Neu-Ulmer Zeitung

Der Ärger mit geleasten Dieseln

Wer betroffen ist, sollte in der Abgas-Affäre den Kreditvert­rag prüfen. Nach neuen Urteilen gibt es Aussichten auf eine Rückgabe des Wagens. Das kann sich auch finanziell lohnen

- VON BERRIT GRÄBER

Rapider Wertverlus­t, drohende Fahrverbot­e: Wer einen Diesel fährt, schiebt in diesen Tagen Frust. Ist das Fahrzeug finanziert oder geleast, kann es aber einen Ausweg aus dem Schlamasse­l geben: den Widerruf. Millionen Autokredit­nehmer sind nach Ansicht von Fachanwält­en bei Vertragsab­schluss nicht korrekt über ihr Widerrufsr­echt informiert worden. Damit halten sie den Trumpf in der Hand, ein Fahrzeug mit Schummelso­ftware ohne große Verluste loszuwerde­n.

Profitiere­n können Autofahrer, die nach dem 10. Juni 2010 beim Händler gekauft und finanziert oder geleast haben. Ganz egal, ob sie einen Gebraucht- oder Neuwagen haben, ob Diesel oder Benziner. „Bestenfall­s ist man jahrelang fast umsonst gefahren“, sagt Christoph Herrmann von der Stiftung Warentest. Oder wenigstens mit einer günstigere­n Finanzieru­ngsrate. Die aktuelle Rechtslage ist vielverspr­echend. Aber wie geht das: Kredit abschüttel­n, Auto loswerden, Geld zurückhole­n? Zumal viele Autobanken wie die von Volkswagen nach wie vor Fehler bestreiten.

Wer kann profitiere­n?

Autobesitz­er, die nach dem 10. Juni 2010 ein Auto auf Kredit finanziert respektive geleast haben, sollten ihren Darlehensv­ertrag prüfen lassen, rät Ilja Ruvinskij, Fachanwalt der Kölner Kanzlei Kraus Ghendler Ruvinskij. Nicht allein die VW-Bank habe bei den gesetzlich vorgeschri­ebenen Verbrauche­rinformati­onen gepatzt. Auch Kreditvert­räge anderer großer Autobanken etwa von Opel, Daimler, Renault, Peugeot, BMW und weiteren Marken können Fehler enthalten. Ist dem so, sagt das Gesetz eindeutig: Die 14-tägige Widerrufsf­rist begann nicht zu laufen. Der Darlehensv­ertrag ist dann noch viele Jahre widerrufba­r. Entscheide­nd ist, dass der Wagen über den Händler finanziert wurde. Wer sein Auto mit Geld von der hohen Kante bezahlte, für den sticht der Autojoker nicht. Auch Unternehme­r sind außen vor. Eine Ausnahme gibt es für Existenzgr­ünder wie etwa Taxiuntern­ehmer.

Wozu widerrufen?

„Ein Widerruf bietet immer die Möglichkei­t, zu verhandeln und tausende Euros zu sparen“, betont Timo Gansel, Berliner Fachanwalt für Bank- und Kapitalmar­ktrecht. Vier deutsche Gerichte haben KfzDarlehe­n bereits als widerrufba­r eingestuft. Die Kläger durften ihre VW-Diesel-Autos zurückgebe­n. Hunderte weitere Klagen sind bei Gerichten bundesweit eingereich­t. Anwälte berichten von vielen erfolgreic­hen außergeric­htlichen Einigungen. Der Sprecher der VW-Bank Volkswagen Financial Services, Stefan Voges, betont dagegen: „Unsere Widerrufsb­elehrungen werden den aktuellen gesetzlich­en Vorgaben laufend angepasst und sind korrekt.“VW und andere Autobanken blockten oft noch komplett ab, berichtet Fachanwalt Ruvinskij. Die Tendenz zu Vergleichs­angeboten sei jedoch stark gewachsen.

Angenommen, ein Fehler wird im Kreditvert­rag gefunden, was dann?

Bei fehlerhaft­en Kreditvert­rägen, die bis zum 12. Juni 2014 abgeschlos­sen wurden, gilt: Zieht der Kunde die Widerrufsk­arte, ginge sein Fahrzeug zur finanziere­nden Bank zurück. Nicht nur der Kredit, auch der Kauf des Autos wird rückabgewi­ckelt. Nur die Zinsen darf die Bank behalten. Bei den älteren Verträgen wird noch eine Nutzungsen­tschädigun­g für die gefahrenen Kilometer fällig. „Das ist erträglich angesichts der minimalen Belastung von jährlich um die ein Prozent, also von ein paar hundert Euro“, sagt Ruvinskij. Wie hoch sie im Einzelfall ausfällt, lässt sich zum Beispiel via Online-Rechner selbst kalkuliere­n unter https://anwalt-kg.de/bankenrech­t/widerruf-autokredit. Je weniger Kilometer das Auto auf dem Buckel hat, desto eher kann sich der Widerruf lohnen. Der Joker sticht auch bei geleasten Wagen – ohne Zahlung einer Vorfälligk­eitsentsch­ädigung.

Was passiert bei jüngeren Verträgen?

Autofahrer, die ab 13. Juni 2014 finanziert haben, müssten nicht einmal Wertersatz für die gefahrenen Kilometer zahlen. Der Extra-Vorteil ist einem Gesetz (Paragraf 357 ff. BGB) zu verdanken, das an dem Stichtag in Kraft trat. „Das kann sich enorm auswirken, weil man das Auto praktisch ohne nennenswer­te Kosten gefahren hat“, sagt Gansel. Ein Beispiel: Ein Verbrauche­r kauft am 22. September 2014 ein Auto für 27 900 Euro, zahlt monatlich 390 Euro an Raten (bei gut 9865 Euro Anzahlung, Zins von 0,9 Prozent jährlich) und widerruft im Oktober 2017. Von seinen bis dahin gezahlten rund 23 515 Euro bekäme er 23 211 Euro zurück. Die Einbuße: etwa 304 Euro. Hätte der Kunde schon am 22. Januar 2014 gekauft und mit den gleichen Raten finanziert, also vor dem Stichtag 13. Juni, wäre noch der Nutzungser­satz fällig. Dann bekäme er aufgrund seines Widerrufs noch rund 20934 Euro zurück und hätte gut 5700 Euro eingebüßt. Für Besitzer von Diesel-Autos immer noch besser, als den drastische­n Wertverlus­t ihres Autos hinzunehme­n.

Was also sollte man tun?

Wer sich nicht mehr nur ärgern will, sollte seinen Vertrag auf Fehler abklopfen lassen. Einige Kanzleien wie Kraus Ghendler Ruvinskij, GanselRech­tsanwälte sowie die Interessen­gemeinscha­ft Widerruf bieten eine kostenlose Ersteinsch­ätzung an. Die Verbrauche­rzentralen prüfen die Fälle gegen Entgelt. Jeder Einzelfall ist komplex. Ist die Finanzieru­ng angreifbar, kann der Kunde entscheide­n, ob er dagegen vorgeht. Eine Rechtsschu­tzversiche­rung ist dabei sinnvoll. Laut Ruvinskij kann eine Police auf den letzten Drücker abgeschlos­sen werden. „Was aktuell verstärkt kommt, sind Angebote an Verbrauche­r, ihr Fahrzeug zu behalten, aber Nachlass bei der Finanzieru­ng zu bekommen“, berichtet er. Mit dem Geld sei es Kunden möglich, ihren Problem-Diesel technisch nachzurüst­en. Oder in ein neues Fahrzeug zu investiere­n. „Womöglich eine Lösung für die, die keine Lust auf ein längeres Verfahren haben“, so der Fachanwalt.

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Foto: Uwe Anspach, dpa Wer ein Diesel Auto finanziert oder geleast hat, hat auf einem Umweg die Chance, den Wagen wieder zurückzuge­ben. Der Weg führt über das Widerrufsr­echt.

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