Wird aus frostiger Funkstille frühlingshafte Harmonie?
Jüngere hat den Älteren irgendwann weggebissen. Jetzt sollen sie sich in einer Doppelspitze bewähren – egal ob mit- oder nebeneinander, aber jeder an seinem Platz. Seehofer in Berlin. Söder in München. Auch zur Überraschung einiger Parteifreunde sieht es nach den ersten Wochen so aus, als könnte es vielleicht sogar funktionieren.
Seehofers erster Aufschlag im Bundestag kommt mit einiger Wucht daher. Ohne jede Rücksicht auf seine Vorgänger Thomas de Maizière (CDU), Hans-Peter Friedrich (CSU) und Wolfgang Schäuble (CDU) sagt der neue Bundesinnenminister Mitte März im Bundestag: „Ein Weiter-so möchte ich nicht. Wir müssen Tempo machen und neue Wege gehen.“Kaum im Amt, fällt der CSU-Chef damit nicht nur ein geradezu vernichtendes Urteil über die Arbeit seiner Unionskollegen in den vergangenen zwölf Jahren, sondern er legt auch die Messlatte für sich selbst sehr hoch.
Seehofers Botschaft: Mit ihm als Innenminister soll es das nicht geben, was er einst als bayerischer Ministerpräsident ebenso provozierend wie plakativ auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise die „Herrschaft des Unrechts“genannt hat: die Kapitulation des Rechtsstaats vor dem Ansturm der Migranten und den Verlust der Kontrolle über das, was an den Grenzen geschieht. Stattdessen kündigt er „die konsequente Durchsetzung geltenden Rechts“an, und zwar „in allen Bereichen und gegenüber jedermann; denn ein starker Staat duldet keine rechtsfreien Räume.“
Es ist offenkundig: Hier holzt der CSU-Parteichef. Den „Landesvater“hat Seehofer schweren Herzens hinter sich gelassen. Es ist kein Geheimnis, dass er gerne weiter im Mittelpunkt gestanden und Regierungschef in München geblieben wäre. Jetzt praktiziert er in Berlin CSU pur, auch zum Ärger der Bundeskanzlerin, die sich ihrerseits nicht zimperlich zeigt. Seehofers Interview-Satz, wonach der Islam nicht zu Deutschland gehöre, kontert Angela Merkel nicht ebenfalls in einem Interview, sondern dort, wo es besonders wehtut. Auch sie nutzt den Bundestag als Bühne und weist ihren Innenminister damit höchst offiziell zurecht. „Das wurmt ihn gewaltig“, sagt ein Vertrauter.
Söder hat es da vergleichsweise einfacher. Er will „Landesvater“werden und als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl im Oktober möglichst gut abschneiden. Dazu braucht er drei Dinge: ein besseres persönliches Image, überzeugende politische Inhalte und eine Strategie, die bis zum Herbst Wirkung zeigt.
Die Arbeit an seinem Image hat Söder bereits vor Jahren begonnen. Seine alte Rauflust ist schon in seiner Zeit als Finanzminister einer neuen Ernsthaftigkeit gewichen. Als Ministerpräsident gibt er sich, wie Mitglieder seines Kabinetts berichten, jetzt verbindlich im Umgang mit seinen Mitstreitern und höchst ziel- strebig in der Sache. Alle Tätigkeiten der neuen Staatsregierung seien „absolut strukturiert und genau getaktet“. Nichts werde dem Zufall überlassen.
Auch die Vorbereitung für die Regierungserklärung am 18. April laufe präzise wie ein Uhrwerk: Die Minister sollen Ideen formulieren und Vorschläge machen. Dann gebe es Einzelgespräche mit dem Regierungschef. Mögliche Meinungsverschiedenheiten sollen unter vier Augen und hinter verschlossenen Türen geklärt werden. Erst wenn man sich verständigt habe, werde Söder in der Regierungserklärung im Landtag sein lange angekündigtes „Feuerwerk“zünden. Und bis zur Landtagswahl im Oktober soll die neue Staatsregierung dann zeigen, was sie kann und wie es danach weitergehen soll. Söder wolle „Landespolitik pur“. Das Regierungshandeln solle „aus einem Guss“sein.
Diese Aufgabenteilung in der Doppelspitze ist ein Kernelement der neuen CSU-Strategie. Sie hat zum Ziel, im Herbst die absolute Mehrheit im Landtag zu verteidigen und die Geschichte der CSU als vermutlich erfolgreichste regionale Volkspartei in Europa fortzuschreiben. Seehofer soll sich in Berlin um das parteipolitische Profil der CSU kümmern und sich der Bekämpfung der AfD widmen – wenn’s sein muss auch auf Kosten der Schwesterpartei CDU. Söder soll derweil in Bayern „Best-practice“-Beispiele in der Landespolitik liefern, ohne sich in die Berliner Scharmützel einzumischen. Da komme man sich nicht ins Gehege, müsse also auch nicht viel miteinander reden.
Gemeinsam ist beiden Herren, dass sie sich auf einem Spielfeld bewegen, das ihnen vertraut ist. Horst Seehofer ist mit seinen bald 69 Jahren nicht nur der älteste Politiker im Bundeskabinett, sondern auch der mit Abstand erfahrenste. Als er 1980 erstmals in den Bundestag gewählt wurde, war der neue Gesundheitsminister Jens Spahn gerade geboren. Seehofer arbeitete als Staatssekretär bei Arbeitsminister Norbert Blüm, als Gesundheitsminister unter Helmut Kohl und als Landwirtschaftsminister unter Angela Merkel. Und auch in den letzten zehn Jahren, in denen er an der Spitze der Bayerischen Staatsregierung stand, war er in Berlin stets präsent. Als CSUChef gehörte er dem Koalitionsausschuss an, der die Grundlagen der Regierungspolitik festlegte.
Das Gerede von Innenpolitikern in der CDU und vereinzelt auch in der CSU, nur ein Jurist könne das Bundesinnenministerium führen, entlockt Seehofer nur ein müdes Lächeln. Seine Arbeitsweise hat noch überall funktioniert: Er holt sich Experten, lässt sich vortragen und entscheidet dann, wie er ein Thema politisch handhabt – manche sagen