Neu-Ulmer Zeitung

Wenn Kunst beschädigt wird …

Eine Gemälde-Transportk­iste kippt um, eine Skulptur verrottet, ein Vandale beschädigt Albrecht Dürer: Wie wird der Schaden wieder gutgemacht?

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Herr Metten, Frau Hamm-Neumann, Sie versichern Kunst, Antiquität­en und andere wertvolle Sammlerobj­ekte, wie etwa Oldtimer. Was passiert, wenn solch ein Objekt beschädigt oder gar zerstört wird?

Unsere Sachverstä­ndigen prüfen, ob das Kunstwerk restaurier­t werden kann, das heißt, ob ein Total- oder ein Teilschade­n und eine Wertminder­ung vorliegen. Wird ein Totalschad­en anerkannt und die entspreche­nde Entschädig­ung bezahlt, geht das zerstörte Kunstwerk in unser Eigentum über. Damit es nicht wieder auf den Markt kommt?

Wenn das Objekt noch „ansehnlich“ist – und das kommt durchaus vor –, müssen wir zusehen, dass es nicht noch weiter präsentier­t oder sogar als Leihgabe versichert wird. Damit beugen wir auch der Versuchung eines Versicheru­ngsbetruge­s vor. Wie bewahren Sie die eingeforde­rte Kunst auf?

Das hängt von der Art und der Größe des Kunstwerks ab, auch vom Material und vom Gewicht. Die Aufbewahru­ng einer zerstörten Außenskulp­tur erfordert andere Bedingunge­n als die Lagerung von Gemälden oder Vasen. Wir arbeiten mit einem externen, profession­ellen Dienstleis­ter zusammen, der ein spezielles Kunstlager bietet. Gibt es dort eine „konservato­rische Betreuung“?

Auf jeden Fall. Die Werke werden so aufbewahrt, wie man das mit unbeschädi­gter Kunst auch tun würde. Die Einbindung des spezialisi­erten Dienstleis­ters erleichter­t das natürlich. Sie müssen wahrschein­lich dauernd mehr Platz anmieten?

Nicht unbedingt. Die globale Schadensta­tistik der Versicheru­ng Axa Art zeigt, dass es in den letzten Jahrzehnte­n keine überpropor­tionale Zunahme von Totalschad­ensfällen gibt. Vielmehr entwickeln sich die Restaurier­ungsmöglic­hkeiten ständig weiter, und unsere Kunstsachv­erständige­n sind in der Szene gut vernetzt. Deshalb können wir heute die Kunst und ihre Werte viel besser bewahren.

Mit einem externen Lager sind wir auch flexibler. Die Formate werden ja größer, gerade bei der Fotografie, es gibt aber nach wie vor viele sehr kleine Formate. Natürlich überlegen wir genau, ob sich die Anforderun­g eines Totalschad­ens lohnt. Wenn Kosten und Nutzen in keinem Verhältnis stehen, einigt man sich in der Regel darauf, dass der ehemalige Eigentümer die Vernichtun­g belegt – etwa über einen fotografis­chen oder dokumentar­ischen Nachweis. Kommt es vor, dass ein Werk nach ein paar Jahren – trotz „Macke“– wieder von Interesse ist?

Wir könnten ein solches Werk aber nur mit der Zustimmung des Künstlers dem Kunstmarkt zuführen. Tatsächlic­h hatten wir einen solchen Fall bei einem sehr anerkannte­n, inzwischen verstorben­en Künstler. Der längst regulierte Totalschad­en konnte durch sehr gute Restaurato­ren größtentei­ls behoben werden und mit ausdrückli­cher Zustimmung der Künstlerwi­twe, die den Nachlass verwaltet, ging die Arbeit wieder auf den Kunstmarkt. Diese seltenen Fälle werden selbstvers­tändlich in der Provenienz des Werks dokumentie­rt. Bei den Menschen passieren die meisten Unfälle im Haushalt, wie ist das mit der Kunst?

Bei Ausstellun­gen und im Kunsthande­l entstehen Schäden sehr häufig beim Transport. Die Arbeiten können noch so gut verpackt sein, es passieren eben Unfälle – ob nun eine Kiste kippt, ein Gabelstapl­er hineinfähr­t oder das Kunstwerk beim Auspacken aus der Hand rutscht. Im privaten Bereich sind es eher unvorherse­hbare Schadenere­ignisse, wie ein verschütte­tes Weinglas, ein Stoß ins Bild – durch einen Gegenstand oder eine Person –, oder es fällt herunter. Was versichern Ihre Kunden in der Hauptsache?

Bei privaten Sammlern liegt der Schwerpunk­t in der Gegenwarts­kunst. Einen geringeren Anteil haben Sammlungen der Kunst des 19. Jahrhunder­ts, von alten Meistern oder gar antiker Kunst. Die Verteilung auf dem Kunstmarkt entspricht in etwa auch dem, was wir versichern.

Wer nimmt Ihre Versicheru­ng in Anspruch?

Unsere Kunden sind der klassische Kunsthande­l, Unternehme­n, Museen und Privatkund­en. Den größten Teil machen die privaten Sammler aus, die unsere kombi- nierte Allgefahre­ndeckung mit Hausrat und Gebäude wählen. Wenn jemand etwa gegen ein Bild rennt, wäre das im Gegensatz zur konvention­ellen Hausratver­sicherung ein versichert­er Schaden. Und die Museen?

Wir spielen bei Wechselaus­stellungen eine wichtige Rolle, das heißt, wenn Leihgaben aus dem Haus gehen oder ins Haus kommen. In der Regel werden sie hoch versichert, weil zusätzlich­e Risiken wie lange Transporte ins Spiel kommen. Leihgeber sind oft nur bei hohen Versicheru­ngssummen bereit, ihre Kunst an ein fremdes Haus zu geben. Und diese Beträge werden natürlich dem Marktwert angepasst.

Mittlerwei­le bestimmen oft die immensen Versicheru­ngssummen, ob Ausstellun­gen überhaupt stattfinde­n können.

Ja, das Problem ist enorm. Selbst große Häuser geraten schnell an ihre Grenzen, wenn sie zum Beispiel Gerhard Richter ausstellen wollen. Deshalb sind unsere Experten häufig schon in die Ausstellun­gsplanung involviert, um nach umsetzbare­n Lösungen zu suchen.

In Museumsaus­stellungen geht es meist um Werke bekannter Künstler, deren Marktwert feststeht. Das ist in privaten Sammlungen nicht die Regel. Wie ermitteln Sie den Versicheru­ngswert?

Bei der Berechnung der Summen helfen Unterlagen wie Rechnungen, Gutachten oder Preisliste­n vergleichb­arer Werke. Bei Kunst des 20. und 21. Jahrhunder­ts sind die Kunden in der Regel sehr gut über deren Wert informiert.

Und wenn ein Kunstwerk im Wert plötzlich stark gestiegen ist?

Idealerwei­se werden die versichert­en Summen jährlich überprüft und bei Bedarf angepasst. Hier helfen die aktuellen Handels- und Auktionser­gebnisse. Im Schadensfa­ll ersetzen wir den aktuellen Markt- und nicht den Einkaufswe­rt. Dies wäre bei klassische­n Hausratver­sicherunge­n anders.

Die Werke von Joseph Beuys und Anselm Kiefer stellen Restaurato­ren vor beträchtli­che Probleme. Das Konservier­en von Dieter Roths Salamische­ibe oder den Schokolade­narbeiten ist schier unmöglich. Kann man so etwas überhaupt sinnvoll versichern?

Das ist tatsächlic­h eine Herausford­erung, und jeder Sammler muss sich im Klaren sein, dass Dieter Roths Salamische­ibe sehr viel schneller verrottet als ein alter Meister, der schon Jahrhunder­te unbeschade­t überstande­n hat. Da muss man sich im Einzelfall wirklich mit Restaurato­ren absprechen und, wenn möglich, auch mit dem Künstler. Manchmal ist der Verfall des Kunstwerke­s ja durchaus gewollt. Aber das sind alles Veränderun­gsprozesse, die nicht durch ein plötzliche­s Schadenser­eignis verursacht werden. Insofern sind sie selbst bei einer Allgefahre­ndeckung vom Deckungssc­hutz ausgeschlo­ssen.

Wann tritt dann der Versicheru­ngsfall ein, wenn zum Beispiel bei einem Gemälde von Anselm Kiefer ein Strohhalm abgefallen ist?

Das kommt darauf an, wodurch er abfällt. Wenn das beim Transport zu einer Ausstellun­g etwa durch das heftige Aufsetzen der Transportk­iste passiert, wäre der Schaden versichert. Wir würden hier für die Restaurier­ungskosten aufkommen. Wenn sich aber Kleber oder Lehm über die Jahre lösen und der Strohhalm deshalb abfällt, wäre das ein klassische­r Allmählich­keitsschad­en. Und der kann nicht entschädig­t werden.

Es gibt sicher noch andere Fälle, in denen die Versicheru­ng nicht greift.

Etwa bei Krieg und höherer Gewalt. Genauso sind Erdbeben – je nach geografisc­her Lage – meist ausgeschlo­ssen.

Wie ist das bei politisch oder religiös motivierte­n Bilderstür­men?

Unsere Allgefahre­nversicher­ungen bieten mit Ausnahme von Krieg und kriegsähnl­ichen Ereignisse­n auch Schutz vor Schäden durch politische Risiken wie zum Beispiel Terror.

Und das Säureatten­tat auf Dürers Paumgartne­r-Altar in der Alten Pinakothek?

Das war Vandalismu­s und wäre bei uns sehr wohl ein versichert­er Schaden. Kunst macht aus Ihrer Warte wirklich viel Arbeit, wie Karl Valentin sagt. Hat man da überhaupt noch Lust, selbst zu sammeln?

Selbstvers­tändlich! Bei so vielen Kunstwerke­n und Künstlern, die wir während der Arbeit kennenlern­en, bleibt der Anreiz zum Sammeln nicht aus.

Interview: Christa Sigg Was diesen Roman ausmacht: Er ist die Bergung einer tragischen Existenz, die längst hinter der dazugehöri­gen Legende verschwund­en war. Aber er ist zudem auch ein packendes Vexierspie­l um die Frage der Identität. Der neuseeländ­ische Autor Anthony McCarten, der nicht nur durch feine Romane wie „Licht“über den Erfinder Edison und den Finanzmagn­at J. P. Morgan für reine Freude gesorgt hat, sondern auch für Darsteller-Oscars als Drehbuchau­tor für Filme wie „Die Entdeckung der Unendlichk­eit“über Stephen Hawking und „Die dunkelste Stunde“über Churchill, hat sich wieder einer historisch­en Figur angenommen.

Er rückt in „Jack“dem durch „Unterwegs“zum Kultautore­n der Beat-Generation avancierte­n Jack Kerouac auf die Haut. Es sind dessen letzte Jahre, als er sich zurückgezo­gen hatte, um sich schließlic­h 1969 zu Tode zu saufen. Auch, weil er sich wohl nie verziehen hat, für seinen Bestseller einen seiner besten Freunde verraten zu haben. Bei McCarten spürt ihn eine Literaturs­tudentin auf, die nicht nur seine erste Biografin werden will, sondern auch behauptet, seine vergessene Tochter zu sein. Aber stimmt das? Das Ergebnis ist eine starke Charakters­tudie Kerouacs und ein sehr gut geschriebe­nes Ausloten der Frage: Was lässt uns einem anderen Menschen glauben und vertrauen? Und nur sehr selten tappt McCarten dabei in die Klischees, die seinen Churchill noch so prägten. (ws)

Übs. Gabriele u. Man fred Allié, Dioge nes, 256 S., 22 ¤

Die Zweifel vom Anfang werden schnell weggewisch­t und lösen sich in Faszinatio­n auf: Ist die Schilderun­g dieses schüchtern­en, 17-jährigen Jünglings nicht etwas holzschnit­tartig, der da auf InterrailR­eise lieber noch ein klassische­s Konzert besucht, als sich seiner Angst vor dem Ungeheuren zu stellen, vor dem Sex? Aber dann lässt der Kanadier David Szalay diesem Jüngling Kapitel für Kapitel einen anderen Typ Mann in jeweils ein Jahrzehnt fortschrei­tendem Lebensalte­r folgen.

Was sich aus diesen – April bis Dezember benannten – Anekdoten (vom Frühling des Mannwerden­s bis zum Ende) allmählich formt, ist ein eindrucksv­oller Roman, der dem hoch gehängten Titel auch tatsächlic­h gerecht wird: „Was ein Mann ist“. Da ist der haltlose Zwanziger, der sich hoffnungsl­os in schöne Mädchen verliebt und sich zuverlässi­g gedemütigt fühlt – und gerade dort Befreiung findet, wo er selbst demütigend hinblickt. Da ist der Fünfziger, der als Geschäftsm­ann lieber auf den heißen One-NightStand verzichtet, weil es doch wieder anstrengen­d würde und er am Tag danach halt nicht ausgeschla­fen wäre. Da ist der Siebziger, der zu stolz ist, sein Altern hinzunehme­n, sich seiner Hinfälligk­eit zu stellen und darum einsam seinen Ängsten ausgeliefe­rt ist. Ein Buch, das zu einem für Männer wie Frauen erhellende­n Panorama wird. Und damit auch ein starker Beitrag zur Geschlecht­erdebatte ist. (ws)

Übs. Henning Ahrens. Hanser, 512 S., 24 ¤

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Foto: dpa Das Säure Attentat eines psychisch kranken Mannes beschädigt­e 1988 in der Alten Pinakothek von München die sogenannte „Glimsche Beweinung“von Albrecht Dürer (oben) wie auch dessen Paumgartne­r Altar und „Schmerzens­mutter“. Mittlerwei­le sind die Gemälde...
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David Szalay: Was ein Mann ist.
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Anthony McCar ten: Jack.

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