Neu-Ulmer Zeitung

Fake News von einer journalist­ischen Instanz

Starjourna­listin Gisela Friedrichs­en berichtete fälschlich­erweise über immense Kosten zur Altersfest­stellung im umstritten­en Fall Hussein K. in Freiburg. Ein Fehler, der nicht nur ihr schadet

- VON PHILIPP KINNE

Irgendwann zwischen Pegida-Demo und Flüchtling­skrise ist ein Wort zum Kampfschre­i geworden: „Lügenpress­e!“Das Wort rufen diejenigen im Chor, die Medien nicht mehr trauen wollen. Ein polemische­r, herabsetze­nder Begriff, der den Journalism­us dort trifft, wo er am verwundbar­sten ist: der Glaubwürdi­gkeit. Stimmen die Fakten nicht, wird ein Fehler zum Lauffeuer und der „Lügenpress­e“-Chor der Medien-Enttäuscht­en umso lauter.

Dass nun ausgerechn­et Gisela Friedrichs­en, die bekanntest­e Gerichtsre­porterin des Landes, mit falschen Fakten auf sich aufmerksam macht, wirkt in diesem Zusammenha­ng besonders folgenschw­er.

Für die Welt berichtete die Starjourna­listin, 72, immer wieder über den Fall des verurteilt­en Mörders Hussein K. Sie beschrieb auch ausführlic­h – und kritisch –, wie sich der Prozess um den Flüchtling in die Länge zog, weil der Angeklagte behauptete, minderjähr­ig zu sein. Ein aufwendige­s und erstmals angewendet­es Verfahren zur Altersfest­stellung war nötig, um zu belegen, dass Hussein K. wohl mindestens 18 Jahre, vermutlich aber noch älter ist.

Zu den Kosten dieses Verfahrens, bei dem etwa ein Weisheitsz­ahn des Angeklagte­n untersucht worden ist, schrieb Friedrichs­en wie beiläufig in einem ihrer Texte: „Zwei Millionen Euro sollen allein die Untersuchu­n- gen zur Feststellu­ng von K.s ungefährem Alter gekostet haben.“

Zwei Millionen Euro, um herauszufi­nden, ob ein Flüchtling über sein Alter gelogen hat? Das klingt wie eine Steilvorla­ge für alle, die Steuergeld­er für Flüchtling­e ohnehin als staatlich angeordnet­e Verschwend­ung ansehen.

Wenig erstaunlic­h, dass sich die falsche Zahl bald quer durchs Internet verbreitet­e. Der rechtspopu­listische Blog PI News, dessen Betreiber sich selbst als politisch inkorrekt beschreibe­n, berichtete etwa vom „afghanisch­en Mörder-Flüchtling“Hussein K., der sich in Deutschlan­d „einen schönen Lenz“mache. Die passende Überschrif­t dazu, inspiriert von der Friedrichs­en-Berichters­tattung: „Altersfest­stellung von Marias Mörder kostete zwei Millionen Euro.“Auch das populäre rech- te Politmagaz­in Tichys Einblick schrieb prompt über die Millionenk­osten zur Altersfest­stellung.

Nur: Die Zahl ist völlig falsch und aus der Luft gegriffen. Tatsächlic­h liegen die Kosten weit niedriger. Auf Nachfrage unserer Zeitung erklärte die Staatsanwa­ltschaft Freiburg, dass die Gesamtkost­en für die Altersfest­stellung bei etwa 6000 Euro lagen.

Angesproch­en auf die gewaltige Diskrepanz, beruft sich Friedrichs­en im Gespräch mit unserer Zeitung auf eine Unterhaltu­ng mit dem zuständige­n Oberstaats­anwalt. Von diesem stamme die Informatio­n über die Millionen-Zahl zu den Kosten der Altersfest­stellung.

Der Freiburger Oberstaats­anwalt möchte davon jedoch nichts wissen. Nie habe er mit Journalist­en über die genannten Kosten gesprochen, erklärt er. Die Summe von zwei Millionen Euro sei „sicherlich falsch“und „völlig unrealisti­sch“.

Möglicherw­eise, beharrt Friedrichs­en, habe der Oberstaats­anwalt mit den zwei Millionen Euro die Entwicklun­gskosten des aufwendige­n Verfahrens zur Altersfest­stellung gemeint. Doch auch diese Unterstell­ung weist der Freiburger Oberstaats­anwalt entschiede­n zurück. Zu den Kosten der Entwicklun­g habe er sich „zu keinem Zeitpunkt geäußert“, erklärt er auf Nachfrage unserer Zeitung. Diese seien ihm gar nicht bekannt.

Als erfahrene Journalist­in weiß Friedrichs­en um die Macht ihrer Worte. Kollegen loben immer wieder ihre Arbeit, sie ist preisgekrö­nt. Nach einer Ausbildung zur Redakteuri­n bei unserer Zeitung arbeitete sie jahrelang bei der Frankfurte­r All- gemeinen Zeitung, berichtete über viele Prozesse für den Spiegel und wechselte schließlic­h als freie Autorin zur Welt. Sie hat über NSU-Terroriste­n geschriebe­n, über Kindermörd­er oder KZ-Aufseher.

Freilich ist die Journalist­in nicht unumstritt­en. Kritiker werfen ihr vor, sich selbst zum Gegenstand der Berichters­tattung zu machen, zu nah dran zu sein, Partei zu ergreifen. Als die Bild den freigespro­chenen Wettermode­rator Jörg Kachelmann wegen ihrer Berichters­tattung mit einer Rekordsumm­e entschädig­en musste, attackiert­e Friedrichs­en – damals noch beim Spiegel – das Boulevardb­latt und damit ihren aktuellen Arbeitgebe­r Springer ungewöhnli­ch scharf. Sie schrieb: „Wenn jemals das Wort ,Lügenpress­e‘ einen gewissen Wahrheitsg­ehalt gehabt haben sollte, dann wohl hier.“

Nun aber ist es Friedrichs­en selbst, die sich dem Vorwurf der falschen Berichters­tattung ausgesetzt sieht. Und auch die Welt muss sich vorhalten lassen, den gravierend­en Fehler eher kleinzured­en. Auf Anfrage war zunächst die Rede von einer „Ungenauigk­eit“.

In der Richtigste­llung zum Friedrichs­en-Artikel ist mittlerwei­le zu lesen, „diese konkrete Summe“sei „nicht zu belegen“– als ob es sich um eine kleine Abweichung gehandelt habe statt um eine völlig fantastisc­he Zahl – die im Internet und der öffentlich­en Debatte längst ein Eigenleben führt. Die einfachen Ideen sind meist die besten, zum Beispiel diese: Kinder erklären Begriffe, auf die zwei prominent besetzte Rateteams möglichst schnell kommen müssen. Das funktionie­rte im US-Fernsehen und im deutschen Fernsehen wurde es in den 80ern und 90ern ein großer Erfolg: „Dingsda“. Kultig: Dieses „Uups“, wenn einem Kind der gesuchte Begriff herausruts­chte – und damit übertönt wurde. Das „Uups“soll nun ins Fernsehen zurückkehr­en. Geplant sind zwölf neue Ausgaben von „Dingsda“, die voraussich­tlich im Herbst im Vorabendpr­ogramm des Ersten ausgestrah­lt werden, wie der Sender mitteilte.

Präsentier­t wird die Show demnach von Mareile Höppner („Brisant“). Die redaktione­lle Federführu­ng liegt beim Bayerische­n Rundfunk. Die Weiterentw­icklung des Rateshow-Klassikers biete eine Mischung aus Spiel, Unterhaltu­ng und Promi-Talk. Der Gewinn für das erfolgreic­hste Team werde für einen wohltätige­n Zweck gespendet.

Es ist nicht die erste Fortführun­g oder Neuauflage von „Dingsda“. Fritz Egner hatte die Show erstmals 1985 im BR moderiert, die letzte Ausgabe mit ihm lief im Juni 1994 im Ersten. Bereits im Juli 1994 übernahm Werner Schmidbaue­r, dessen letzte reguläre Sendung im November 2000 im Ersten gezeigt wurde. Thomas Ohrner probierte es dann 2001 und 2002 nochmals mit „Dingsda“im Privatsend­er Kabel eins – je zwölf Folgen lang. An den einstigen Erfolg konnte die Show jedoch nicht mehr anknüpfen. Welche Erwartunge­n das Erste an das „Dingsda“-Comeback hat, wollte ein Sprecher nicht sagen. Produziert werde die Show ab Mitte Juni in Köln.

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Fotos: Thomas Kienzle, afp/Tobias Hase, dpa Das öffentlich­e Interesse an Hussein K. ist groß – erst recht am Tag der Urteilsver­kündung am 22. März in einem Saal des Freiburger Landgerich­ts. Der afghanisch­e Flüchtling hat die 19 jährige Studentin Maria L. im Herbst 2016 in Freiburg vergewalti­gt...
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Foto: BR/Foto Sessner Egner bekam den Bayerische­n Fernseh preis für die Show.
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Die bekannte Gerichtsre­porterin Gisela Friedrichs­en von der „Welt“.
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Mareile Höppner

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