Was die MeToo Debatte ausgelöst hat
Seit den Berichten über den US-Filmproduzenten Harvey Weinstein wird weltweit über Mobbing, Macht und Missbrauch diskutiert. Welche Folgen das haben kann, sieht man etwa in Deutschland, den USA oder Schweden
Katarina Barley hat eine Szene aus der US-Serie „Hart aber herzlich“mit Robert Wagner und Stefanie Powers im Kopf, die sie als Teenagerin gesehen hat. Die Frau fragt den Mann darin, was er an ihr am meisten liebe: „Dass du noch nie Nein gesagt hast.“Die SPD-Politikerin Barley, inzwischen Bundesjustizministerin, machte also im Februar während der Internationalen Filmfestspiele Berlin deutlich: Die Gesellschaft sollte über Rollenbilder nachdenken.
Genau das ist in Deutschland passiert, seit vor einem halben Jahr die MeToo-Debatte über Macht, Mobbing und sexuellen Missbrauch auch hierzulande aufkam. Anders als in den USA sind allerdings so gut wie keine prominenten Namen gefallen, mit Ausnahme von Dieter Wedel. Mehrere Frauen werfen dem Starregisseur vor, sie belästigt oder gar vergewaltigt zu haben. Wedel wies die Vorwürfe stets zurück.
Mobbing oder Missbrauch gibt es dabei bei weitem nicht nur in der Filmbranche. Katarina Barley erzählt etwa von einem Brief von 20 Frauen aus der Versicherungsbranche, in dem es um Dienstreisen samt anzüglicher Bemerkungen und Einladungen aufs Hotelzimmer geht. Ein halbes Jahr MeToo-Debatte – ein Überblick: ● Im Oktober 2017 traten Artikel in der New York Times und im Magazin New Yorker eine Lawine los: Ashley Judd und weitere Schauspielerinnen warfen darin Harvey Weinstein sexuelle Übergriffe vor. Immer weitere schlossen sich an, inzwischen haben mehr als 80 Frauen Anschuldigungen gegen den Filmproduzenten erhoben – bis hin zu Vergewaltigungsvorwürfen. Weinstein hat Fehlverhalten eingeräumt, Vorwürfe von nicht einvernehmlichem Sex aber zurückgewiesen. Der Produzent soll sich derzeit in Therapie befinden. Seine Frau ließ sich scheiden, die von ihm gegründete Filmfirma, die Insolvenz anmelden musste, entließ ihn. Ob – und wenn ja, wann – es zum Prozess gegen Weinstein kommt, ist unklar.
Die Weinstein-Berichte lösten die MeToo-Debatte und die Kampagne TimesUp („Die Zeit ist um“) aus – eine weltweite Bewegung, bei der hunderttausende Betroffene über eigene Erfahrungen berichten und Missbrauchsvorwürfe öffentlich machen. ● Die MeToo-Debatte hat in Großbritannien besonders Politiker getroffen. Belästigungsvorwürfe führten zu Rücktritten von Regierungsmitgliedern, sowohl Verteidigungsminister Michael Fallon als auch Kabinettschef Damian Green verloren ihre Posten. Ähnliche Vorwürfe wurden in der Film-, Musik- und Modebranche bekannt. So ermittelt im Fall Weinstein auch Scotland Yard.
Fast 200 britische und irische Schauspielerinnen gründeten eine Initiative, um Frauen in ihrer Branche zu unterstützen. Ihr Appell: „Lasst uns 2018 zu dem Jahr machen, in dem die Zeit für sexuelle Belästigung und Missbrauch um ist.“Am Londoner Old Vic Theatre soll US-Schauspieler Kevin Spacey in seiner Zeit als künstlerischer Direktor mindestens 20 Männer sexuell belästigt haben. Sexuelles Fehlverhalten von einigen Mitarbeitern in Krisengebieten in Haiti und im Tschad räumte die Hilfsorganisation Oxfam ein. Die Männer hatten etwa Sex für Hilfsleistungen verlangt. ● Die MeToo-Debatte hat in Österreich vor allem im Skisport Wellen geschlagen. Die ehemalige Rennläuferin Nicola Werdenigg berichtete in einem Interview von regelmäßigen Übergriffen durch Trainer, Betreuer und Kollegen sowie einer Vergewaltigung, als sie 16 war. Sie fuhr in den 1970er Jahren unter ihrem Mädchennamen Spieß. Zur damaligen Zeit habe es systematischen Machtmissbrauch im Skisport gegeben, so Werdenigg. Mehrere Sportlerinnen berichteten danach – zum Teil anonym – von ähnlichen Erfahrungen. Eine vom Österreichischen Skiverband eingerichtete Expertenkommission soll die Vorwürfe nun klären. Zudem ermittelt die Staatsanwaltschaft Innsbruck. ● Das Land gilt eigentlich als Paradies der Gleichberechtigung. Deshalb hat es viele überrascht, wie stark die MeToo-Debatte auch hier eingeschlagen hat. In verschiedenen Branchen haben zehntausende Betroffene im vergangenen halben Jahr Berichte und Unterschriften gesammelt: Schauspielerinnen, Sängerinnen, Juristinnen, Archäologinnen, Frauen aus der Baubranche, Ärztinnen, Politikerinnen. Sie stellen konkrete Forderungen nach Arbeitsplätzen frei von Diskriminierung oder Belästigungen. Rund 40 Unternehmen mussten ihren Umgang mit Belästigungen vor dem DiskriminierungsOmbudsmann rechtfertigen. Mehrere Politiker und Fernsehmoderatoren verloren ihre Jobs.
Nach dem Suizid eines Stockholmer Theaterleiters ist in Schweden aber auch eine Debatte über die Verantwortung der Medien bei Anschuldigungen im Zusammenhang mit der MeToo-Debatte entbrannt. Er war zuvor in einer Zeitung für seinen angeblich sexistischen Führungsstil attackiert worden. Zudem hat die schwedische Regierung ein Gesetz auf den Weg gebracht, demzufolge beim Sex beide Partner ausdrücklich und erkennbar mit Geschlechtsverkehr einverstanden sein müssen. Alles andere wird als Vergewaltigung gewertet.
Erstmals hat London die US-Metropole New York bei der Zahl der Morde übertroffen: Wie aus Polizeistatistiken hervorgeht, wurden im Februar in der britischen Hauptstadt 15 Menschen getötet, in New York gab es 14 Mordopfer. Im März wurden in London 22 Morde gezählt und damit wiederum einer mehr als in New York. Im bisherigen Jahresschnitt hat allerdings die US-Metropole mehr Morde zu verzeichnen als London.
Von der Londoner Polizei hieß es, von den bisher 46 Mordfällen dieses Jahres seien 31 auf Angriffe mit Stichwaffen zurückzuführen. In den vergangenen drei Jahren war die Zahl der Morde in London um 40 Prozent gestiegen. In New York, einst berüchtigt für Gewaltverbrechen, sank die Zahl der Morde in den vergangenen Jahren dagegen stark – seit 1990 um 87 Prozent.
Laut Londoner Polizei sind für die tödlichen Angriffe vor allem Einzeltäter und nicht so sehr die organisierte Kriminalität verantwortlich. Unter den Tätern seien zunehmend Minderjährige, immer mehr Jugendliche trügen generell Messer bei sich.