic Orchestra und Abreus berühmtester Zögling, twitterte am Wochenende: „Mit hingebungsvoller Liebe und ewiger Dankbarkeit für meinen Mentor und Vater von El Sistema“– zusammen mit einem Foto von ihm und „El Maestro“.
Das von Abreu geschaffene System der Jugend- und Kinderorchester wurde in mehr als 50 Ländern übernommen. Abreu selbst erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1993 den Internationalen Musikpreis der Unesco, 2005 das Bundesverdienstkreuz für seine außerordentlichen Verdienste um die musikalische Erziehung, 2008 den spanischen Prinz-vonAsturien-Preis für Kunst und ein Jahr später den Orden der französischen Ehrenlegion. Während der zweiten Amtszeit des venezolanischen Präsidenten Carlos Andres Pérez (1989 bis 1993) war er Kulturminister. Der britische Star-Dirigent Sir Simon Rattle, einer der wichtigsten ausländischen Mitarbeiter von „El Sistema“, erklärte 2010, Abreu habe den Friedensnobelpreis verdient. Tatsächlich wurde sein Name dann zwei Jahre später für die Auszeichnung vorgeschlagen.
José Antonio Abreu wurde 1939 in Valera im Westen Venezuelas geboren. Von Beruf war er Ökonom, zum Erfolg kam er als Komponist, Pianist, Cembalo- und Orgelinterpret.