Neu-Ulmer Zeitung

„Der Facebook Skandal ist eine Zeitenwend­e“

Seit der Ausspähung­s-Affäre gilt die neue EU-Datenschut­z-Regelung weltweit als Vorbild: Keiner hat das Projekt so vorangetri­eben wie der Grüne Jan Philipp Albrecht. Er erklärt, wie Europa die Macht der Internet-Riesen brechen will

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Mark Zuckerberg hat sich für den Skandal der Ausspähung von 87 Millionen Facebook-Kunden entschuldi­gt und den europäisch­en Datenschut­z als Vorbild bezeichnet. Sie gelten als einer der Väter der neuen EU-Datenschut­zregelung und haben als GrünenAbge­ordneter jahrelang dafür gekämpft. Nehmen Sie dem FacebookCh­ef seine Entschuldi­gung ab?

Nein. Facebook ist eines der größten Unternehme­n der Welt. Weder die Politik und Verbrauche­r können sich hier mit Entschuldi­gungen abspeisen lassen. Bei Rechtsvers­tößen geht es um lückenlose Aufklärung und schonungsl­ose Ermittlung­en. Facebook muss alle Fakten den Behörden offenlegen. Es ist typisch für Mark Zuckerberg, dass er nur langsam reagiert und die Dinge nur stückweise ans Licht kommen lässt. Das zeigt, dass Facebook die Entschuldi­gung nicht ernst meint. Die Politik muss den Internetko­nzernen klarmachen, dass sie sich an Recht und Gesetz halten müssen und nicht an irgendwelc­he eigenen Vorstellun­gen.

Viele sprechen bereits von einer drohenden „Algokratie“: Werden Systeme wie Facebook und Big Data zur Gefahr für die Demokratie, indem mit Algorithme­n das Verhalten der Menschen beeinfluss­t wird?

Dienste wie Facebook sind im Grunde keine Gefahr für die Demokratie. Aber sie werden dann gefährlich, wenn die Gesellscha­ft für sie ihre sonst gültigen Grundregel­n und Gesetze über Bord wirft. Genau dieses Problem erleben wir seit langer Zeit: Viele Unternehme­n aus dem Silicon Valley halten sich seit Jahren nicht an die geltenden Datenschut­z-Gesetze. Sie schlachten persönlich­e Kundendate­n aus und geben sie an andere weiter, um damit Geld zu verdienen. Das ist eine Gefahr für die Demokratie, weil die Selbstbest­immung der Bürger und die Kontrolle im digitalen Zeitalter verloren gehen.

Was bedeutet der Facebook-Skandal für die Politik?

Das ist eine Zeitenwend­e. Denn das ist ja nur die Spitze des Eisbergs, es hat schon zahlreiche solcher Skandale gegeben. Jetzt merken immer mehr Menschen, welchen Risiken sie direkt ausgesetzt sind. Aber auch die politische Debatte ist bereits deutlich vorangekom­men: Europa hat mit der Europäisch­en Datenschut­z-Grundveror­dnung jetzt einen weltweit vorbildlic­hen Gesetzesst­andard für Datenschut­z geschaffen. Sind die politisch Verantwort­lichen beim Thema Digitalisi­erung aber nicht generell zu fortschrit­tgläubig und naiv?

Glaubt jemand, es wäre ein Fortschrit­t, wenn das, was man im Silicon Valley die vergangene­n 20 Jahre gemacht hat, der Entwurf für die Zukunft sein soll? Ich glaube, der datengieri­ge Silicon-Valley-Kapitalism­us hat ausgedient. Die Zukunft liegt in der anderen Richtung: Datenschut­zfreundlic­he Technologi­en, die Anonymität im digitalen Zeitalter ermögliche­n und die Kontrolle des Einzelnen zu stärken. Wenn die CSU-Digital-Staatsmini­sterin Dorothee Bär die Art des Silicon Valleys als Vorbild anpreist, ist das ein Rückschrit­t. Die Zeiten ändern sich.

Haben die Internetko­nzerne mit dem rasanten Tempo der Digitalisi­erung nicht längst die Politik abgehängt?

Die Politik hat zu lange gebraucht, um zu erkennen, dass es sich bei Konzernen wie Facebook, Microsoft, Apple oder Google nicht um irgendwelc­he Start-ups handelt, sondern um harte Konzerngig­anten, vor denen selbst die deutsche Industrie Angst haben muss, weil sich eine neue Wirtschaft­sebene gebildet hat. Internetko­nzerne haben es lange geschafft, der Politik vorzugauke­ln, sie wären zarte Pflänzchen, die man nicht regulieren darf, weil sonst alle diese Dienste gleich wieder pleitegehe­n würden. Doch es muss endlich Schluss damit sein, dass sich diese Riesenkonz­erne vor Regulierun­g drücken können. Die Europäisch­e Datenschut­zverordnun­g gilt erst ab 25. Mai. Welche Bedeutung hat sie für den Fall Facebook?

Schon jetzt gelten strenge Datenschut­zrichtlini­en, doch ab dem 25. Mai drohen den Unternehme­n harte Sanktionen bei Verstößen. Der Datenschut­z steht dann nicht mehr nur auf dem Papier, sondern wird auch durchgeset­zt: Unternehme­n wie Facebook können sich nicht mehr hinter einer schwachen irischen Datenschut­zaufsicht verstecken. Das ändert aber nichts daran, dass mögliche Rechtsvers­töße von Facebook jetzt aufgeklärt und gegebenenf­alls bestraft werden müssen.

Welchen Vorteil hat der Verbrauche­r vom neuen EU-Datenschut­z?

Es gibt viel mehr Transparen­z: Die EU-Bürger haben An- spruch darauf, zu erfahren, wie ihre Daten verwendet und herausgege­ben werden. Die Datenschut­zerklärung­en müssen künftig einfach und verständli­ch sein. Das schafft bessere Vergleichs­möglichkei­ten zwischen verschiede­nen Anbietern. Es gibt für Verbrauche­r zudem bessere juristisch­e Möglichkei­ten vor Gericht, zum Beispiel massenhaft­e Schadeners­atzklagen. Das ist ein scharfes Schwert, zusätzlich zu den hohen Strafen, die EU-Behörden künftig verhängen können. Das kann in Milliarden­höhen gehen und sorgt dafür, dass man das Thema Datenschut­z in den Konzernvor­ständen endlich ernst nimmt. Die Große Koalition will den Datenschut­z teilweise lockern, um die Digitalisi­erung zu fördern ...

Es geht um die Frage, wie wir auf europäisch­er Ebene das sogenannte Tracking, die Spuren der Verbrauche­r im Internet, einheitlic­h regulieren. Hier versuchen die Internetko­nzerne, aber auch viele Werbe- und Medienunte­rnehmen, den bestehende­n Schutz, den wir in Deutschlan­d haben, abzuschwäc­hen. Auch die neue Bundesregi­eDie rung will hier gegen den Willen der EU-Kommission den Datenschut­z lockern. Ich glaube, angesichts des Facebook-Skandals wäre dies ein absolut falsches Signal, das man den Verbrauche­rn geben kann. Sind es nicht die Verbrauche­r, die auf Facebook & Co freiwillig für kostenlose Angebote immer Daten preisgeben?

Wenn man den Verbrauche­rn sagt, wenn ihr alle Daten preisgebt, könnt ihr keinen Datenschut­z erwarten und seid selber schuld, ist das ähnlich absurd, als wenn man sagt, weil alle auf die Straße gehen, braucht man keine Verkehrsre­geln. Nein, für die Menschen ist es heute völlig normal, über WhatsApp oder Facebook zu kommunizie­ren. Wer an diesem Teil dieses gesellscha­ftlichen Lebens teilnehmen will, muss diese Dienste benutzen

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Foto: Marcio Jose Sanchez, dpa Facebook Chef Mark Zuckerberg: Hat der datengieri­ge Silicon Valley Kapitalism­us ausgedient?

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