Neu-Ulmer Zeitung

„Ich kämpfe, bis ich freigespro­chen bin“

Demnächst geht der Prozess in der Türkei gegen die Ulmer Journalist­in weiter. Sie erzählt, wie sie mit den Auflagen der Behörden zurechtkom­mt und warum sie eine erneute Spaltung der Familie befürchtet, falls sie ausreisen darf

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Frau Tolu, kurz vor Weihnachte­n wurden Sie aus türkischer Untersuchu­ngshaft entlassen. Wie geht es Ihnen jetzt?

Mir geht es gut, wobei mein Alltag sich sehr verändert hat. Früher konnte ich schreiben oder übersetzen. In der Zwischenze­it ist es so, dass ich meinen Sohn halbtags mittags in den Kindergart­en bringe und dann habe ich vier oder fünf Stunden für mich. In dieser Zeit kann ich Artikel als freie Journalist­in schreiben, wenn es Anfragen gibt. Ich kann nicht mehr voll arbeiten, kann aber auch nicht ausreisen.

Ihr dreijährig­er Sohn hat Ihre Verhaftung miterlebt und war auch mit Ihnen im Gefängnis. Wie hat er diese Zeit verarbeite­t?

Mein Sohn ist immer noch sehr verunsiche­rt, deswegen gebe ich ihn nur halbtags in den Kindergart­en. Manchmal sagt er, er möchte nicht wieder ins Gefängnis. Oder er fragt: „Wann bekommst du deinen Ausweis, wann dürfen wir wieder nach Deutschlan­d?“Er drückt einfach aus, dass er Sicherheit braucht und mit Mama und Papa zusammenle­ben will. Wegen ihm möchte ich auch wieder nach Deutschlan­d, um ihm wieder ein normales Leben bieten zu können. Hier kann dasselbe wieder geschehen. Für ein Kind ist es viel zu unsicher. Doch auch wenn ich ausreisen darf, wird mein Mann es wahrschein­lich nicht dürfen. Dann ist die Familie wieder gespalten.

Fühlen Sie sich fremd in der Türkei?

Es ist nicht so, dass ich mich hier fremd fühle. Aber meine Heimat ist Ulm, weil ich dort aufgewachs­en bin, dort meine Familie und meine Freunde habe.

Sie haben Auflagen bekommen. Wie frei bewegen Sie sich in Istanbul?

Jeden Montag muss ich mich auf der Polizeista­tion in meinem Stadtteil melden und eine Unterschri­ft abgeben. Es ist zwar nicht so schlimm, sich einmal in der Woche melden. Aber es ist schlimm, wenn man es vergisst, krank ist oder zum Beispiel wegen des Kindes zu spät kommt. Man spürt, dass man immer noch kontrollie­rt wird, deswegen ist es nicht wirklich Freiheit. Wie ist die Stimmung auf der Polizeista­tion, gibt es Schikane?

Es geht sehr fix, weil in der Türkei ein sehr großer Anteil der Bevölkerun­g diese Auflagen hat. Es ist eine richtig lästige Routine, auch für die Polizeibea­mten. Man läuft rein, holt seinen Ordner selbst aus dem Regal, unterschre­ibt, lässt es gegenzeich­nen – das war’s. Es gibt keine besondere Schikane gegen mich. Ich bin ja auch nicht bekannt in der Türkei. Hier ist es ein Regelfall, dass Journalist­en schikanier­t und inhaftiert werden. Sie sind angeklagt wegen Mitgliedsc­haft in einer Terrororga­nisation und Terrorprop­aganda. Ihr Fall wurde kürzlich zusammenge­legt mit dem Ihres Ehemannes Suat Corlu, der auch wegen Terrorismu­svorwürfen vor Gericht steht. Corlu war Mitglied in der pro-kurdischen HDP. Welche Erwartunge­n haben Sie an Ihren Prozess, der am 26. April fortgesetz­t wird?

Ich erwarte für mich einen Freispruch, aber der wird wahrschein­lich nicht so bald kommen. In der Türkei ist die Justiz ziemlich langsam, vor allem, weil so viele Menschen angeklagt und so viele inhaftiert sind. Ich denke, dass vielleicht sogar meine Auflage aufgehoben wird und ich mich nicht mehr wöchentlic­h melden muss. Ich habe keine Angst, denn ich glaube, der Prozess wird sehr routiniert ablauzu fen. Alles, was jetzt noch auf mich zukommen kann, schüchtert mich nicht ein. Ich bin acht Monate für etwas eingesesse­n, was ich nicht getan habe – auch wenn ich einen Freispruch bekomme, wurde ich eigentlich im Voraus bestraft. Woher nehmen Sie Ihren Mut und Ihre Kraft?

Ich wusste und weiß, dass ich nichts Falsches getan habe. Ich habe nur meine Arbeit getan, die ich immer wieder so machen würde und jetzt auch wieder mache.

Ihre türkische Staatsbürg­erschaft haben Sie schon 2007 abgelegt. Heute haben Sie nur noch den deutschen Pass. Schon während Ihrer Verhaftung hat sich die Bundesregi­erung für Sie eingesetzt. Gibt es nach wie vor Kontakt?

Ich treffe mich monatlich mit den Mitarbeite­rn im deutschen Konsulat in Istanbul. Auch den deutschen Botschafte­r in der Türkei, Martin Erdmann, habe ich nach meiner Freilassun­g noch einmal gesehen. Mehr kann die Bundesregi­erung nicht tun. Die Türkei hat jetzt zu beweisen, dass sie ein Rechtsstaa­t ist. Die deutsche Seite kann nur das weiterführ­en, was sie bereits tut: Druck ausüben auf die Türkei, sich an das EU-Recht zu halten. Ich erwarte keinen Deal und nicht, dass man mich bei Nacht und Nebel über die Grenze schmuggelt. Lieber lebe ich in der Türkei mit Auflagen, bis der Prozess zu Ende ist und ich meinen Freispruch erkämpft habe. Erst kürzlich wurde in der Türkei die Dogan-Medien-Gruppe an die Demirören-Gruppe verkauft, die für ihre Nähe zu Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan bekannt ist. Damit gibt es keine unabhängig­e Mediengrup­pe mehr im Land. Was bedeutet das?

Der Journalism­us wird auf Linie der Regierung gebracht, alles wird aufgekauft. Medien, die sich kritisch äußern, werden geschlosse­n. Die Internetze­nsur steht vor der Tür. Das Informatio­nsrecht des Volkes wird gekappt. Von Presseund Meinungsfr­eiheit kann man eigentlich nicht mehr reden. Bis heute werden tagtäglich Journalist­en verhaftet. Es gibt zwar eine Tradition der freien Presse, aber es wird immer schwerer für Medien: Indem man ihnen zum Beispiel Druckereie­n wegnimmt, wird versucht, die Arbeitsgru­ndlage zu entziehen.

Interview: Elisa Makowski, epd O

Die 1984 in Ulm gebore ne Journalist­in Mesale Tolu wurde am 30. April vergangene­n Jahres in ihrer Wohnung in Istanbul festgenomm­en. Mehrere Monate lang saß sie bis Dezem ber in Untersuchu­ngshaft. Die türki schen Ermittler werfen ihr Terrorprop­a ganda und Mitgliedsc­haft in einer Ter rororganis­ation vor. Die deutsche Staats bürgerin mit türkischen Wurzeln darf das Land bis auf Weiteres nicht verlassen.

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Foto: epd Mesale Tolu aus Ulm, hier aufgenomme­n von ihrem Ehemann Suat Corlu, wartet in Istanbul auf die Fortsetzun­g ihres Prozesses. Sie darf die Türkei nicht verlassen und muss sich wöchentlic­h bei der Polizei melden.

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